Label Watch: Squama Recordings

27.06.2024
Auf Squama erscheint der Vocal-Jazz von Enji neben Multi-Genre-Experimenten und… Charles-Manson-Covers von Raymond Pettibon!? Klingt überraschend – ist es für das Münchner Label, das in jeder Hinsicht einem holistischen Ansatz folgt, aber so gar nicht.

Wer den Namen Squama bereits gehört hat, dürfte ihn spätestens im Zusammenhang mit dem Album »Ulaan« von Enji aufgeschnappt haben. Das Zweitwerk der mongolischen Sängerin ging zumindest in der Presse um die Welt – der Guardian, die Washington Post, so ziemliches jedes Fachblatt zollten Enkhjargal Erkhembayars gleichermaßen intimen wie idiosynkratischen Interpretation von Vocal-Jazz den ihr gebührendem Respekt. Martin Brugger und Maximilian Schachtner weisen aber zurück, dass es sich – zumindest mit Blick auf die Anzahl der verkauften Schallplatten – um einen »internationalen Hit« gehandelt habe. Für die Aufmerksamkeit allerdings seien sie dennoch dankbar. Vor allem, wenn diese der Künstlerin zugutekomme, die erst spät zum Jazz fand und ihre Karriere nach ihrem Umzug nach München in Gang brachte, wo das Label und die meisten seiner Acts ansässig sind.

Das Betreiberduo – der Multi-Instrumentalist und Produzent Brugger kümmert sich primär um die musikalischen Aspekte, während Schachtner die gleichermaßen auffällige wie elegante Gestaltung übernimmt – hat die Labelarbeit zu einer Art Full-Time-Job gemacht und kann sich selbst doch nur eher wenig dafür auszahlen, wie die beiden berichten. Tatsächlich ist die Gründungsgeschichte von Squama die geradezu archetypische origin story eines Indie-Labels: Als niemand sonst das Debütalbum von Bruggers Band Fazer veröffentlichen wollte, brachten sie dieses zuerst als DIY-Release heraus und hoben dann anlässlich des Nachfolgers im Jahr 2019 offiziell Squama aus der Taufe.

Die gewisse Mehrdimensionalität

Die Multi-Genre-Band mit den zwei Drummern hat mittlerweile beim großen Indie-Label City Slang den zweiten Wohnsitz angemeldet, doch sind Mitglieder wie vor allem der geradezu hyperaktive Perkussionist Simon Popp weiterhin dauerhaft bei Squama zu Hause. Die Bandbreite der unterschiedlichen Interessen und Geschmäcker der verschiedenen mit dem Label verbandelten Projekte resultiert in einem wahnwitzigen Stilmix. Allein für die jüngeren Releases tat sich Popp mit der aufstrebenden Deep-Techno-Heldin Polygonia zusammen, während die Komponistin Sophia Jani Stücke für und mit Violinistin Teresa Allgaier schrieb und Damian Della Torres wattiger Elektroakustik-Ambient auf Alben wie dem vor Kurzem veröffentlichten »I Can Feel My Dreams« einem Publikum mit Abonnement für RVNG Intl. und/oder Leaving die Welt erhellen sollte.

Darauf angesprochen, welchen Präferenzen sie bei ihrer A&R-Arbeit nachgingen, greifen die beiden Chefs dementsprechend zu abstrakten Begriffen und sprechen von »einer gewissen Mehrdimensionalität, außerdem Humor, Leichtigkeit und Intuition«. Was genau das nun bedeutet, muss sich niemand qua Backkatalog-Binging erschließen, obwohl das allemal einen schönen Zeitvertreib darstellt. Nein, eigentlich reicht es bereits aus, die unterschiedlichen Cover-Artworks der knapp 30 verschiedenen Releases zu begutachten, um die eher esoterisch umrissenen Parameter der Squama-Ästhetik intuitiv zu verstehen. Angefangen mit den gedeckten, satten Farben von »Ulaan« bis hin zu Typografie-Experimenten und einem augenzwinkernden Zitat des ikonischen »Blue Monday«-Sleeves für »Impromptu« von Julian Klaas sehen die Alben so aus, wie sie klingen – was eben nicht heißt, dass in die Klischeekiste gegriffen würde.

»Der Begriff Squama bezeichnet unter anderem das Muster, dass sich durch Fischschuppen ergibt

Es ist natürlich kein Zufall, dass ein von einem Grafiker mitbegründetes Label Musik und Visuelles eng zusammenführt und tatsächlich drückt sich das bereits in seinem Namen aus. »Der Begriff Squama bezeichnet unter anderem das Muster, dass sich durch Fischschuppen ergibt«, erklären die beiden mit Verweis auf das Cover von Fazers Zweitwerk »Nadi«, der ersten offiziellen Katalognummer. Darauf zu sehen: ein Fischschwarm. Und, so viel Traditionsbewusstsein muss eben doch sein, sie zitieren Manfred Eicher von ECM, der die ikonischen Cover-Artworks seines Labels statt als Illustrationen der Musik als »invitations«, als Einladung zum Hören verstanden haben wollte. »Wobei wir nicht wie ECM eher neutrale Artworks verwenden, sondern viel Zeit investieren, um eine passende visuelle Übersetzung zu finden, die über eine spannende Idee die richtigen Leute anspricht«, fügen die beiden hinzu.

Kollaborativer Austausch

Squamas vielfältige Verbindungen in die Designbranche und die Kunstwelt haben schon in vielen unterschiedlichen, immer aber ähnlich hoch ambitionierten Nebenprojekten resultiert. Im Rahmen seiner Arbeit lernte Schachtner etwa Robert Eikmeyer vom Verlag Brigade Commerz kennen, der mit Squama für die Veröffentlichung der 12″-Single »I Was Born Under A Wand’rin’ Star« des noch eher berüchtigten als nur berühmten bildenden Künstlers Martin Kippenberger zusammenarbeitete. In der mittlerweile von Squama unter dem Namen SQMX besorgten Serie folgten daraufhin zwei Zusammenarbeiten von Oliver Augst mit niemand anderem als Raymond Pettibon, selbst der Illustrator und Designer einiger der prägendsten Albencover und Bandlogos der Musikgeschichte.

Die im kleinen Format und doch mit großen Ambitionen geführte Reihe, in dessen Rahmen Pettibon schon Songs von Charles Manson und Eden Ahbez neu interpretiert hat, unterstreicht erneut, dass die Verbindung zwischen Musik und Visuellem vom Squama-Team nicht als Einbahnstraße konzipiert ist. Der Verkehr läuft in beide Richtungen, und das bisweilen jeweils dreispurig. »Wir haben ein ganzheitliches Verständnis von Alben in dem Sinne, dass Musik, Artwork, Videos und Fotos ineinander greifen und zugleich verschiedene Ebenen darstellen«, erklären die Betreiber. »Uns geht es dabei weniger um die Rentabilität, als vielmehr um die Kultur der Sache. Wir wollen, dass die Musik und die Objekte gut sind – auch wenn es bedeutet, dass es manchmal etwas mehr kostet.« 

»Wir haben ein ganzheitliches Verständnis von Alben in dem Sinne, dass Musik, Artwork, Videos und Fotos ineinander greifen und zugleich verschiedene Ebenen darstellen

Der holistische Ansatz ist auch dann am Werk, wenn das Label Selbstvermarktungsgelegenheiten unter Mehraufwand dazu nutzt, Kunst und Künstler:innen voranzubringen. Für die Ausstellung »Squama: B-Sides« in der Tokioter print gallery wollten Schachtner und Brugger mehr als nur ein paar Cover-Artworks ausstellen. »Analog zum Prinzip Remix in der Musik hat Max mit ihm befreundete und/oder von ihm bewunderte Designer:innen gebeten, aus dem Squama-Archiv neue Arbeiten zu kreieren«, berichtet Brugger. Die so entstandene Ausstellung brachte zehn Künstler:innen aus verschiedenen Ländern zusammen, um einen hierarchiefreien Austausch anzustoßen. »Beim Musikmachen sind ja meistens auch mehrere Leute beteiligt, zumindest bei uns, und diese Art des kollaborativen Austausch wollte Max auf der Gestaltungsebene der Ausstellung verwirklichen«, heißt unisono seitens der Betreiber.

Die Zusammenarbeit mit anderen prägt auch das Schaffen der international bekanntesten Squama-Künstlerin, Enji, die in diesem Sommer mit ihrem musikalischen Langzeitpartner, dem Fazer-Mitglied Simon Popp, neues Material auf dem Label veröffentlichen wird. Als Nachfolger der von Discogs-Sharks hoch gehandelten EP »031921 5.24 5.53« stellt »Nant« das eigentliche Debüt des nunmehr Poeji getauften Kollaborationsprojekts dar. Wer bisher nur mit dem Werk der Sängerin vertraut war, dürfte einige Überraschungen erleben. Doch ist die mystisch-verklärte Interpretation dessen, was vor einigen Jahren noch Dark Jazz genannt worden wären, durch das zwischen wortlosen Vocals und zurückhaltender perkussiver Eleganz vermittelnde Duo die Quintessenz dessen, was Squama als Label ausmacht: holistisch gedacht, der Kultur statt der Rentabilität gewidmet.