Katie Gately – Die Errungenschaften der Menscheit

20.10.2016
Foto:Jasmine Safaeian / © Tri Angel Records
Katie Gately definiert Fortschritt als den Weg zwischen A und B. Ihre Karriere verlief keineswegs geradlinig, ihr Album »Color« ist Pop und Chaos zugleich. Mit wenig Mitteln und viel Aufwand will sie uns eins sagen: Du bist nicht allein.

Telefongespräche sind das reine Chaos. Es braucht Vorstellungsvermögen und, noch wichtiger, Empathie, um das Gegenüber zu verstehen. Telefonieren ist kurz gesagt emotionaler Höchstleistungssport. Katie Gately aber mag es, zu telefonieren. Einerseits, weil sie schon viel durch die USA gezogen ist und so mit den wichtigen Menschen in ihrem Leben in Kontakt bleiben kann. Andererseits vielleicht aber auch, weil es für sie kaum etwas Faszinierenderes gibt als Klang, Technik und ihren Zusammenhang mit menschlichen Gefühlen.

Telefongespräche sind auch eine bequeme Art, im Sitzen zu reisen. »Fortschritt, das heißt für mich, von A nach B zu kommen«, sagt Katie Gately in Los Angeles und wird in Berlin gehört. Was aber bedeutet das, von A nach B zu kommen? Früher hatte Katie Gately ein Laufband in ihrem Studio, sie produzierte ihre Musik im Gehen – und blieb dabei doch am selben Fleck. Das ist mittlerweile kaputt, ihre neue Platte entstand im Sitzen und doch hat Gately vorher aufgeräumt. Neue Wohnung, neues Studio, eine kleine Aufnahmekammer, in dem sie ungestört vom Straßenlärm ihr wichtigstes Instrument aufnehmen kann: ihre Stimme.

Ihr zweites Release, ein 14-minütiger Track auf dem Label Blue Tapes, besteht nur aus manipulierten und geschichteten Aufnahmen von Katie Gatelys Stimme. »Naja, das ist eben kostenlos«, sagt sie trocken. »Du brauchst nicht lernen, deine Stimme zu verwenden und es ist ein Instrument, das nur du spielen kannst.« Schon auf ihrer Debüt-EP für das Label Public Information machte sie mit kleinsten Dingen viel Lärm. »Ice« etwa, ein knirschender Track mit über drei Minuten Länge, basierte auf einer einsekündigen Aufnahme von – natürlich – Eis. Wenig Material, viel Aufwand und noch mehr Effekt – das kennzeichnet das Gros ihrer Veröffentlichungen aus.

Katie Gatelys eigener Backkatalog scheint so gar nicht ihrem Verständnis von Fortschritt zu folgen.

»Als ich Björk meinen Remix gesendet habe, habe ich fast gekotzt., so nervös war ich.«

Katie Gatley
Von A nach B geht es nicht, sondern eher über Umwege kreuz und quer. »Die haben mich auf Soundcloud gefunden, wo meine ganze EP zu hören war, und schrieben mich an: ›Nimm die runter, wir bringen das auf Platte raus!’‹Na gut, okay, meinte ich, machen wir das halt«, lacht Katie Gately über den ersten Kontakt mit Public Information. »Aber selbst jetzt denke ich: ›Moment mal, wie bitte?‹ Ich habe damals nur aus Spaß mit all dem angefangen und keinen blassen Schimmer von der Musikwelt.« Pläne hatte sie keine, hauptsächlich kümmerte sie sich damals noch um das Sounddesign von Filmen. Musik war für sie zuerst eine Testumgebung. »Ich konnte sie in einen persönlicheren Fluss bringen, als das bei Filmen möglich wäre, wo deine eigenen Emotionen keine Rolle spielen.«

Emotionen sind nicht nur am Telefon der Fixpunkt von Katie Gatelys Schaffen. Vor ihrer Karriere als Produzentin und vor ihren Filmarbeiten studiert sie Philosophie und legte den Schwerpunkt auf Musik, genauer auf den Zusammenhang von Musik und Emotionen. »Ich bin wahnsinnig fasziniert und auch verblüfft darüber, dass wir Musik hören und dabei etwas fühlen. Das tun wir nämlich auch bei rein tonalem Klang, hinter dem keine semantische Bedeutung steht. Da ist etwas Unheimliches dran, zumindest ist es absolut nicht logisch.« Die streng logischen Erklärungsmuster der Philosophie befriedigten die Studentin dementsprechend nicht, ihre Forschung wurde konkreter: Den Master machte sie in Los Angeles und spezialisierte sich dabei auf Film und Tonschnitt.

Hands-On-Mentalität hin oder her, Katie Gately hat trotzdem eine ganze Menge über ihr Obsessionsthema nachgedacht. »Von Menschen gemachte und sogar maschinell erzeugte Klänge bewegen mich wohl deshalb, weil sie nicht da waren, bevor wir kamen.« Das ist einer von diesen Sätzen, die Katie Gately gerne wie beiläufig fallen lässt, in denen sich aber jahrelanges Nachdenken konzentriert. »Es erinnert daran, was wir alles getan und geschafft haben. Wir nehmen das als normal hin, aber es ist absolut außergewöhnlich. Sound erinnert uns an die Errungenschaften der Menschheit.« Sie könne darüber aber nun wirklich keinen Aufsatz schreiben, lacht Katie Gately danach wieder.

Das muss sie auch gar nicht, stattdessen nimmt sie Platten auf. Color heißt ihr neues Album. Es erscheint bei Tri Angle. Es war eines in der Reihe von Katie Gatelys Wunschlabels, Illusionen machte sie sich aber keine. Bis sich dann dessen Gründer Robin Carolan selbst bei ihr meldete. Nicht das erste Mal, dass sie aus heiterem Himmel ein Traumangebot bekommt, das letzte fiel sogar eine Nummer größer aus. »Ich dachte, irgendwer spielt mir einen richtig bösen Streich«, erinnert sich Katie Gately mit einem Lachen. Aber nein doch: Sie hatte tatsächlich eine E-Mail von Björk erhalten, die um einen Remix bat. Sie glaubte es erst, als die Stems nachkamen. Ein einmaliges Angebot mit einem kleinen Haken: Katie Gately hatte zuvor noch nie einen Remix angefertigt. »Als ich ihr den geschickt habe, habe ich fast gekotzt., so nervös war ich.«

Für »Color« stapelte Katie Gately Sound auf Sound, Spur auf Spur. Einerseits allein deswegen, weil sie sich so Mixing besser beibringen wollte. Andererseits aber wollte sie herausfinden, wie weit sie gehen konnte. »Ich wollte so extrem werden, dass ich vielleicht jemandem das Gefühl geben kann: ›Oh, ich bin doch nicht allein mit diesen explosiven Gefühlen‹«, erklärt sie. So überwältigend und technisch das Album auch klingen mag, darin hallt viel Menschlichkeit nach – und soll es auch. »Ich habe versucht, eine komplett aus den Angeln gehobene Version meiner selbst in Musik zu übersetzen«, sagt Katie Gately. »Normaler Weise müssen wir uns im Alltag benehmen und zurückhalten. Wenn du aber ein Kind siehst, das Farbe an die Wand schleudert, ein Rad schlägt und zwanzig Kekse in sich reinstopft – das ist doch das, was wir alle gerne machen würden!« So klingt »Color« einerseits wie die poppigste Platte, die Katie Gately je gemacht hat – und trotzdem wie das reine, empathische Chaos. Einem Telefongespräch nicht unähnlich.