Ob vertonte Nahtoderfahrungen oder Ambient – Jim Coleman bewegte sich in seinem Schaffen stets am Rande des Abseitigen. Aber eben dort, wo der US-Musiker mit seinem Sound die meisten Dinge in Bewegung bringen kann.
Wer sich heute noch die Alben von Cop Shoot Cop anhört, den überrollt erst einmal die Energie dieser Musik. Coleman spielte Keyboard und steuerte Samples zum Sound bei – was die Platte in ihrer Essenz prägte. (Beweisstück ist »Consume«.) »Consumer Revolt« erschien 1990 und wird bis heute von hilflosen Musikkritiker*innen zwischen Noise, Industrial, Punk und Alternative verortet. In seiner Kompromisslosigkeit und seinem Nihilismus schwebt über diesem Album der Geist des No Wave aus den späten Siebzigern – jedoch mit weniger prätentiösem Gehabe.
Zum niederknien niederreißend
Sechs Jahre nach dem Album lösten sich Cop Shoot Cop auf. Und Coleman? Macht bis heute Musik, arbeitete mit verschiedenen Künstlern wie Teho Teardo zusammen und veröffentlichte mit verschiedenen Gruppen oder allein Platten. Mit »Trees« von 2012 erschien ein Ambient-Album von ihm, das sich wie ein Fiebertraum anhört. Inklusive Saxofon. Ebenso fand er einen Sound für Nahtoderfahrungen, was sich in YouTube-Videos hören lässt.
Heute ist Coleman vor allem umtriebig als Teil von Human Impact, einer Supergroup des Noise Rock mit u.a. Chris Spencer von Unsane. Und wo wäre so ein Projekt besser aufgehoben als auf dem Label Ipecac? Vor wenigen Monaten erschien dort das zweite Album »Gone Dark«, dessen Titel auch so ziemlich das Programm des Sounds ist: Eine Platte, die alles niederreißt. »Destroy To Rebuild.« Willkommen im Untergang. Demnächst dann übrigens auch auf Tour.
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Aber bevor es so weit ist, hat Jim Coleman zehn Alben ausgesucht, die ihn geformt, gebessert und gebildet haben. Er sagt: »Ich bin an diese Liste aus einer etwas historischen Perspektive herangegangen – ich habe mich auf Alben konzentriert, die Teil meiner Herkunftsgeschichte waren und mich in meiner Kindheit beeinflusst haben, aber nach wie vor starke Bezugspunkte sind. Daher stammen all diese Alben aus vergangenen Jahren und spiegeln nicht unbedingt das wider, was ich derzeit höre. Aber ihre Geister mögen in der Musik, die ich erschaffe, auftauchen.«

Jim Coleman: Meine eigentliche Einführung in die Rockmusik fand statt, als meine Eltern mich als kleines Kind ins Kino mitnahmen, um den Film »Yellow Submarine« zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ, und kam als jemand anderes wieder heraus. »Yellow Submarine« war sehr wichtig für mich, aber erst durch »The White Album« wurde mir klar, wie weit und tief ein Album gehen kann. Es geht sehr weit, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
Redaktion
Jim Coleman: Während »The White Album« seiner Weite schwelgt, liegt die Stärke dieses Albums für mich in seiner Klaustrophobie. Man hat das Gefühl, in einer engen, begrenzten Welt mit hohen Vibrationen zu sein. Dieses Album hat es mir ermöglicht, in einigen dunklen Ecken der Depression und Isolation Energie zu finden.
Redaktion
Jim Coleman: Ich muss zugeben, dass ich eine gewisse Abneigung gegen das habe, was aus The Police und Sting musikalisch geworden ist, aber »Outlandos D'Amour« ist so voller Energie und dunkler Positivität, dass es mich vom ersten Moment an angesprochen hat. Dieses Album hat für mich die Kraft einer Band, die ihre Stimme findet - und die Suche und die Sehnsucht, die wir in diesem Album hören, scheinen viel stärker zu sein als die Stimme, die sie schließlich gefunden haben (zumindest für mich).
Redaktion
Jim Coleman: Dieses Album hat das eingefangen, was ich damals als melancholische Wahrheit empfunden habe. Ich glaube nicht, dass ich jemals Eyeliner aufgetragen habe, aber in der Zeit, in der dieses Album in Dauerschleife lief, habe ich wahrscheinlich darüber nachgedacht. Okay, es fühlt sich immer noch echt an, aber es ist jetzt eine Farbe unter vielen. Vielleicht ist das Leben einfach weniger einfarbig geworden.
Redaktion
Jim Coleman: Brian Eno war meine Einstiegsdroge in die Ambient-Musik. Es war ein bisschen schwierig, sich zwischen diesem Album und »Music For Films« zu entscheiden. »Music For Airports« hat gewonnen, weil es eine subversivere Reise ist. Diese Musik wurde nicht für sekundenlange TikTok-Videos gemacht. Man muss sich einfach darauf einlassen und Raum und Zeit mit ihr teilen. Dieses Album hat mein Leben für ein oder zwei Jahre eingenommen. Ich fühlte mich gleichzeitig lebendiger und beobachtender.
Redaktion
Jim Coleman: Dieses Album hätte es fast nicht auf die Liste geschafft, weil es in meinem Leben schon so oft gespielt wurde. Wie eine Lieblingsjeans, die so oft getragen wurde, dass sie irgendwann auseinanderfällt. Aber dieses Album hat all meinen Gefühlen eine Stimme gegeben. Und ich glaube, das war nicht nur ich. Ich glaube, ich fühle mich sowohl zum Hören als auch zum Komponieren dunkler Musik hingezogen. Musik kann in dunklen Zeiten Energie, eine Stimme und einen Sinn geben, egal ob es sich um persönliche oder soziale/politische Dunkelheit handelt. Sie ist stärkend, therapeutisch und unentbehrlich.
Redaktion
Jim Coleman: Okay, ich gebe zu, ich bin mit einer ziemlich gesunden Classic-Rock-Diät aufgewachsen. Led Zeppelin war das Herzstück und »Physical Graffiti« das Album, an dem ich einfach hing. Die Mischung aus Rock, Blues und Experimentellem hat mich für Neues geöffnet und mir Ideen gegeben, Musik auf verschiedene Arten zu produzieren. Beim Classic Rock schwankte ich zwischen diesem Album und »Paranoid« von Black Sabbath. Paranoid ist härter und kommt meinen (immer noch vorhandenen) Teenagerängsten näher. Aber ich habe mich für »Physical Graffiti« entschieden, weil es so detailliert ist.
Redaktion
Jim Coleman: Dieses Album ist so mitreißend, dass es einem sofort das Gefühl gibt, dem Leben einen Sinn zu geben. Schon in sehr jungen Jahren habe ich mit Klängen, Tonbändern und Schallplatten experimentiert und dabei beobachtet und gehört, wie sich Klangereignisse zufällig oder auch nicht zufällig in Schleifen wiederholten und ihre Perspektive zueinander verschoben. Steve Reichs Werk hat mich immer angesprochen, weil dies ein wiederkehrendes Thema und eine wiederkehrende Herangehensweise für ihn ist. »Music For 18 Musicians« hat eine seltsame Emotionalität, weil sie in ihrer Herangehensweise auch etwas Mathematisches hat.
Redaktion
Jim Coleman: Dieses Album hat einen unerbittlichen, kompromisslosen Fokus und eine Absicht, die ich liebe. Ich kann ein bisschen maximalistisch sein, wenn ich schreibe - ein großer Teil des kreativen Prozesses besteht darin, das Unnötige wegzulassen, und ich habe das Gefühl, dass mir das mit unterschiedlichem Erfolg gelingt. Killing Jokes »What's this for…!« fühlt sich an wie auf das Wesentliche reduziert. Das gefällt mir.
Redaktion
Jim Coleman: Ich stand vor der Herausforderung, mich zwischen diesem Album und »Confusion is Sex« zu entscheiden. »Bad Moon Rising« ist im Vergleich zu »Confusion is Sex« kontrollierter und gedämpfter. Dadurch ist es zugänglicher und vielleicht auch leichter zu ertragen. Beide erinnern mich an das New York der 1980er Jahre mit all seiner Gesetzlosigkeit und dem »Anything goes«-Ethos. Von der Nation ein wenig im Stich gelassen, bot NYC so vielen von uns eine günstige kreative Spielwiese. Beide Alben versetzen mich in diese Zeit zurück, in der alles möglich schien, von der totalen Freiheit bis zur totalen Zerstörung. Sonic Youth haben in dieser Zeit diese Grenzen erweitert, sind Risiken eingegangen und haben am Ende so viele beeinflusst und verändert.
Redaktion