Julia Jacklin lässt einige Zeit auf sich warten. Im abgedunkelten Columbia Theater drängen sich die Leute und schnattern. Doch sobald der erste Ton von »My Heart Will Go On« von Celine Dion erklingt, wird es ganz still im Saal. Jacklin tritt auf die Bühne in einem langen Vintage Ballkleid mit rotem Blumenprint, ihren langen blonden Haaren, die sie offen trägt, und einem scheuen Lächeln – und dann kommt ihre Stimme, die – wenn man es so sagen darf – Dions in nichts nachsteht. Hätte man sich vorher nicht mit Julia Jacklin befasst, müsste man staunen, mit welcher Wucht ihre Stimme den Raum füllt, kommt sie doch von einer teilweise zurückhaltend, teilweise besonnen wirkenden Person.
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Es ist vor allem ihr Gesang, der die Lieder trägt und die volle Emotion transportiert, die in ihnen steckt. »Tell me I’m the love of your life, just for a night / Even if you don’t mean it / I don’t care for the truth when I’m lonely« singt sie bei »Good Guy«, einem der Songs aus ihrem 2019 erschienenen Album »Crushing«. Im Live-Setting wird nochmal deutlich, wie intim ihr Songwriting ist, wenn zwischen den metaphorischen Zeilen plötzlich ganz bildlich eine verletzliche und sehnsüchtige Jacklin auftaucht, die vor hunderten Menschen emotionale Blöße zeigt.
Melancholie und Emotion
Ganz dem Titel des Albums treu verarbeitet die Australierin die niederschmetternden Gefühle einer schmerzlichen Trennung und ein zielloses Bedürfnis nach Nähe. Auch bei anderen Songs des Albums wie »Body« oder »Don’t Know How to Keep Loving You« ist merklich, wie diese sie aufwühlen: Jacklin singt teilweise mit verschlossenen Augen, verzieht kurz ihr Gesicht und holt dann tief Luft. Titel ihres aktuellen Albums »Pre Pleasure« klingen dann fast wie ein Befreiungsschlag. Auch wenn es vielleicht keine Feel-Good-Hymnen sind, die 32-Jährige scheint mit mehr Zuversicht auf ihre Beziehungen zu blicken. Bei dem rockigen »I Was Neon« bewegt sie sich energetisch, wirkt auf der Bühne ganz stark und macht Fäuste.
Ein weiteres neues Detail der aktuellen Songs ist der Gebrauch von elektronischen Drums und Synths, mit denen sie sich ein Stück von dem roheren, teilweise grungigen Sound des Vorgänger-Albums verabschiedet. Ihren selbsternannten Popsong »Lydia Wears A Cross« singt Julia Jacklin ohne wie sonst selbst Gitarre zu spielen. Dann hält sie ihre Arme vor sich, als würde sie etwas Schweres tragen, streckt sie aus, als würde sie es loslassen, und führt sie dann zu ihrem Herz. Ihr Publikum spiegelt ihr die emphatische Begeisterung, die sie vorerst für sich behält, dann lächelt sie wieder verschmitzt und schüttelt verlegen den Kopf.
Sobald aber der ganze Saal leidenschaftlich die Zeilen »I don’t want to be touched all the time / I raise my body up to me be mine« aus »Head Alone« mitsingt, ist auch Jacklin von der Stimmung mitgerissen. Dann atmet sie zwar tief ein als würde ihr ein Stein vom Herzen fallen und sagt »We did it, we played the show«, feuert aber ihre Fans an, nach Zugabe zu rufen. Julia Jacklin entlässt das Publikum aus dem temporären Raum, den ihre Stimme und Gefühlswelt geschaffen haben, und es bleibt nichts anderes zu tun, als noch in der dicken Luft voller Melancholie und Emotion zu schwelgen mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Träne im Auge.