Label Watch: ECM Records

23.02.2023
Das Label ECM ist eine feste Größe in der Welt des Jazz, der Klassik und der Musik dazwischen. Auf Namen wie Keith Jarrett, Jan Garbarek oder Arvo Pärt hat es sich nie reduzieren lassen, sein Kosmos erweitert sich ständig.

ECM. Wer den Namen des Labels hört, denkt zunächst an europäischen Jazz mit einem ganz eigenen Sound. Und von dort aus an ein sehr hohes Niveau an Toningenieursarbeit, die der Labelchef und Produzent Manfred Eicher zum Markenzeichen von ECM gemacht hat. Am Anfang der 1969 in München gegründeten Edition of Contemporary Music, wie sich das Kürzel ECM ausbuchstabieren lässt, stand allerdings kein Musiker aus Europa, sondern der damals in der bayerischen Landeshauptstadt lebende amerikanische Pianist Mal Waldron. Das mit seinem Trio im Ludwigsburger Studio Bauer eingespielte »Free at Last« von 1970 war, anders als der Titel nahelegt, keine Free Jazz-Platte. Waldrons Modern Jazz gab sich eher zurückhaltend und introspektiv. Davon sollte bald mehr folgen.


Schon mit dem siebten Katalogtitel »Afric Pepperbird« kam ein Künstler zu ECM, der das Label bis in die Neunzigerjahre prägen sollte. Der norwegische Saxophonist Jan Garbarek, anfangs noch ein Vertreter des Hard Bop und anderer wilder Jazz-Spielarten, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem Repräsentanten des »ECM-Sounds«. Die Musik löste sich von Jazzkonventionen, doch anders als im Free Jazz setzte Jan Garbarek weniger auf die anarchische Aufhebung formaler Grenzen. Er konzentrierte sich auf flächige Klänge, langsame, gern elegische Melodien, festgehalten mit einen resonanzreichen Aufnahmestil, der zugleich sehr sauber und leicht hallig war. Keine stickige Jazzclub-Atmosphäre, die Musik schien aus einem holzgetäfelten Konzertsaal oder einer mittelgroßen Kirche zu kommen.

Raumklang für Eigenbrötler


Zum Synonym für ECM wurde dann das »Köln Concert« des amerikanischen Pianisten Keith Jarrett von 1975, ein unter widrigen Bedingungen in der Kölner Oper entstandenes Live-Album, auf dem Jarrett noch einmal ganz anders frei mit dem Jazz umging als Garbarek. Denn Jarrett improvisierte wirklich »frei«, mit sich spontan entwickelnden Melodien oder repetitiven Patterns, die man nicht automatisch dem Jazz zuordnen konnte. Und das alles sehr harmonisch und eingängig, was zu seinem Erfolg weit über Jazzhörerkreise hinaus beitrug. Auch wenn Jarrett zwei Jahre zuvor mit den „Solo Concerts: Bremen/Lausanne“ mit ähnlich spontanen Ansätzen der Durchbruch gelungen war, wurde das »Köln Concert« zum Goldesel von ECM. Mit 4 Millionen Exemplaren gilt es als das meistverkaufte Soloalbum des Jazz.


Ein mindestens ebenso wichtiger Name für ECM ist der Bassist Eberhard Weber. Neben seiner Fusion von Klassik und epischem Jazz, etwa auf seinem Debütalbum »The Colours of Chloë« von 1973, gilt er mit dem ungewöhnlichen Klang seines Instruments, einem plastisch federnden E-Kontrabass, als Geburtshelfer des ECM-Sounds. Sein Werk ist bis heute einzigartig im Jazz und ein Höhepunkt im ECM-Kosmos. Auch wenn diese klare und kontrollierte Ästhetik manchem Hörer irgendwann zu viel wurde, kann man in dieser Herangehensweise einen Vorgriff auf längst Selbstverständliches sehen: Die gezielte Arbeit am Klang hat in der Musik inzwischen eine Dimension angenommen, die ganze Genres bestimmt.

»Die gezielte Arbeit am Klang hat in der Musik inzwischen eine Dimension angenommen, die ganze Genres bestimmt.«


Aber auch weniger Geneigte kommen an ECM nicht vorbei. Denn das Haus beherbergt eine Reihe von Jazzgrößen, darunter so unterschiedliche Gitarristen wie die »Big Three« Bill Frisell, Pat Metheny und John Scofield, die mit dem Label groß geworden sind (Frisell, Metheny) oder ihm seit langem verbunden sind (Scofield). Oder der eher stille John Abercrombie, der bis zu seinem Tod 2017 auf ECM veröffentlichte und sogar Gitarrensynthesizern Poesie entlocken konnte. Auch Einzelgänger an den sechs Saiten wie David Torn oder der norwegische Gitarrist Terje Rypdal wären beispielhaft zu nennen.


ECM hat sich schon früh für exzentrische musikalische Positionen interessiert. So gehört die stilistisch schillernde Pianistin Carla Bley ebenso zum Label wie die zwischen den Stühlen wandelnde Performance-Künstlerin Meredith Monk. Von letzterer ist unlängst eine große Box mit ihren Alben erschienen. Auch ein Hauptwerk der Minimal Music, Steve Reichs »Music For 18 Musicians«, erschien in seiner ersten Einspielung von 1978 bei ECM. Und einer der großen noch zu entdeckenden Klavierzyklen des 20. Jahrhunderts, Hans Ottes an den Minimalismus anknüpfendes »Buch der Klänge«, wurde vom Pianisten Herbert Henck mit sensibler Eleganz interpretiert.

Musikalische Außenseiter osteuropäischer Länder

Seit den Achtzigerjahren entwickelte sich das Label zudem zu einer Adresse für musikalische Außenseiter aus osteuropäischen Ländern, angeführt von dem Esten Arvo Pärt. Dessen Album »Tabula Rasa« war 1984 der Startschuss für das Sublabel ECM New Series und erweiterte das Spektrum um Stimmen der Neuen Musik, die nach der Avantgarde oft zu harmonisch grundierten Stilen gefunden hatten – allen voran der Georgier Giya Kancheli und der Ukrainer Valentin Silvestrov – oder, wie der Ungar György Kurtág, einen sehr eigenwilligen modernen Entwurf vorlegten. Ein weiterer Ungar, der Pianist András Schiff, hat dazu beigetragen, dass ECM Referenzaufnahmen von Beethoven oder Bach vorweisen kann. Erst kürzlich veröffentlichte Schiff eine Aufnahme von Bachs Werken mit dem Titel »Clavichord«, dem von J. S. Bach bevorzugten Tasteninstrument.


ECM mag auf den ersten Blick als Institution – und wegen der einheitlich zurückhaltenden Covergestaltung – monolithisch erscheinen, ist aber nie stehen geblieben. Von den jüngeren Namen bei ECM sind es unter anderem der dänische Gitarrist Jakob Bro, der Schweizer Pianist Nik Bärtsch oder die deutsch-iranische Sängerin Cymin Samawatie, die das nach wie vor unabhängige Label im Sinne einer Weiterentwicklung der Tradition mit eigenem Charakter prägen. Aber auch Keith Jarrett, der sich für den Erfolg des »Köln Concert« später mit öffentlicher Verachtung seines Werks bedankte, steuerte erst 2022 ein neues Album bei: das »Bordeaux Concert«.