»Ich wollte mein Album so machen, dass die Leute nach dem Hören wissen, wer ich bin. Sollte ich am Releasetag sterbe…«. Das sagt Kutmah an einem angenehmen Sommertag und meint es todernst. Seit über zehn Jahren veröffentlicht Justin McNulty Musik, lebt noch länger vom Auflegen, betreibt ein Label und war integraler Bestandteil der Beatszene in Los Angeles in den brodelnden 2000ern. Seine Party-Reihe »Sketchbook« war der Vorläufer von »Low End Theory«, Brutstätte für die LA-Beat-Szene um Künstler wie Ras G Daedalus oder Flying Lotus Ein Album hat Kutmah noch nicht veröffentlicht – bis jetzt. Mit »TROBBB!« (The Return Of The Black Belly Button) ist sein langerwartetes Debüt auf Big Dada erschienen. Geholfen haben Jonwayne Bradley Zero, Gonjasufi und vor allem Natureboy Flako
Eine halbe Stunde sollte das Interview dauern. Mittlerweile lümmeln wir seit vier Stunden durch Berlin, bevor überhaupt das Diktiergerät ausgepackt wird.
Natürlich werden auch Platten geshoppt. Gekommen ist er für »Play This Only At Night« von Barrio, hängen geblieben bei Brazil-Reissues Punkrock und deutschen Beat-Scheiben (er schätzt Producer wie Dexter und Suff Daddy sehr). Scheuklappen kann man dem in Brighton geborenen, in Los Angeles aufgewachsenen und dann zurück nach Europa gesiedelten McNulty nicht vorwerfen. Selbst das von mir aufgeschwatzte »BRP 56« von Taktloss sei genau sein Ding, auch wenn am Ende aus finanziellen Gründen vieles zurück in die Regale wandert. Auf irgendeinem windstillen Betonklotz jenseits des Boxhagener Platzes kommen wir dann endlich zur Ruhe und reden über seine fast zwei Jahrzehnte überspannende Musikkarriere, die Beat-Szene LAs und »TROBBB!«.
Hey Kutmah, was geht so in Berlin?
Kutmah: Ich habe hier gerade mein Album fertig gemacht und verbringe seit zwei Jahren viel Zeit hier. Ich komme endlich auf den Vibe der Stadt klar. Bisher find ich’s echt dope! Überall ist Graffiti, das liebe ich.
Hat dich die Stadt bei deinem ersten Album beeinflusst?
Kutmah: Jein. Natürlich spielt der Kontext dabei immer eine Rolle, aber ich habe nicht sonderlich viel unternommen, außer zu Hause am Album zu sitzen. Vor allem im Winter. Die Arbeit am Album hat im November begonnen, es war kalt, hat geregnet. Und dann über Weihnachten waren die einzigen beiden Leute, die ich in dieser Stadt kenne, für einen Monat unterwegs. Ich hatte zu der Zeit kein Internet und konnte nicht mit Freunden und Verwandten skypen. Ich war hier ziemlich alleine. ich konnte auch keine Musik im Internet hören, nur über Plattenspieler. Damals habe ich im Prinzip nur drei Alben rauf und runter gehört, die dann am Ende eine schöne Inspiration wurden.
Welche drei waren das?
Kutmah: Das erste Album von Suicide auf Red Star, dann Madlibs »WLIB: King of the Wigflip« – nicht sein bestes Album, aber eines, das ich nicht auf dem Schirm hatte. Es hat mich insofern beeinflusst, als dass das Album mit einem Sample von den Residents anfängt, so Post-Punk-Cold-Wave-Kram. Dann kommt klassischer Rap, dann Soul, dann wieder seltsame elektronische Sache. So wollte ich das auch bei meiner Platte haben. Dir dritte Platte war, glaube ich, »Eden’s Island« von Eden Ahbez auch wenn auf dem Album nichts wirklich so klingt. Außerdem habe ich öfters »Dead Man« von Jim Jarmusch geguckt, weil mir die Geschwindigkeit des Films gefällt.
Auch ein Einfluss für das Album?»J-Rocc zu battlen ist ungefähr das Gruseligste, das ich mir vorstellen kann.«
Kutmah
Kutmah: Ja, auf dem dem Album klingen für mich auch die buntesten Tracks als wären sie schwarz/weiss. Es gibt diesen einen Film, den ich liebe, der heißt »Bad Boy Bubby«.Es geht um diesen Mann, der noch zu Hause wohnt, von seiner Mutter misshandelt und vergewaltigt wird und nie nach draußen durfte. So geht das die ersten 40 Minuten des Films, wirklich schwer anzugucken, richtig brutal. Aber dann flüchtet er, wird ein Rockstar und gründet eine Familie, ein komplettes Hollywood-Happy-End. Bei meinem Album ist es ähnlich weil die ersten 20 Minuten ziemlich düster sind. Es gibt da auch spacige Beat-Sachen, aber es ist schon ziemlich heavy. Und dann kommt irgendwann ein Twist in der Story.
Hat sich dein Leben geändert, als das Internet wieder funktionierte?
Kutmah: Auch als ich wieder Internet hatte, habe ich vieles ignoriert. Ich habe mein Label komplett schleifen lassen, ich hatte kein Privatleben, ich hab mich nur auf das Album konzentriert. Das liegt auch daran, dass ich nicht wirklich Producer bin. Ich meine, ich kann ein Beattape machen: Gib mir ein Wochenende und ich mache dir ein Beattape. Aber bin das wirklich ich? Ist das meine Persönlichkeit? Ich wollte etwas machen, was zu 100% ich bin. Und wenn die Leute es nicht mögen ist das auch cool, dann mögen sie halt mich nicht. (lacht)
Waren diese hohen Ansprüche an ein Album verglichen mit EPs oder Beattapes auch ein Grund, warum es so lange gedauert hat, bis dein Debüt-Album erschienen ist?
Kutmah: Definitiv Mann! Die Platte war im Prinzip auch ein Jahr zu spät bei Ninja Tune. Ich habe insgesamt drei Versionen eingereicht und sie haben alle abgesegnet, was ziemlich selten ist. Nachdem ich die zweite Version eingereicht habe, komme ich also nach Hause und sehe, dass ich vier Tracks in meinem Postfach habe: Bradley Zero hatte einen Track gesendet, Gonjasufi, Ta’Raach und Akello G hatten Vocals geschickt. Als änderte sich über Nacht plötzlich alles. Vor allem war das so knapp vier Monate, nachdem ich die Leute angehauen hatte. Ich kann sie ja nicht stressen, wenn ich sie nicht bezahle. Jeder, der beim Album mitgearbeitet hat, ist ein Freund.
Wo wir gerade beim Thema Ninja Tune und Big Dada sind: Ich habe da ja vor allem die 90er Trip-Hop-Assoziation…
Kutmah: Ich hasse das Wort Trip-Hop, aber liebe das Genre. Ich habe tatsächlich 1997 angefangen aufzulegen, im selben Jahr als Big Dada gegründet wurde. Damals war das Label so ziemlich die Heimat von seltsamem Leftfield Hip-Hop. Ich spielte damals viele Mo’Wax-Sachen auf 45 rpm und House auf 33. Ich wollte mich von anderen DJs wie J-Rocc, den ich damals jede Woche sah und der für mich der beste DJ des Planeten ist, absetzen. Einmal hab ich gesehen, wie J-Rocc eine ganze Crew von DJs battlen wollte, die Scheiße über die Beat Junkies geredet haben. Er meinte »Yo, ich battle euch alle, der Gewinner bekommt alle Platten der anderen und die Verlierer dürfen nie wieder in LA spielen.« Die Typen sind natürlich sofort abgehauen. Wäre ich auch! Das ist ungefähr das Gruseligste, das ich mir vorstellen kann.
Kutmah: Das erste, was ich auf dem Label hörte, war »Brand New Second Hand« von Roots Manuva Aber auch K-The-I???, Antipop Consortium sind Legenden. M. Sayyid ist einer der besten MCs aller Zeiten. Auch DJ Spooky oder das Label Asphodel. Oder das einzige King-Geedorah-Album. Verdammt, Saul Williams hat auf Big Dada veröffentlicht, der ist ein Gott für mich. Das lustige ist, dass ich mittlerweile mit vielen von diesen Leuten abgehangen habe und sie alle super chillig sind. Man trifft so viele Künstler, die Dickheads sind.
Du hast bisher fast alle Cover für deine Releases gezeichnet. Wie kam es, dass du für dein Debüt nicht selbst zum Stift gegriffen hast?
Kutmah: Das ist ein Foto von einer alten Freundin namens Angela. Wir waren in der High School zusammen. Ich wollte damals Fotograf werden und hatte hunderte Fotos zu Hause. 2008 ist dann meine Wohnung abgebrannt. Alle meine Zeichenblöcke, alle meine Kunst, alle meine Fotos sind weg, außer vielleicht 100 Stück von meiner Familie, die ich retten konnte. Die Ecke des Fotos ist auch etwas angebrannt. Es ist eines der wenigen Fotos, die dieses Feuer überlebt haben. Außerdem sollte es ein bisschen wie eine komische Punk-Platte wirken – was glaube ich scheitern wird, weil die Platte nicht so aggressiv klingt, wie sie aussieht. Es sollte kalt und grau wirken. Vielleicht war das auch Berlin.