Label Watch: Patience/Impatience

30.05.2024
Das eine widmet sich Langstrecken-Kompositionen, das andere (relativ) konventionellen Alben. Was die beiden Labels von Glen Goetze verbindet: Sowohl Patience als auch Impatience dienen als Plattformen für abenteuerliche, stiloffene Musik.

Geduld ist eine Tugend. Das gilt erst recht in einer schnelldrehenden Kultur, die das Bremspedal durch einen Turbo-Boost ersetzt hat. Der in New York City lebende Australier Glen Goetze kennt sich mit der Musikindustrie aus und kann mit ihrem Tempo bestens mitgehen. Mit seinen beiden Labels Patience und Impatience tut er das jedoch (vergleichsweise) langsamer als die meisten anderen. Ersteres widmet sich langen Stücken von Synth-Wizards, Pianisten oder abenteuerlustigen House- und Techno-Produzent:innen, letzteres präsentiert die Arbeit von Musiker:innen, die sich sowohl stilistisch wie auch hinsichtlich der durchschnittlichen Tracklänge einem (schon eher) konventionellen Ansatz widmen.

Goetze wuchs in einer anderen Zeit auf, lernte Musik noch aus Print-Magazinen und alternativen Radios kennen, war Dauergast bei Gigs in seiner Gegend. Er verliebte sich in Beck und die Beastie Boys sowie in »alles Australische, das in einer ähnlichen Welt stattfand«, wie er heute sagt. Dazu gehörten auch The Avalanches, deren im Jahr 1997 veröffentlichte EP »El Producto« sich für ihn und seine Klassenkamerad:innen als Offenbarung erwies. »Sie klangen wie die australischen Beastie Boys, und wir waren total besessen!«. Der sampledelische Sound der Gruppe aus Melbourne, insbesondere das bahnbrechende Album »Since I Left You« aus dem Jahr 2000, hinterließen ebenso wie die DJ-Sets der Band einen bleibenden Eindruck bei Goetze. Er begann, als Musikkritiker über neue Releases zu schreiben, und arbeitete während seines Studiums bei einem lokalen Radiosender.

In dieser Zeit fiel Goetze auf, dass die Veröffentlichungen von The Avalanches sowie die Platten von Cut Copy und New Buffalo dasselbe Logo auf der Rückseite trugen: Modular stand dort in kantigen, futuristisch anmutenden Buchstaben. »Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich die Idee eines Plattenlabels wirklich verstand.« Goetze absolvierte ein Praktikum bei der australischen Institution und arbeitete im Anschluss dort, wann immer es sein Studium zuließ, bis er schließlich als A&R eingestellt wurde und Credits auf Platten wie »Currents« von Tama Impala oder »Apocalypso« von The Presets sammelte. Modular wurde im Jahr 2015 eingestellt, und Goetze heuerte beim größten Musikunternehmen der Welt, Universal, an. Die Lektionen, die er während seiner Zeit bei Modular gelernt hatte, erwiesen sich als wesentlich für das Projekt, das er im Jahr 2019 startete: Patience.

Lange, eigene Dinger machen

»Ich habe bei Modular wirklich alles gelernt, was ich über die Veröffentlichung von Platten weiß«, sagt Goetze heute. »Eine der wichtigsten Lektionen war, nur Platten zu veröffentlichen, die einem wirklich gefallen.« Er liebe die Arbeit mit seinen Künstler:innen zwar, betont er, finde aber das System der Major-Labels »nicht besonders inspirierend«. Deshalb machte er sich daran, ein eigenes Imprint zu gründen. »Zu dieser Zeit hatte ich ein Faible für längere, deepere, meditativere Musik«, erinnert er sich. »Musik, die ich auflegte, um alles um mich herum zu vergessen, in der ich mich wirklich verlieren konnte.« Alben wie Manuel Göttschings stilprägendes »E2-E4«, Steve Reichs Komposition »Music for 18 Musicians« und »jede Platte von The Necks« dienten als »Talismane«, die den Maßstab für die Art von musikalischem Ansatz setzten, für den Patience als Plattform dienen sollte.

Ich finde die Arbeit von Major-Labels nicht besonders inspirierend.

Glen Goetze (Patience Label)

Wer den ebenso schlanken wie abwechslungsreichen, dank der markanten Artworks von Luca Schenardi leicht wiedererkennbaren Backkatalogs des Labels durchstöbert, wird sich mit dem wilden Mix vielleicht schwertun. Die vor allem als Techno- und House-Produzentin bekannte Johanna Knutsson huldigt dort der Berliner Schule, während der Komponist Misha Sultan Gamelan-Instrumente für langgezogene Jams mit funky Basslines verwendet. John Carroll Kirby derweil malt am Klavier impressionistische Klangbilder der Toskana, während Dennis Schulze von CV Vision mit seiner ausgesprochen psychedelischen Lo-Fi-Interpretation von Kosmischer Musik sehr fränkische Vibes versprüht. »Bei Patience ging es nie um ein bestimmtes Genre oder einen bestimmten Stil, sondern eher darum, unterschiedlichen Ansätzen ein gemeinsames Format zu bieten«, sagt Goetze. Heißt: Füllt es mit einem oder maximal zwei Stücken eine Platte, ist es zur Veröffentlichung geeignet.

Geduld als self-fullfilling prophecy

Im Jahr 2022 gründete Goetze jedoch ein Geschwisterlabel mit dem augenzwinkernden Namen Impatience. Über dieses Label hat er eine Reihe von Alben von Künstler:innen veröffentlicht, die sich an ein Publikum mit einer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne wenden. Es handelt sich um Platten, die einer eher konventionellen Formel folgen – was keineswegs bedeutet, dass Goetze’ Idee dahinter in irgendeiner Weise konventionell war. »Ich stellte mir wirklich kurze Musikstücke vor, 30-Sekunden-Tracks, aber das fühlte sich kitschig an«, sagt er. Als aber A.R. Wilson, besser bekannt als Andras, ihm einen Entwurf des Albums »Old Gold« schickte, hatte er genau die richtige Platte gefunden, um damit Impatience aus der Taufe zu heben. »Wie alles, was Andy macht, war das Konzept dahinter anspruchsvoll, es ging jedoch darüber hinaus. Es ist einfach ein wirklich einzigartiges, schönes, exploratives Album.«

Auf die Veröffentlichung des Albums »Old Gold« folgten weitere wie »Hisyochi« von Hoshina Anniversary – der einzige, aber laut Goetze wohl nicht letzte Künstler, der auf beiden Labels veröffentlicht hat, nachdem er Demos »im Wert von mehreren Alben« eingesandt hatte – oder »Odd Balade« von Tryphème mit seiner eindrücklich spärlichen Interpretation von Gothic-inspiriertem Dream Pop. Nach und nach erschienen immer mehr Alben auf dem neu gegründeten Ableger als auf dem Label, mit dem alles angefangen hatte. »Bei den Patience-Veröffentlichungen handelt es sich quasi um Auftragsarbeiten, für die ich die Leute anspreche und frage, ob sie etwas in diesem speziellen Format haben oder daran interessiert wären«, erklärt Goetze das. »Impatience-Veröffentlichungen entstehen etwas unkomplizierter.«

»Ich habe das Gefühl, dass ich mit dem Namen einen Fluch auf mich gelegt habe, und muss mich einfach damit abfinden und der Philosophie folgen«

Glen Goetze (Patience Label)

Ob bei seiner Arbeit mit Patience oder Impatience: Als erfahrener A&R pflegt Goetze ein freundliches und respektvolles Verhältnis zu seinen Künstler:innen. »Ich versuche lediglich dabei behilflich zu sein, das bestmögliche, authentischste Endresultat zu ermöglichen«, sagt er. Schließlich werden beide Projekte mit Herzblut angetrieben – Goetzes Brotjob finanziert die Labelarbeit, die wirtschaftlich alles andere als rentabel ist. Lange Musikstücke bringen traditionellerweise nicht viel Streaming-Gelder ein und die steigenden Preise für die Vinylproduktion stellen ein zusätzliches Problem dar. Während Impatience derzeit weiterläuft, hofft Goetze allerdings, auch Patience in Zukunft wieder mehr zu pflegen; die letzte Veröffentlichung dort kam im Herbst 2022 heraus. »Ich habe das Gefühl, dass ich mit dem Namen einen Fluch auf mich gelegt habe, und muss mich einfach damit abfinden und der Philosophie folgen«, sagt er. Zur Tugend gezwungen, sozusagen.