Jockstrap live am 15.November 2023 im Säälchen in Berlin

17.11.2023
Foto:© Martin Silbermann (HHV Records
Mit erst einem »echten« Album im Rücken beweist das junge britische Duo erstaunlich souverän, dass ihr mitreißender Hyperpop auch live sehr gut funktioniert.

Die Gegensätze, die Jockstraps gefeiertes Debütalbum »I Love You Jennifer B« zwischen Folk-Pop und brachialen Beats, sanften Balladen und Post-Dubstep-Bangern so faszinierend machen, setzen sich auf der Bühne des Berliner Säälchens fort: Während Taylor Skye in seiner roten Funktionsregenjacke, umgeben von Keyboards und Sequenzern, höchstens mal ein verschmitztes Lächeln und einen scheuen Blick ins Publikum wagt, strahlt Georgia Ellery im silbergrauen Satinkleid über das ganze Gesicht, sichtlich zufrieden, wie gut die Songs beim überwiegend jungen, internationalen und queeren Publikum ankommen. Skye dreht sich hochkonzentriert auf seinem Klavierschemel, um in den richtigen Momenten die Tasten und Knöpfe zu drücken, während Ellery über die Bühne wirbelt und neben ihrer Tanz- und Gesangsperformance auch eindrucksvoll Geige und klassische Gitarre spielt.

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Während Support Act Thoom am Ende ihres kurzen Sets noch »Free Palestine!« skandiert (was etwas überraschend mit einhelligem Jubel quittiert wird), kommt Skye zwischen den Songs allenfalls der Tongue-in-Cheek-Kommentar »I can smell weed…« über die Lippen. Die Rollen des Londoner Duos scheinen jedenfalls klar verteilt: Ruhepol und Frontfrau, Vorlagengeber und Abstauberin. Das hat Charme, das macht Spaß und wird von den wahrscheinlich nicht einmal 300 Zuschauer:innen euphorisch gefeiert, die vor allem die Hits »Concrete Over Water« und »Glasgow« sehr textsicher und inbrünstig mitsingen.

Loopings in der Achterbahn

Wie auf dem Album beginnen die beiden Londoner ihr Set mit »Neon« und beenden es nach einer knackigen Stunde mit »50/50«, was als dramaturgische Klammer sinnvoll, wenn auch nicht gerade spannend ist. Das ist die nur scheinbar chaotische musikalische Achterbahnfahrt dazwischen, die fast im Minutentakt zwischen den unterschiedlichsten Stimmungen hin und her wechselt: Euphorie und Verletzlichkeit, Weltschmerz und Selbstermächtigung, Panikattacken und sexuelle Freiheit werden mal sensibel, mal humorvoll und nonchalant verhandelt.

Dass die beiden, die sie sich an der Guildhall School of Music & Drama kennenlernten, musikalisch geschult sind, hört man den virtuosen Melodiebögen, den gelungenen Kontrasten und den stilsicheren wie kenntnisreichen popkulturellen Referenzen an. Ellery schafft es mit ihrem präzisen wie kunstvollen Gesang sogar, Zeilen wie »You fucking love, you love to fuck, to fuck it up« (aus »Angst«) wie ein zuckersüßes, harmloses Stück Radio-Pop klingen zu lassen.

So dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Jockstrap nicht mehr nur in ihrer britischen Heimat als das nächste große Ding gehandelt werden und größere Erfolge feiern. Zu Recht blicken sich beide am Ende des Sets zufrieden und auch ein wenig stolz in die Augen, bevor sie das begeisterte Publikum in den kalten Berliner Novemberregen entlassen.