Ein DJ für DJs zu sein ist wenig schmeichelhaft, steht hinter dieser Konstellation meist Marktuntauglichkeit – für andere Kulturbereiche nennt man dies auch »Radiogesicht«. Die Ehrerbietung, die dieser Bezeichnung inhärent ist, läuft häufig genug in’s Leere. Vor etwa sieben Jahren durfte man als »DJ’s DJ« noch in Kneipen für 50 Euro und drei Bier auflegen (ohne Taxigeld wohlgemerkt), heute ist das Lifestyle. Damals bekam man Lob für seine Sets, die »echte Listening-Qualität« hatten, 2018 wird man (wenn man Dekmantel Glauben schenken darf) Selector.
Lena Willikens hat diese ganze Entwicklung durchlaufen. Heute übertreibt man nicht, wenn man sagt: die Ex-Kölnerin ist mittlerweile ikonisch. Sie war und ist stilprägend, sie ist Antrieb einer neuen Bewegung innerhalb der deutschen und internationalen Techno-Szene geworden.
Ein Ort ist an dieser Entwicklung, die selbstverständlich sogleich nur wenige erreicht, mehr beteiligt gewesen als viele andere: Der Düsseldorfer Salon des Amateurs.
Nicht ohne Grund liest man mittlerweile in jeder dritten Review und ebenso jedem vierten Interview von diesem Ort, der so knallig unspektakulär ist, dass man sich im falschen Laden wähnt, wenn man zu Besuch ist. Am DJ-Pult, am Ende der simplen Theke, entstand derweil eine Blase. Keine die droht zu platzen, sondern eine, die fidel und in charmanten Farben durch die Luft gleitet. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Szene entlang des Rheins (ungefähr ab Kilometer 686). Von Köln, wo man das Echo des Salons spürt und hört, über die Landeshauptstadt und dann in der gesamten Benelux-Region, hier überall weiß man um diese Vorreiterrolle in Geschmacksfragen. Der Laden in der Düsseldorfer Kunsthalle stellte das Diggertum in den Vordergrund des Schaffens. Und neben der stilsicheren Willikens stehen Branchegrößen wie Tolouse Low Trax Vladimir Ivkovic Jan Schulte und DJ Normal 4.»Es gibt sehr viele Katzen auf den Straßen und alle sind total zutraulich, das habe ich noch in keiner anderen Stadt erlebt. Das sagt viel aus über die Menschen hier.«
Lena Willikens
Man ist dennoch geneigt Willikens als prima inter pares zu rezipieren. Nicht nur offen-›sichtliche‹ Gründe hat diese Rolle. Sicherlich gehören die Brille und die Zigarette im Mund dazu; es wäre zugleich dümmlich die besondere akustische Qualität ihrer Sets und Veröffentlichungen, derer es ungleich weniger gibt, außer Acht zu lassen. Begriffe wie »sonorische Textur« oder die viel beschworene »Noise-Industrial-Welle« sind unmittelbar mit Willikens zu verknüpfen. Die Dekmantel-Selectors-Reihe macht also alles richtig die fünfte Ausgabe in die Hände der Neu-Amsterdamerin zu legen.
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Lena, du bist nicht gerade für deinen enormen Output an eigenen Veröffentlichungen bekannt. Über die Jahre gab es gerade mal zwei Hände voll eigener Tracks. 2018 sind aber zeitgleich zwei Veröffentlichungen von dir auf Dekmantel erschienen, beide sehr eigenständig: Zunächst der Track »Neue Obakel« auf der Dekmantel 10 Jahre-Compilation, und dann hast du die 5. Auflage in der »Selectors«-Reihe zusammengestellt. Wie kam es zu den beiden Releases?
Lena Willikens: Der Track »Neue Obakel« ist mit sehr limitierten Equipment entstanden – ich habe mir eine Vermona Drummachine und einen MS-20 Synthesizer von Freunden aus Osaka geliehen. Das war eine Herausforderung, hat aber auch gerade deswegen viel Spaß gemacht. In Kyoto habe ich im vergangenen Herbst drei Monate mit Sarah Szczesny im Rahmen einer Künstlerresidenz unseres ›Phantom Kino Balletts‹ verbracht. Wir haben während dieser Zeit hauptsächlich an dem Projekt gearbeitet und neue Videos, Kostüme und Musik produziert. Daneben ist dann auch der Track entstanden.
Die ›Selectors‹-Compilation ist hingegen schon vor Kyoto entstanden. Das war eine tolle Gelegenheit für mich Tracks zu veröffentlichen, die ich schon seit langer Zeit spiele; von denen viele unreleased – oder nur auf Kassette oder CD erschienen waren. Mir war schnell klar, dass ich eine Compilation machen möchte, die die Musik widerspiegelt, die ich auf den Dekmantel-Festivals auch auflege. Es sollte sich wie ein Set von mir anfühlen und nicht wie eine homogene stylische Tracklist.
Vertiefen wir mal die Selectors-Compilation: Du bist in den letzten Jahren durchgestartet als DJ. Das – manchmal nervige – Label »DJ’s DJ« hast du auch erfolgreich abgelegt. Ist es dann nicht seltsam angefragt zu werden für einen ›Nicht-Mix‹? Hattest du Berührungsängste?
Ja, auf jeden Fall. Es ist definitiv eine andere Perspektive. Das ist mir aber erst aufgefallen, als ich die konkreten Stücke angefangen habe auszuwählen. Zunächst kam es mir nicht so vor, als ob die Herangehensweise eine groß andere sei. Das stellte sich aber als falsch heraus! Plötzlich wurden Dinge wichtig, auf die ich beim Mixen sonst weniger achte. Es ging dann doch mehr um Exklusivität als bei einem normalen Mix von mir.
Du bist dafür bekannt, dass deine Übergänge, egal ob kurz oder lang, so griffig sind, dass sie Genregrenzen vergessen machen. Industrial kann da neben ultra-deepen House-Cuts stehen, Wave neben Noise. Wenn diese Qualität verloren geht, besteht dann die Gefahr, dass die verschiedenen Tracks disparat neben einander stehen? Oder nicht mal nebeneinander, sondern bloß nacheinander aufgereiht wirken? Was hast du dagegen gemacht in der Zusammenstellung?
Die Gefahr besteht durchaus. Während eines Sets geht ja auch manchmal etwas schief, was ich allerdings nicht schlimm finde. Es passieren ja im Leben ständig Dinge, die unvorhersehbar sind und einen auch mal aus der Bahn werfen können. Ich mag es, wenn man das auch in den Sets hört. Es kann ruhig mal Stimmungswechsel geben, die eigentlich nicht so sinnvoll sind. Allerdings bilde ich mir ein, dass die meisten Tracks, die ich spiele schon etwas Verbindendes aufweisen – sie sind ja auch alle durch meinen persönlichen Filter gelaufen. Insofern sehe ich keine Gefahr, dass das Ergebnis disparat klingt. Allerdings können die Tracks der Compilation natürlich auf Menschen, die es bevorzugen, sich innerhalb eines Genres zu bewegen, absolut willkürlich nacheinander aufgereiht wirken. Das macht mir aber nichts aus.
Deine Auswahl bildet ein Who’s Who des Neuen Undergrounds ab. Ging es dir darum eine Alternative zu den Dancefloors anzubieten, die sich über die letzten fünf Jahre immer mehr anzunähern scheinen? Wo der EDM-Drain gleichzeitig auch zu krawalligeren (meint karnevalesken) Dancefloors geführt hat, die nur noch von Effekt zu Effekt wandern? Oder siehst du diese Entwicklung gar nicht?
Ich hatte nie wirklich den Plan eine Alternative zu bieten; ich wollte einfach nur keine Interessen »pleasen« müssen. Es war mitunter auch Glück, dass ich zur richtigen Zeit ein paar Mixe veröffentlicht habe, die sich anscheinend irgendwie unterschieden haben von dem, was es sonst so gab. Und dadurch ein paar Leute neugierig wurden. Es scheint so, als ob sich seit ein paar Jahren immer mehr Leute musikalisch öffnen und generell nicht mehr so viel in Schubladen gedacht wird. Mit der Folge, dass es einfach nicht mehr so viele Genres gibt, die wirklich identitätsstiftend sind. Auch weil alle Trends und Genres sehr schnell vereinnahmt und kommerzialisiert werden.
Diese Entwicklung haben auch einige mit der Wirkungsmacht von Boiler Room in Zusammenhang gebracht? Glaubst du, dass es eine ›Boiler-room-isierung‹ in den letzten Jahren gab? Oder eine Soundcloudisierung? Also, dass es andere DJs gibt, die von Mix zu Live-Stream zu Mix wandern? Stimmt es denn, dass du da nicht ›mitmachst‹, oder ist dann eine falsche Vermutung?
LW: Ich habe generell ein persönliches Problem mit künstlichen Settings.Sei es eine Ausstellungseröffnung oder eben eine inszenierte Party mit Kameras – und wenn ich dann auch noch im Mittelpunkt stehe umso mehr. Ich fühle mich grundsätzlich nicht so wohl dabei, beim Auflegen beobachtet zu werden. Das lenkt mich ab und verursacht Stress. Also versuche ich es so gut es geht auszublenden, was sonst passiert. Das inflationäre Aufnehmen von DJ-Sets finde ich auch etwas nervig. Deshalb versuche ich wirklich nur wenige Liveaufnahmen von mir online zu stellen oder stellen zu lassen. Es ist doch so, dass bei einer Liveaufnahme einer Clubnacht so viele Elemente auf der Strecke bleiben, die aber enorm wichtig für den Abend sind oder waren. Beim Hören ergibt dadurch vieles einfach keinen Sinn mehr.
Wenn man von deinem Umzug nach Amsterdam weiß, könnte man deine Compilation als rite de passage betrachten. Wäre es richtig eine solche Qualität da reinzulesen? Ist es ein Abschied vom Salon des Amateurs, der ehedem deine Heimstätte war, oder gar dein Einstand in der niederländischen Weltstadt, die in den letzten Jahren (gefühlt) zum Zentrum des elektronischen Undergrounds wurde? Warum hast du dich denn für Amsterdam entschieden?
Mir gefällt deine Interpretation ganz gut, aber tatsächlich kam die Anfrage die Compilation zu machen, noch bevor ich mich für Amsterdam entschieden habe. Das hatte also keinen Einfluss auf die Platte. Amsterdam ist einfach eine tolle Stadt – und hat zudem einen extrem gut angebundenen Flughafen, was nun mal ein wichtiges Kriterium für DJs ist. Die Leute sind unaufgeregt und sehr freundlich, sprechen alle sehr gutes Englisch. Es fühlt sich alles etwas humaner und sozialer an als in Deutschland. Und etwas anderes ist mit aufgefallen: es gibt sehr viele Katzen auf den Straßen und alle sind total zutraulich, das habe ich noch in keiner anderen Stadt erlebt. Das sagt viel aus über die Menschen hier.
Das Studium war sehr frei und im Grunde hätte ich auch die ganzen Jahre über nichts machen können und keinen hätte es interessiert. Man war sehr auf sich allein gestellt und das war gut!
Mit JASSS Borusiade und towLie hast du drei Frauen auf der Platte. Dazu kommt noch Deborah Forbes von Varoshi Fame. Glaubst du, dass ein Viertel eine gute Quote ist? Glaubst du, dass es eine szene-typische bzw. szene-realistische Quote ist? Sind deines Erachtens Frauen im elektronischen Underground eher zu Hause (bzw. willkommen) als in anderen elektronischen Spielarten wie Deep House z.B.?
Mit Quoten hat das nichts zu tun – und ich würde auch nicht sagen, dass es in der Hinsicht repräsentativ ist. Es hat mehr mit persönlichen Freundschaften zu tun. Wenn ich mir allerdings die Quote an Frauen anschaue, die mir Musik schicken, dann ist die wesentlich kleiner. Es hat sich trotzdem in den letzten zwei Jahren viel getan – und ich hoffe sehr, dass es nicht nur ein Trend ist. Diese Gefahr besteht allemal. Mir kommt es so vor, als ob es zur Zeit schon sehr schick ist, sich Feminist zu nennen!
Schallplatten von Lena Willikens findest du bei uns im Webshop.