Als im Mai 1966 Brian Wilson mit seinen Beach Boys »Pet Sounds« veröffentlichte und gleich zu Beginn mit seiner »Wouldn’t it be nice if we were older, or could run away and get married«-Attitüde einer Generation von Teenagern aus dem Herzen sang, da schaffte er nach monatelanger Studioarbeit den Brückenschlag zwischen bahnbrechendem Konzeptalbum und zugleich massenwirksamer Partyplatte. Einer der Texter der Platte, Tony Asher fasste das mal so zusammen: »Brian hat immer nach Themen gesucht mit denen die Kids was anfangen konnten. Auch wenn er in den höchsten musikalischen Sphären und Arrangements unterwegs war, war er sich stets unglaublich bewusst über die kommerzielle Seite. Diese absolute Bedingung, dass man damit etwas anfangen können musste.«
48 Jahre später veröffentlicht ein Andalusier, der seit Jahren in Berlin lebt, und vor allem für Beats und Live-Performances für und bei Marteria/Marsimoto bekannt wurde, »Wet Sounds« – und schafft es quasi in voller Bewegung und ohne Unterhaltungsverluste die Gitarre ein weiteres Mal zurück in die elektronische Musik zu bringen. Ihm gelingt eines der wohl konsequentesten Konzeptalben der jüngeren Popgeschichte. Wir trafen ihn am Vorabend der Veröffentlichung.
Auf »Wet Sounds« gibt es einen Track, der ja sozusagen das Genre vorgibt und zugleich der Ursprung der Platte ist: »Surf ‘n’ Bass«…
Kid Simius: …ja, das ist die typische Geschichte. Du machst Beats und dann packst du die auf die Festplatte und vergisst, dass du das gemacht hast. Und eines Tages hab ich das gefunden und fand das total geil. Und dieser Titel, »Surf ‘n’ Bass«… und zack! Heureka! Und dann hab ich den Beat weiterproduziert, weil…
…das schon eine Weile her war…
Kid Simius: (lacht) …oh, eine ganze Weile her. Und dann kam die ganze Idee und war fett und ab da habe ich mich in diese Richtung fokussiert – Fender, Rhodes, Amps, Federhall und dann ging das los. Ein bisschen Gitarre geübt, Surf, Tremolo, die sind gar nicht einfach zu spielen. Am Anfang habe ich die 30 BPM langsamer aufgenommen. Dann ging es besser und irgendwann auch von alleine.
Es gibt dieses Teaser-Material zum Album wo du mit dem Surfbrett im Supermarkt stehst. Jetzt mal abgesehen von dem Genre der Surfmusik, gibt es da einen Kontakt zur Surfkultur in deiner Biographie?
Kid Simius: Auf jeden Fall. Bei uns in Andalusien gibt es viele Surfer. Aber zu denen selbst habe ich keinen Kontakt. Den Kontakt, den ich in diesem Musikgenre gefunden habe, sind die Harmonien. Die haben viel mit spanischem Flamenco zu tun. Und Flamenco kommt aus Andalusien. Und deswegen sehe ich da eine große Verbindung zu meiner Stadt, meinem Leben, meiner Kultur. Die klassische Gitarre ist eine spanische Erfindung. Da ich auch nicht in Spanien wohne und manchmal meine Heimat vermisse, war das für mich auch perfekt, um mich in Berlin zu Hause fühlen zu können. Als ich begonnen habe die Surfplatte zu machen, habe ich natürlich nur Surfplatten gekauft und alle Surfmusik die in den Sechzigern gemacht wurde, da sind ganz viele Riffs vom Flamenco drin. Was ich wirklich nicht weiß, ist, warum? Warum haben die Amis in California das gemacht?
Kalifornien ist ja extrem durch die spanische Kolonialherrschaft und die ersten spanischen Einwanderer geprägt. Los Angeles, San Francisco, das sind ja alles spanische Namen…
Kid Simius: (spielt einen amerikanischen Surf-Track aus den Sechzigern auf seinem Handy ab) Wenn du das hörst, würdest du sofort sagen: Spanien.
Der große Unterschied besteht ja in der elektrischen Gitarre, die Fender Stratocaster ist ja das genuin amerikanische Element.»Es ist ja auch wichtig, dass man macht, was man ist. Ich bin José, ich komme aus Andalusien, da gibt es eine krasse musikalische Kultur.«
Kid Simius
Kid Simius: Leo Fender kam aus Kalifornien, die erste Gitarre war die Stratocaster und er wollte, dass Gitarristen die spielen, um zu wissen, was man verändern, verbessern kann. Und da hat er Dick Dale getroffen. Der King der Surf-Gitarre. Und zusammen haben sie die Gitarre und die Musik erweitert und so ist das quasi zusammengewachsen. Das spielt eine große Rolle, die E-Gitarre, aber es ist nicht das allein. Ende der 1950er Jahre hat der Rock’n’Roll die Surfmusik auch beeinflusst. Die war ja meistens instrumental, zum Tanzen. Mit der Erfindung der E-Gitarre gab es übrigens auch in Spanien Bands, die das schnell adaptiert haben. Ich habe in jedem Fall gesehen, dass meine Kultur da repräsentiert wurde in dieser Musik. Es ist ja auch wichtig, dass man macht, was man ist. Ich bin José, ich komme aus Andalusien, da gibt es eine krasse musikalische Kultur. Es ist ein Land, in dem in den letzten 2000 Jahren die verschiedensten Rassen und Kulturen und Religionen zusammengekommen sind. Das hat mit meiner Persönlichkeit zu tun und die Musik passt so gut dazu. Vielleicht hätte ich auch eine Flamenco’n’Bass-Platte machen sollen…
Das ist ein guter Punkt. Ich glaube wenn man Surf’n’Bass sagt, dann geht das runter wie Öl. Und das hat schon mit dem Begriff »Surf« zu tun. Das ist ja ein Lebensgefühl. Wie Wolfgang Tillner mal schrieb: »[…] niemand konnte sich dem Reiz dieses Teen-Utopias aus ewiger Sonne und immerwährenden Ferien, knapper Bekleidung und körperlicher Fitness, hübschen Mädchen, folgenlosen Amouren und ausreichendem Taschengeld, eines Garten Eden, der durch Gottes Fügung in Südkalifornien lag, entziehen.« Damit meinte er allerdings die schon kommerzialisierte Surf-Massenkultur. Der Ursprung war ja weniger an das ausreichende Taschengeld geknüpft. Was ist das für ein Lebensgefühl für dich?
Kid Simus: Die Surfer waren ja anfangs arme Leute, die nur eine Gitarre und ein Surfbrett hatten. Und abends am Strand hat man gefeiert. Am nächsten Tag dasselbe. Und da war es egal, was die anderen sagen. »Ich brauch nur eine Gitarre und ein Surfbrett« war die Antwort. Für mich ist das so ähnlich. Ich muss das alles gar nicht haben. Ich hab jahrelang nur auf einer Matratze geschlafen. War mir egal. Das interessiert mich gar nicht. Da hätte ich mir lieber noch eine Gitarre gekauft. Die Surfer springen von Welle zu Welle ohne eine konkrete Verbindung zu haben, so wie die Surfmusik.
Das Surfen hat ja aus der Sicht der Leistungsgesellschaft was zweckloses. Nach der Welle kommt die nächste, ohne Ziel. Als die Surfkultur aus Polynesien und Hawaii importiert wurde, haben ja aber auch die ersten Wettbewerbe in Kalifornien stattgefunden. Kalifornien vermarktet ja oft einen sorglosen Lifestyle, doch unter den Vorzeichen einer guten wirtschaftlichen Lage, das war schon in den 1960er Jahren so. Und beim Export wirkt das dann immer so gelassen, einfach, als ginge es gar nicht ums Geld. Das ist ja schon perfide…
Kid Simius: …ja, auf Ibiza hat man den Hippie-Lifestyle ja auch irgendwann kaufbar gemacht und irgendwann komplett verkauft. Ich hab auch viel recherchiert, viele Interviews, viele Platten gehört. Das war interessant. Das hab ich noch nie gemacht vorher, das war cool. Gut, manchmal hab ich schon gedacht: Jetzt muss ich wieder Surfmusik machen, aber ich hab Bock auf einen Techno-Beat. Aber es hat schon wahnsinnig Spaß gemacht.
War die Gitarre eigentlich dein erstes Instrument?
Kid Simius: Ja, auf jeden Fall, noch bevor ich angefangen habe Beats zu machen. Von daher war es für mich auch geil die Gitarre wieder in meine elektronische Musik zu integrieren. Elektronische Musik und E-Gitarren gab es in der Indie-Disco-Welle zwischen 2000 und 2005 bei Ed Banger und LCD Soundsystem und irgendwann war das richtig uncool. Und dann gab es eigentlich mehr Metalgitarren, aber ich bin nicht so ein großer Metalfreund. Und da hab ich mich gefragt, wie schafft man es jetzt, die Gitarre wieder in die elektronische Musik zu bringen? Und zwar so, dass es cool ist. Das war auch eine Herausforderung. Mit diesem Tremolo-Hall hat das gepasst.
Es ging ja auch damals in den 1960er Jahren darum, die Leute zum Tanzen zu bringen
Kid Simius: Genau, das war die Partymusik am Strand. Deswegen hat das auch eine große Verbindung zur Partymusik, die man heute hört und zu dem, was ich vorher gemacht habe. Deswegen passt am Ende alles so gut zusammen.