Leibniz – Die bessere schlechte Art

28.08.2014
Leibniz überzeugt derzeit mit Releases, die allesamt im Grenzbereich zwischen House und Techno herumstolpern, ohne sich wirklich einzupassen. Wir trafen den in Leipzig ansässigen Youngster zum Interview.

Nein, Moritz Pauls Pseudonym leitet sich nicht von den berühmten Keksen oder dem – etwas schwerer im Magen liegenden – Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (nach dem das Gebäck übrigens benannt wurde) ab, sondern entstand auf einem Familienausflug. Während die Eltern ihre beiden Söhne durch Polen kutschierten, sinnierten die beiden auf dem Rücksitz darüber nach, wie sie lieber mit Nachnamen heißen würden. »Leibniz… Moritz Leibniz, das fand ich geil.« Ungefähr zwölf Jahre alt ist er damals. Ein Jahrzehnt soll es dauern, bis das erste Release unter dem neugefundenen Namen erscheint.

In der Zwischenzeit spielt Paul in Schülerbands oder bastelt Hip Hop-Beats am PC, entdeckt Dubstep und Warp für sich und investiert in die erste Hardware. Mittlerweile hat er vier EPs veröffentlicht, die im Grenzbereich zwischen House und Techno herumstolpern, ohne sich wirklich einzupassen. Leibniz‘ Musik zeigt sich unbeeindruckt von zeitgenössischen Strömungen und szeneverbundenenm Lokalkolorit.

Knapp über Actress
»Ich komme aus der Einöde, aus einem richtigen Kaff«, grinst Moritz Paul, auf seine Herkunft angesprochen. Sein Akzent verrät auch woher: Bayern. Seine beschauliche Heimatstadt Dillingen an der Donau hat er jedoch vor einer ganzen Weile gegen die Großstadt eingetauscht. Zuerst ging es nach Berlin, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden: Wenn schon den Zivildienst ableisten, warum denn nicht im Schmelztiegel für elektronische Musik?

Es wurde ein erfolgreicher Zwischenaufenthalt, denn als ein Track von Leibniz auf einer Veranstaltung des Musikernetzwerks CDR gespielt wird, weckt der das Interesse des Berliner Labels Fairplay. Leibniz‘ erste, selbstbetitelte EP erscheint dort mit etwas Verzögerung im Februar 2013. Sie wird gut aufgenommen: »Bei Resident Advisor erschien eine Review, die der Platte vier von fünf Punkten gab. Zeitgleich hatte Actress etwas Neues veröffentlicht, da gab es nur dreieinhalb und ich stand kurzzeitig über ihm!«, erinnert er sich an seinen ersten Erfolg.

Punk-Attitüde und Anspruch
Zwischenzeitlich ist Paul nach Leipzig übergesiedelt und studiert dort Medientechnik. Ob ihm das auch beim Produzieren hilft? »Nicht wirklich. Die Schwierigkeit besteht ja nicht darin, einen EQ richtig einzustellen, sondern für sich selbst ein Ziel zu formulieren und es zu erreichen. Im Studium lerne ich nur technische Sachen. Die sind zwar nützlich, aber manchmal ist die schlechte Art einfach die bessere. Nimm zum Beispiel Sonic Youth: Dir würde niemand beibringen, auf deine Gitarre einzuprügeln. Bei denen aber ist das total geil!« Auf sterile Klänge legt Leibniz schon als Hörer keinen Wert, seine Musik soll ebenfalls nicht glattgebügelt klingen.

Das Gleichgewicht zwischen geistigem Anspruch und Einfachheit ist mir wichtig.«

Leibniz
»Generell stehe ich auf raue Sachen, hinter denen eine Punk-Attitüde spürbar wird. Es soll schnell funktionieren, nicht zu verkopft und tanzbar sein. Das Gleichgewicht zwischen geistigem Anspruch und Einfachheit ist mir wichtig.« Ein Ansatz, der seine drei weiteren EPs prägt: »What Matters/Bring It Don’t Sing It« auf Fourth Wave wartete mit Querfeldein-House auf, sein Beitrag zur shtum-Serie auf dem Dresdener Label Uncanny Valley gestaltete sich als Feldstudie zwischen Euphorie und Unheimlichkeit und seine neuestes Release beim Leipziger Ortloff-Imprint kommt einer Zwangsvermählung von 90er-Breakbeats und Analog-Techno gleich.

YouTube-Sternchen auf Vinyl
Neben seinem PC und dem sich stetig vergrößernden Hardware-Fuhrpark greift Moritz Paul, der in frühen Teenager-Tagen erst Klavier und dann Gitarre gelernt hat, gerne auf Samples zurück. Nicht nur direkt von Vinyl, wo die analoge Dreckigkeit bereits mitgeliefert wird, sondern auch im Netz wird er dabei fündig. »YouTube finde ich richtig geil. Mir aus der Überflut an Medien etwas Kleines herauszupicken, finde ich unheimlich spannend. Es gibt so viele Leute, die sich selbst dabei filmen, wie sie Pophits nachsingen und etwas von sich preisgeben. Ich finde es witzig, diese Videos, die sich höchstens ein Dutzend Menschen angesehen haben, aus ihrem Kontext herauszureißen und weiterzuverarbeiten. Das bekommen die User zwar niemals mit, aber sie landen damit dann auf einer Platte.«

Von den Originalen lässt Leibniz aber die Finger. Da es rechtlich schwierig wäre, der Wiedererkennungswert zu hoch wäre und weil es dann sicherlich nicht so schön rau klingen würde. Darum aber geht es ja schließlich in der Musik von Leibniz die sich der besseren schlechten Art verschrieben hat.


Weiterlesen: Unser Autor Kristoffer Cornils hat uns zuletzt bereits mit Yor einen anderen vielversprechenden Producer der elektronischen Musik vorgestellt.