Jockstrap transportieren die großen Sounds in kleine Formen

30.07.2020
Foto:Maxwell Granger © Warp Records
Das Londoner Duo Jockstrap veröffentlicht ihre Schallplatten bei Warp. Ihre Songs sind in Werbungen von Chanel und Dior zu hören. Taylor Skye und Georgia Ellery spielen sich auf der zweiten EP »Wicked City« passgenau die Bälle zu.

Taylor Skye und Georgia Ellery haben sich einen Namen gegeben: Jockstrap. Das ist schwer zu googlen, leicht auf Spotify zu finden und drückt auch einen Teil dessen aus, was sie zusammen sind. An manchen Stellen fast gewöhnlich, im Alltag verankert. Aber wo beim gleichnamigen Stück Unterwäsche der Hintern entblößt ist, finden die beiden Studenten der Londoner Guildhall Academy immer einen Weg, Perversion zu schaffen.

Auf ihrer vor kurzem erschienen EP »Wicked City« zeigt sich das beispielsweise, wenn sich die Instrumentierung Taylors von einem ruhigen Stück Chamber Pop hin zu einer wilden Fahrt durch 15 Jahre Dubstep entwickelt, während Sängerin Georgia eine surreale Geschichte von einem Biber und einem Monster erzählt, die sich aus dem Glück des häuslichen Lebens zum düsteren Chaos entwickelt.

Dieses, ihr zweites gemeinsames musikalisches Projekt, ist bei Warp erschienen. Das allein sollte schon reichen, um die Ohren zu spitzen, wenn man bedenkt, das hier beispielsweise Aphex Twin Yves Tumor oder Oneohtrix Point Never beheimatet sind. Die fünf Tracks zeigen ein Spektrum der Einflüsse des Duos. Georgia spielt Piano, Violine, übernimmt Gesang und studiert Jazz. Produzent Taylor studiert Electronic Music. »Normalerweise achte ich nicht auf die Worte«, sagt er. Wenn die beiden zusammen im Studio sind, bleibt die Frage nach dem »Warum?« vor der Tür.

Man könnte es auch kaum erklären. Die Lyrics werden als Gedichte geschrieben, in freier Form. »Wenn es großartig aussieht und gesprochen gut klingt, wird es in einem Song noch besser«. So bleiben Melodie und Rhythmus variabel, die Produktionen fügen sich ganz natürlich mit diesen Textstücken. Was dabei herauskommt, erinnert an den Maximalismus, der die Klangwelten der heutigen Popkultur dominiert. Und doch wird weitergedacht, klassische Songstrukturen mit experimenteller Instrumentierung fast dialektisch beantwortet. »Ich möchte etwas machen, das für mich aufregend ist«, antwortet Taylor, wenn man ihn fragt, wie er sich musikalisch entwickeln möchte.

»Wir machen einfach nur Musik. Wir haben nicht viele Grenzen. Wir können vielleicht die Grenzen eines anderen verschieben, aber das ist nicht unsere Sache.«

Den ersten Höhepunkt erreicht »Wicked City« gleich beim ersten Track. Die Produktion besteht aus Sample über Sample, die Songstruktur definiert sich angenehm über die hektische Drumroll, Georgia spricht fast stampfend ihre Zeilen, bevor der letzte zu Lebzeiten erschienene Verse des Rappers Stepa J. Groggs über den Beat brettert, der als Teil des Trios Injury Reserve Bekanntheit erlangt hat.

Auf deren Tour haben Jockstrap im letzten Jahr den Support übernommen, die erste Tour für das Londoner Duo. Hier konnten sie nicht nur Erfahrungen sammeln, was die Konzeption der Bühnenshow angeht, sondern haben auch wirkliche Freunde gefunden. Heute sind sie einfach dankbar, so viel Zeit mit Stepa J. Groggs verbracht zu haben, dankbar, einen Verse von ihm auf ihrer EP zu sehen. Es ist der durchsichtigste und rational verständlichste Moment der Platte.

Wenn Georgia Ellery schreibt, sieht das anders aus. Die Texte sind nicht nur assoziativ, lose zusammenhängend, sondern auch kodiert. Das mag daran liegen, dass die Erfahrungen, die man Anfang zwanzig macht, nicht weniger komplex sind. Die Lieder handeln von Liebe und Tod, vom Abgrund, von Abhängigkeit. Und immer wieder sind sie sexuell geladen, aber nie sexy. Eingangs erwähnt: Perversion. Inspiration zieht sie aus dem Werk Robert Mapplethorpes oder dem Buch »Blood and Guts in High School« von Kathy Acker, das in Westdeutschland lange Zeit wegen seines pornografischen Gehalts verboten war.

Ob sie mit ihrer Musik Grenzen überschreiten oder gar verschieben, dazu möchten und können sie wenig sagen. »Wir machen einfach nur Musik. Wir haben nicht viele Grenzen. Wir können vielleicht die Grenzen eines anderen verschieben, aber das ist nicht unsere Sache.« Wo der Fokus liegt, versucht Georgia zu erklären: »Wir machen Musik, die wir gerne hören und zu der wir gerne tanzen würden. Etwas anderes, kreatives, originelles.« Und überhaupt das Wichtigste: »We like big noises, we like big sounds.«_