Die Reissue-Gemeinde hat viele Idole und Ikonen in den letzten Jahren hervorgebracht. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Sammler*innen und Digger, harte Arbeiter*innen mit detektivischem Charme und Methoden, kühne Beobachter*innen der Szene sind. Den Finger immer am Puls der Zeit liegend.
Töpfern und John Peel
Einer der profiliertesten unter ihnen ist der Engländer Stuart Leath – von manchen nur »Chuggy« genannt. Sein Erweckungserlebnis: während seine Mutter töpferte, lauscht Stuart, Jahrgang 1970, dem Radioprogramm. Vor allem John Peel und seiner Sendung. Hier lief Musik, die neu und besonders, cool und innovativ war. Schon bald kaufte er sich die ersten eigenen Platten.
Spätestens als die Dance-Musik aufkam, war es um ihn geschehen – mittenrein in den Summer of Love 1988. Eigene Ambitionen standen dabei erstmal hinten an, es ging um das Feiern der aufregenden Musik. Es sollten noch fast ein ganzes Jahrzehnt dauern bis Leath Ende der Neunziger seine eigene Partyreihe im Londoner Chinatown startete und professionell auflegen sollte.
Emotional hoch 2
Fast Forward: Die Nullerjahre liegen hinter uns, die Zehner vor uns. Stuart Leath fasst einen Plan fasst. Verrückt, aber machbar: Warum nicht ein Plattenlabel aus der Traufe heben? Oder besser noch: Warum nicht gleich zwei? Als leidenschaftlicher Plattensammler hatte er mittlerweile eben nicht nur Kontakt zu vielen tollen Künstler*innen aufgebaut, die er jederzeit mit ihren organischen, semi-retro, exotischen Entwürfen herausbringen wollte.
Er hatte auch eine ganze Stange an alten Platten, die einer Neuauflage bedurften. »Diggergold«, unerschwinglich, wenn überhaupt noch erhältlich. War er in den späten Achtzigern in Dance und House aufgegangen, reichten seine emotionalen Wurzeln weiter zurück: Zu jenen Abenden vor dem Radio mit John Peel. Eine emotionale Rettungsaktion startete, der Name offensichtlich: Emotional Rescue. Und für die neue Musik entstand als Zwillingslabel dann: Emotionale Response.
Scheitern als Chance
Nun ahnt man schon, dass man neben einer gefühlvollen Seite auch eine hart-ackernde braucht. Er bemerkte schnell, dass es ein arbeitsreiches Geschäft ist: »Es gibt eine ganze Menge an Platten, die ich wieder zu veröffentlichen versucht habe und gescheitert bin – einige davon erschienen dann später woanders.«
»Ich habe jedes Jahr in Angriff genommen als wäre es das letzte und deswegen glaube ich nicht, dass ich es nochmal zehn Jahre machen werde. Noooooooo.«
Stuart Leath
Ein Beispiel gefällig? Vor acht Jahren versuchte er »For A Reason« von Lifetones (Charles Bullen) zu veröffentlichen – für ihn eine exzeptionelle Platte des Post-Punk-Dub-Genres. Nach Monaten des Forschens fand er die Adresse des Musikers, schrieb einen Brief mit frankiertem Rückumschlag und schmiss ihn sogar persönlich ein. Einen Tag später lag der Rückumschlag in der Post: Drin war nur sein eigener Brief. »Eine sehr charmante Art Nein zu sagen.« Genau diese harte Arbeit ist aber auch Antrieb für das Geschäft, so entstehe eine tiefe Verbindung zu den Musiker*innen und dem Endergebnis.
Lauter Lieblingsplatten
So kann er sich kaum einschränken, welche Platte, denn sein Favorit sei: »Also die Woo-LPs oder das Jorge Reyes-Album werden häufig hervorgehoben, aber alle haben ihren Platz in meinem Herzen. Die Konduko-Serie startete mit drei 12“s und läuft seitdem immer weiter«. Er fährt fort: »Ich persönlich liebe die zwei Furniture-EPs; außerdem Dunkelziffer, Suns Of Arqa, Jaki Whitren, Mouth, Jah Wobble, Vox Populi!, Glen Adams, Michael Stearns, Luis Delgado und Luis Paniagua, Man Jumping, Sugar Minott. – Es ist eine lange Liste.«
Eine Aufzählung, die sein vielgestaltiges und breitgefächertes Interesse in Musik abbildet. Dieses Interesse ist derweil überschäumend, weshalb es nicht bei den beiden Plattenlabels blieb, sondern weitere Früchte trug: [Emotional] Espacial und Emotional Relish gibt es noch. Außerdem Mysticisms (spezialisiert auf House) und Sacred Summits, das er zusammen mit seinem Freund Lindsay Todd von Firecracker betreibt.
Bilanz nach zehn Jahren
Stuart Leath hätte nie gedacht, dass die Labels mal zehnjähriges Jubiläum feiern könnten – weswegen sich das das diesjährige Jubiläum wie ein Höhepunkt anfühlen würde. Es gäbe da noch einige Platten, an denen er seit langem arbeite. Eine Platte mit Brenda Ray zum Beispiel, die er schon 2011 kontaktiert habe.
Ob er ewig so weitermachen wolle? »Ich habe jedes Jahr in Angriff genommen als wäre es das letzte und deswegen glaube ich nicht, dass ich es nochmal zehn Jahre machen werde. Noooooooo«, erzählt er. Dann verabschiedet er sich in den wohlverdienten Jubiläumsurlaub. Mal schauen, ob er seine Meinung nicht doch noch ändert – es wäre zu hoffen.