Label Watch: Staatsakt

28.09.2023
Nicht nur die kantigen Konsonanten im Namen verbindet Staatsakt mit Vorbildern wie ZickZack und Ata Tak, in deren linken Fußstapfen das Berliner Indie-Label hineingewachsen ist. Zum 20-jährigen Jubiläum begeben wir uns mit Label-Gründer Maurice Summen auf eine kleine Zeitreise.

Wir schreiben das Jahr 2003: die Zeit von MySpace, gebrannten CDs, illegalen Musik-Tauschbörsen. Viele Plattenfirmen halten sich notdürftig mit CD-Verkäufen über Wasser – wenn sie nicht Jugendlichen, die illegal Musik downloaden, Abmahn-Anwälte auf den Hals hetzen. Indie-Deutschland liegt am Boden: Labels wie Kitty-Yo, L’Age D’Or oder Buback kämpfen ums Überleben. Genau die richtige Zeit also, um als noch völlig unbekannte Band für das eigene Debütalbum ein Label zu gründen, denken sich Maurice Summen und Gunther Osburg von Die Türen.  

»Das Herz war Nihilismus« verkauft sich überraschend gut. Aber es ist ein anderer Act, der das Label wenige Jahre später so richtig ans Laufen bringt: Der Erfolg von Bonaparte setzt Staatsakt auf die Karte der Musiklandschaft: »Plötzlich war es so, dass Bonaparte überall im Radio lief, Shows liefen ziemlich gut, große Festivals waren interessiert, und es ging auch international was, Frankreich, Holland und so. Das war der Moment, als man plötzlich von internationalen Vertriebspartnern bis zu den Mainstream-Medien mit allen im Gespräch war, weil alle ein Stück abhaben wollten vom Kuchen. Von da an hat sich der Laden immer weiter professionalisiert.«

Berlin Anfang der 00er-Jahre, das war auch die Zeit, in der man wie Summen noch 70 statt 600 Euro für ein WG-Zimmer gezahlt hat: man konnte sie sich noch leisten, die richtigen Orte, an denen man für den besten Fall zur richtigen Zeit sein sollte. »Ich habe das Glück gehabt, dass ich wahnsinnig viele tolle Musiker und Musikerinnen hier in der Stadt kennengelernt habe, ob jetzt Chris Imler oder Christiane Rösinger, die Gruppe Ja, Panik oder Jens Friebe. Damals war das eine kleine eigene Szene rund um die Flittchenbar, wo man sich letztendlich als Label ein bisschen als Repräsentant gefühlt hat.«

Söders würden nicht Staatsakt hören

In den Folgejahren wuchs die Staatsakt-Familie beständig an: von Chuckamuck bis International Music, von Locas in Love bis Isolation Berlin. Für »outernational music for interplanetary people« gründete man bald das Sub-Label Fun In The Church, denn »die Leute erwarten von Staatsakt deutschsprachige, irgendwie alternativ-linke Äußerungen.« Wobei der Output nicht dezidiert politisch sein muss, man ist nicht auf Agitprop abonniert. Wichtiger ist Summen die Haltung, die stets mitschwingt, aber nicht immer ausformuliert werden muss. »Ich glaube nicht, dass wir in unseren Reihen Leute haben, die die CDU, FDP oder schlimmer wählen. Und ich glaube schon, dass es viele Leute gibt, mit deren politischer Haltung ich mich gut identifizieren kann, die auf jeden Fall ein paar Staatsakt-Platten im Schrank stehen haben.« 

»Wir haben viel Musik, die von der klassischen Rock-Gitarre ausgeht. Das ist ja schon recht abgedroschen, will man meinen. Trotzdem ist man oft überrascht, was da ganz klassisch aus Bass, Schlagzeug und Gitarre zusammenkommt und wie.«

Abgesehen von der vagen links-alternativen Haltung haben Staatsakt-Acts vor allem dies gemeinsam: »Letztlich ist mir wichtig, dass die Leute ihren eigenen Ausdruck haben, also eine klar erkennbare eigene musikalische Idee und Sprache gefunden haben; sei es auf der lyrischen Seite oder, was die Instrumentierung angeht. Wir haben viel Musik, die von der klassischen Rock-Gitarre ausgeht. Das ist ja schon recht abgedroschen, will man meinen. Trotzdem ist man oft überrascht, was da ganz klassisch aus Bass, Schlagzeug und Gitarre zusammenkommt und wie. Das hat man dann so doch noch nicht gehört.«

Das 20-Jährige feiert man nun mit einer großen Gala samt Orchester in Berlins Hebbel am Ufer, der Buch-gewordenen Oral History »Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint« (Verbrecher Verlag), einer ausgedehnten Club-Tour mit wechselnden Bands und nicht zuletzt dem neuen Die-Türen-Album »Kapitalismus Blues Band«, das Anfang Oktober erscheint.

Von MySpace zu iTunes zu Spotify hat das Internet inzwischen Hör- und Konsumgewohnheiten verändert und weitreichende Informationsmöglichkeiten auch für obskure Subkulturen geschaffen, die der Label-Chef nun rückblickend reflektiert: »Diese ganze digitale Transformation, die ich erlebt habe, ist krass. Die Welt war damals eine komplett andere. So gesehen freue ich mich auf jeden Fall auf die Transformationen in den nächsten 20 Jahren. Und dass das Vinyl zurückgekehrt ist, ist doch auch schön. Das freut mich, weil ich damit groß geworden bin und eine innige Beziehung zu Schallplatten habe.« 

Staatsakt – Die Jubiläumstour
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