Quinton Scott kommt gerade aus Hollywood. Der Gründer von Strut Records war mit Mulatu Astatke auf Tournee – sein Labelziehkind, das andere schon als »Vater des Ethiojazz« bezeichnet haben, hat in der großen Freiluftarena von L.A. ein Konzert gegeben. »Ein spätes Karriere-Highlight für ihn und eine große Sache für Strut«, so Scott, der den mittlerweile 80-jährigen Musiker seit vielen Jahren »auf seinem musikalischen Weg« begleitet.
Diese enge Beziehung zu Künstlern wie Mulatu, das sei das Tolle an seinem Job, so der Strut-Chef. Seit einem Vierteljahrhundert (»wir können auch 25 Jahre sagen, das klingt nicht so furchteinflößend«) gibt er den im Hintergrund agierenden Reisebegleiter. Scott hat Highlife-Musiker wie Pat Thomas neu aufgelegt, den Saxofonisten Orlando Julius auf internationale Plattenteller gebracht oder Ebo Taylor bis in die Playlists von britischen Bistros befördert.
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Strut zählt damit zu einem der wichtigsten Reissue-Labels für Musik aus Ländern wie Nigeria, Ghana und Äthiopien. Allerdings war Strut nie nur Hort für Entdeckungen aus Afrika-Archiven. Gegenwartsbands wie The Heliocentrics haben durch Scott mit Altstars aufgenommen. Die Londoner Jazzkapelle Nubiyan Twist hat erst kürzlich ihr drittes Album via Strut veröffentlicht. Und wer durch den bunten Backcatalog stöbert, findet zwischen Compilations zu New Yorker Disco und Schweizer Postpunk immer wieder Rare Finds aus dem Jetzt.
Immer schön raushalten
Das Verbindende sei »der Geist des Archivs«, so Scott. Seien es alte Aufnahmen aus Haiti, eine neue Sun-Ra-Entdeckung oder gerade erst aufgenommene Afrobeat-Alben britischer Bands – was sie auf Strut zusammenführt, »ist das Gefühl der Vergangenheit mit einem zeitgenössischen Einschlag«. Scott spricht hier als Bewahrer und als Erzähler von Geschichten, die ohne sein Zutun nicht erzählt worden wären. Nachsatz: »Wenn die Leute herausfinden, auf welchem Label die Musik erscheint, ist das schön. Ich will mich mit Strut aber immer aus der Geschichte raushalten.«
»Die meisten haben bisher nur bestimmte Arten von Musik herausgepickt, die dem westlichen Markt gefallen könnten«
Quinton Scott
Schließlich veröffentliche er afrikanische Musik – als Brite, der sich der kolonialen Vergangenheit seines Landes bewusst sei. Dass »ich ein weißer Typ aus der Mittelschicht mit Brille bin«, könne er trotzdem nicht ändern. Deshalb müsse Strut besonders vorsichtig sein, das heißt: »Alles richtig machen.« Vor allem die Lizenzierung der Musik und die Bezahlung der Musiker, so Scott.
Er spricht von einer »kollektiven Verantwortung« aller Reissue-Labels. Schließlich kratze man in Afrika erst an der musikalischen Oberfläche. »Die meisten haben bisher nur bestimmte Arten von Musik herausgepickt, die dem westlichen Markt gefallen könnten«, so Scott. »Und auch wir haben uns auf einige wenige Bereiche konzentriert. Aber es gibt riesige Archive in Kenia, die großartige Musikvergangenheit der Elfenbeinküste oder Sierra Leone. Und es ist die Aufgabe von uns Reissue-Labels, sie zu erhalten.«
Comebacks und vertane Chancen
Scott wünsche sich deshalb mehr Zusammenarbeit zwischen den Labels. Dafür müsse man auch mal »einen Schritt zurücktreten«, um das »größere Ganze« zu erkennen, denn: Wissen könne gebündelt, Knowhow geteilt werden. Für Strut funktioniere dieser »hart umkämpfte Markt« nur deshalb, weil man seit 2007 mit !K7 Records arbeite. Ein Deal, der übrigens auch Produktionen wie das »nicht gerade großartige« Comeback-Album von Grandmaster Flash ermöglicht hat.
Manch eine Idee musste Scott hingegen verwerfen, ohne sie je umsetzen zu können. Dazu gehört ein Album von Mark Hollis. Scott habe den Gründer der Band Talk Talk lange dafür begeistern wollen. Ohne Erfolg. »Ich glaube, er hatte nach seinem Soloalbum einfach die Nase voll von der Musikindustrie«, so der Strut-Macher. »Dabei weiß ich, dass es großartig gewesen wäre, eine allerletzte Platte von ihm zu veröffentlichen.«
Andere Projekte sind dagegen zu Kassenschlagern geworden. Dazu gehören Veröffentlichungen von Patrice Rushen oder Miriam Makeba, die auf YouTube millionenfach klicken. Sie finanzieren wiederum Platten, von denen man vorab ausgehen könne, dass sie nur wenige Leute erreichen. Sicher, so Scott, könne man sich dennoch nie sein. Aber manchmal landet man in 25 Jahren eben auch in Hollywood.