Kitty Pryde & Glass Popcorn – Ein viel geklickter Witz

01.08.2012
Foto:Ruke
Sie sind jung, verpickelt und pfeifen auf die Rap-Kultur: Kitty Pryde und Glass Popcorn sind trotzdem mit ihren Videos schneller durch das Internet geschossen als ein Katzenvideo. Doch was macht den Reiz solcher Internet-Sensationen aus?

Was für Pop Justin Bieber und für Rock die Jonas Brothers (gibt es die eigentlich noch?) sind, das ist für Rap wohl bald Kitty Pryde. Das Mädchen ist 17 Jahre alt, hat rotes Haar und ein Faible für Hello Kitty und Dannie Brown. Auf »Okay Cupid« rappt sie über einen Beat des texanischen Producers Beautiful Lou. »Rappt« – es fällt nicht leicht das zu schreiben. Das Video zu »Okay Cupid« raste schneller durch das Internet als jedes Katzenvideo: Rap hat einen neuen Kult-Star, die großen Labels stehen Schlange.
Noch extremer nutzt Glass Popcorn, ein anderer Teenager, die Vorlieben der Internet-Gemeinde aus. Entweder er hat mit seinen 14 Jahren schon komplett den Verstand verloren oder der Junge hat kapiert wie es läuft. Auf Facebook bezeichnet sich das Pickelgesicht mit den blonden Strähnchen als »The Art World‘s Justin Bieber«. In seinem Video zu »Goin‘ Hamburger« hagelt es GIFs mit den Olsen-Twins, Drake und Mike Tyson. Ein 14-jähriger verwendet gezielt pop-kulturelle Referenzen und rappt über Hamburger. Besser könnte man das moderne Showgeschäft kaum persiflieren. Wenn der Song dann noch, wie auf YouTube angegeben, wirklich von Lex Luger produziert ist, muss man sagen: Der Junge hat es verstanden.

Aber was macht ihren Reiz aus? Ein besonderes musikalisches Talent kann man weder Kitty noch Glass Popcorn (obwohl sein ATL-Flow nicht schlecht für ein white boy ist) attestieren. Es muss also etwas anderes sein. Auf der Suche nach dem Reiz muss man sich zunächst ihre Anhänger anschauen. Die unterteilen sich in zwei Lager: gleichaltrige und ältere Zeitgenossen. Die Erwachsenen-Fraktion klickt »Okay Cupid« an, weil es auf unschuldige Art und Weise eine Perversion anspricht. Nennen wir diese der Einfachheit halber Lolita-Komplex. Das junge unschuldige Ding experimentiert mit einer Webcam herum und wir gucken direkt in ihr Schlafzimmer. Dort ist alles rosa und glitzernd, aber dort sind eben auch zarte Oberschenkel. Und auch im Song geht es ja nicht darum Bravo-Hefte zu sammeln und Poesiealben vollzukritzeln. Stattdessen heißt es: »I wait for your drunk dials at 3.30 AM, I love them«.
Doch was ist mit den 15-18jährigen? Jene Altersgruppe also, die immer noch eine wichtige Zielgruppe darstellt, wenn es für die Labels darum geht ihre Musik zu verkaufen. Vermutlich

Anstatt sich als Künstler-Personas zu stilisieren, geben sie sich wie tausend andere Zahnspangenträger in den Staaten: Sie hängen mit ihren Freundinnen mal in kitschigen Kinderzimmern und mal in Garageneinfahrten herum und träumen von den Stars und Sternchen.

tritt hier ein kulturelles Phänomen unserer Zeit in Kraft: Jeder darf ein Künstler sein. Durch das Internet verschwimmen die Grenzen zwischen Schaffenden und Beobachtern. Vor allem deshalb, weil neue Technologien jedem erlauben, etwas zu erschaffen. Es steht nicht unbedingt die Qualität im Vordergrund, sondern eine frische Idee, um im Internet »viral« zu gehen. Kitty Pryde und Glass Popcorn sind dafür ein Paradebeispiele. Anstatt sich als Künstler-Personas zu stilisieren, geben sie sich wie tausend andere Zahnspangenträger in den Staaten: Sie hängen mit ihren Freundinnen mal in kitschigen Kinderzimmern und mal in Garageneinfahrten herum und träumen von den Stars und Sternchen. Und trotzdem sieht sie die ganze Welt, die sich entweder damit identifiziert oder das Mädchen beneidet – beides schafft Hype.
Dass die ganze Welt diese Videos »liked«, »shared« und »reblogged« liegt im Endeffekt daran, dass hier ein Produkt angeboten wird, das (scheinbar) leicht zu konsumieren ist . Es ist das »Lil-B-Prinzip«. Der kann sagen, was er will und niemand fragt sich inzwischen mehr, ob er das Gesagte eigentlich ernst meint. Stattdessen lässt man sich unterhalten, lacht ein paar mal flott mit seinen Freunden darüber und wartet bis der Spaß weiter geht. Kitty Pryde macht es nicht anders. Auch sie »flowt« in einer Art Bewusstseinsstrom über die Beats, so abstrus, so weit weg von Rap in seiner Ursprungsform, dass man gar kein Bock hat sich zu fragen: »Meint die das eigentlich ernst?«. Wir hinterfragen zu selten. Kein Wunder, bei dem unbegrenzten Material das uns Facebook/Tumblr/Twitter jeden Tag unter die flimmernden Blicke wirft. Die Zeit noch Fragen zu stellen nehmen wir uns nicht. Wir halten kurz inne, wenn etwas besonders unterhaltsam ist. Und das ist sind die Beiden.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass Jugendliche die große Rap-Bühne betreten. Die Generation davor hatte Lil Bow Wow, noch etwas früher musste man sich mit Kriss Kross herumschlagen. Doch heute ist der Ansatz ein anderer: »I am a terrible lyricist. My music is bad. It’s fun for me. It’s a joke«, sagte Kitty dem Complex. Kitty Pryde und Co. nehmen sich nicht ernst. Während Bow Wow noch ein Erbe antreten wollten, lassen Kitty Pryde und Glass Popcorn die Alten im Heim verkümmern und machen ihr eigenes Ding. Es fehlt die Ehrfurcht vor Rap als Kunstform, die diese Jünglinge erst gar nicht als Maßstab heranziehen. Wer sich abends immer noch an seine Big L-Platten anschmiegt, wird, ob solcher Entwicklungen, einen Brechreiz bekommen. Doch mal ganz abgesehen vom Ergebnis: Durch das Internet sind Schaffensprozesse komplett befreit worden, es könnte kaum einen besseren Zustand für Kreativität geben. Pass auf, vielleicht geht morgen das Nachbarskind Hamburger.