Im Werk Jason Molinas wimmelt es vor Gespenstern. »The Ghost« heißt eines seiner frühen Alben unter dem Namen Songs: Ohia, ein anderes »Ghost Tropic« und ein drittes, eine Live-Platte, »Mi Sei Apparso Come Un Fantasma«, Italienisch für »du bist mir wie/als ein Gespenst erschienen«. Auch Erin Osmons im Jahr 2017 erschienene Biografie über Molina nahm sich ihren Untertitel von einem Song, in dem es spukte: »Riding With the Ghost«. Gespenster haben die Angewohnheit, gleichzeitig da zu sein und nicht, im selben Zug zu leben und doch nicht lebendig zu sein. So wie der zittrige Tenor Molinas in seinen zahlreichen Alben zu einem Menschen zu gehören scheint, der nie richtig anwesend und doch voll da sein wollte, der selbst seinen engsten Vertrauten fast krankhaft eine Lüge nach der anderen auftischte und in seinen Songs doch die großen Wahrheiten auszudrücken vermochte.
Molinas Musik gewann ihre eigentümliche Kraft aus einer hauchfeinen Fragilität heraus, ihre emotionale Wucht wurde am meisten in ihren stillsten Moment erfahrbar. Sie ist in jedem Moment absolut präsent und verflüchtigt sich gleich darauf wieder. So wie auch er selbst sich nirgendwo festlegen mochte: Er probte seine Stücke kaum, veränderte sie ohne Vorwarnung bei Live-Konzerten und unterschrieb, obwohl das Gros seiner Releases über dasselbe Label erschienen sind, nie für mehr als ein einziges Album einen Vertrag mit diesem. Es hält Jason Molina auch nicht lange auf der Welt. Am 16. März 2013 stirbt er gerade einmal 39-jährig an den Folgen seines Alkoholismus. Sein Gespenst sucht weiterhin die Lebenden heim. Im Jahr 2018 veröffentlichte Secretly Canadian unter dem Titel »Love & Work« ein Doppelalbum, das neben der ursprünglich im Jahr 2000 erschienenen LP »The Lioness« elf während der Aufnahme-Sessions entstandenen Stücke enthielt, im August 2020 folgte mit »Eight Gates« die Veröffentlichung von Songs, die Molina nach seiner Übersiedlung nach London aufnahm, kurz, bevor er er sich im Jahr 2009 weitgehend aus dem Musikgeschäft zurückzog.
Molina wächst in einer Industriestadt im Nirgendwo auf: Lorain, Ohia, nicht weit von Cleveland entfernt. Er liebt Black Sabbath, aber auch Patti Smith und Willie Nelson. Für sein Studium am Oberlin College zieht er in die nur wenige Kilometer von seinem Heimatort entfernten Stadt und spielt zuerst bei Metal-Bands, bevor er die Ukulele und das Gesangsbuch der Carter Family für sich entdeckt und schließlich seine eigenen Projekte umsetzt, für die er Session-Musiker*innen um sich schart. Als Songs: Albian, Songs: Radix oder Songs: Unitas veröffentlicht er in Kleinstauflagen seine ersten Releases. Es scheint ein guter Moment für Molinas minimalistischen und doch existenzialistisch schweren Alternative Folk: Allenthalben werden alte Formen US-amerikanischer Gitarrenmusik mit neuem Leben gefüllt, das Tradierte und Herkömmliche über Randwege zurück in die Öffentlichkeit getragen. Elliott Smiths Stücke für den »Good Will Hunting«-Soundtrack gehen um die Welt, die Red House Painters um Mark Kozelek, der sich später Sun Kil Moon nennen wird, hatten noch im Vorjahr ihr Opus Magnum »Songs For A Blue Guitar« veröffentlicht und auch Will Oldham alias Palace beziehungsweise später Bonnie ›Prince‹ Billy wird zunehmend bekannter, als ihm Jason Molina sein erstes Demo zukommen lässt.
Jason Molina, der sein Leben mit aller Wucht auf die Rillen seiner Platten einbrennen wollte und von Gespenstern besessen war, war schleichend selbst zu einem geworden.
Oldham und Molina tauschen Briefe aus, der zottelige Songwriter verhilft dem neugewonnenen Freund schließlich zu seinem ersten ordentlichen Release, die 7”-Single »Nor Cease Thou Never Know« auf Drag City Zwei Jahre später, kurz nach seinem Uniabschluss, bringt Molina im Jahr 1997 das selbstbetitelte, als »Black Album« bekannte Debüt von Songs: Ohia heraus. Molina reiht sich damit in die Riege der neuen Außenseiter zwar bestens ein, tut das aber noch (weitgehend) alleine. Vor allem aber tut er es mit einer beeindruckenden Schlagdichte: »Imapala« erscheint im Jahr 1998, mit »The Ghost« und »Axxess & Ace« folgen nur wenig darauf gleich zwei Nachfolgealben und zur Jahrtausendwende gesellen sich gleich drei Alben hinzu: »The Lioness«, »Protection Spell« und »Ghost Tropic«. Sie alle werden weitgehend ohne Overdubs aufgenommen, sind stellenweise improvisiert, hin und wieder sind Studio- und Alltagsgeräusche, sogar Jubel der anwesenden Musiker*innen zu hören – so, als würde Molina zwanghaft versuchen, sein wirkliches und authentisches Leben darin als Momentaufnahme festzuhalten. Die volle Präsenz, für immer konserviert.
Danach zieht Molina jedoch einen Dylan ab, elektrifiziert sich, sammelt wieder einen Haufen Leute um sich und bleibt doch das pulsierende Zentrum seiner eigenen Arbeit. Die erweitert sich auch stilistisch. Nachdem »Didn’t It Rain« im Jahr 2002 den Gospel zulässt, ist sein wohl bekanntestes Album davon und von noch mehr geprägt: »The Magnolia Electric Co« nimmt Blues, Country und Heartland Rock à la Pete Seeger in sich auf und bedeutet den endgültigen Durchbruch für Songs: Ohia. Was also macht Molina? Hängt das Projekt an den Nagel und veröffentlicht mit seiner Band fortan unter dem Namen Magnolia Electric Co – die Mitglieder erfahren von dieser Änderung selbst erst, als Pitchfork eine News dazu bringt – oder unter seinem Klarnamen weiterhin Musik. Er splittet seinen Output in die großen Rock-Gesten und die kleinen intimen Nummern, die er alleine am Piano oder der Gitarre einspielt. Als würde er ständig den Schalter umlegen zwischen der vollen Präsenz und einer in sich gekehrten Form von Abwesenheit, in die er nur hin und wieder einen schmalen Lichtstreifen fallen lässt. Sparky nennt er sich nicht von ungefähr selbst: ein Funken, immer nur für einen Augenblick zu erfassen und doch mit Nachhall.
Ein nicht endender Spuk
Es ist in dieser Zeit, in welcher Molina langsam dem Alkoholismus zu verfallen beginnt, der eine teuflische Allianz mit seinen Depressionen und dem zunehmendem Erfolgsdruck eingeht. Gut sechs Jahre lang hält ihn das nicht davon ab, weiter auf Tour zu gehen und Platten aufzunehmen, obwohl seine Band ihn immer wieder davon abhalten muss, sich vor den Shows besinnungslos zu trinken. Der Wendepunkt kommt im November 2009, als eine Magnolia-Electric-Co-Tour in Europa drei Tage vor ihrem Beginn abgesagt wird. Gesundheitliche Probleme, heißt es nebulös dazu. Einen Monat später werden weitere Daten in Australien gecancelt. Molina scheint sich danach in Luft aufzulösen und betourt ab da an Rehabilitationskliniken in seiner neuen Heimat Großbritannien und den USA. Nur im Jahr 2011 gibt es ein Update über die Website seines Labels, das nur sehr vage über seinen Verbleib und Zustand aufklärt, und schließlich ein weiteres von ihm selbst im April 2012: »Ich habe euretwegen nicht aufgegeben«, schreibt er darin. »Meine Freund*innen haben mich nicht aufgegeben.« Er ist noch da, soll das heißen, doch verschwindet er sofort wieder. Nur zehn Monate nach dieser Wortmeldung indes stirbt er an Organversagen. Wenige Tage zuvor hatte er sich eine neue Gitarre gekauft und Pläne geschmiedet, wieder auf Tour und ins Studio zu gehen.
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Jason Molina, der sein Leben mit aller Wucht auf die Rillen seiner Platten einbrennen wollte und von Gespenstern besessen war, war schleichend selbst zu einem geworden. Seine rund zwanzig Alben und zahlreichen EPs werden zu einem Spuk, der nicht zu enden scheint. Denn etwas ist an dieser Musik, dass es unmöglich macht, sich nicht von ihr affizieren zu lassen. Wie andere seiner Generation dachte Molina das große Erbe von Americana, den Blues und Bluegrass, Rock und Country auf Arten neu, die gleichermaßen eigenartig wie allgemeinverständlich waren. So dermaßen einleuchtend war sein Songwriting, dass die Band, mit welcher er seinen wohl bekanntesten Song »Farewell Transmission« vom Album Magnolia Electric Co unter der Aufsicht von Produzent Steve Albini in nur einem Take aufnahm – ohne, dass einer der Musikerinnen mehr als die Akkordfolgen gekannt hätte. »Farewell Transmission« ist auch in textlicher Hinsicht das wohl bemerkenswerteste Stück aus Molinas breitem Backkatalog: Eine Zeitreise zurück in die Industriestadt, Lorain im Bundesstaat Ohia, dort, wo sein Leben seinen Anfang nahm. Es ist zugleich aber auch eine große Meditation über den Tod und die Arbeit, die Schufterei und Plackerei, die wir alle bis dahin auf uns aufnehmen müssen. »I will try and know whatever I try, I will be gone but not forever«, heißt es darin: Ich werde zurückkommen, euch heimsuchen, wieder und wieder. Ein Gespenst, schon zu Lebzeiten.