Isolée mag ein alter Gaul (Legende) sein, aber das Trojanische Pferd für den Dancefloor kennt er

16.10.2023
Foto:© Fionn Pellacini
Er hat ein Genre (mit)geprägt, ihm den ersten Hit beschert. Für viele schien er zwischenzeitlich lange weg gewesen zu sein. Jetzt ist Isolée wieder da, mit einem Longplayer. Wir haben ihn getroffen.

Schaut man zurück, in die Zeit der großen Berliner Loveparade, war Techno und House damals ein riesiger Rummelplatz, der sich schon ab 1995 selbst verzehrte. Große Alben erschienen, Klassiker des Techno-, House-, IDM- und Break-Beat-Genres erschienen. Aber die Dekadenz, die sich in Chartsplatzierungen für Scooter, Westbam, Members of Mayday oder Da Hool zeigte, die war deutlich zu spüren.

Womöglich entstand aus dieser Stimmung heraus das, was wir heute Micro-House nennen: Das Genre, das später ihre eigenen Stars wie Ricardo Villalobos erschaffen sollte. Losgetreten wurde es damals unter anderem von Isolée. Der Frankfurter Musiker, der bürgerlich Rajko Müller heißt, war einer der ersten, der diesen Stil perfektionierte, der zwar nicht so vertrackt war, wie jene Experimente, die Autechre, Aphex Twin und IDM-Konsorten bastelten, aber schon einen gewissen Komplexitätsgrad mit sich brachte: Plötzlich wurden Micro-Samples (hence the name) zu abstrakten Dance-Tracks zusammengeklebt, die lose an den House aus Chicago und New York erinnerten, aber durchgehend kühler, fragiler, eleganter klangen.

»Beau Mot Plage« von Isolée wurde zum ersten Hit des jungen Genres, das wie ein Buschfeuer durch Europa zogt. Danach arbeitete Isolée erst an seinem Debüt-Album (»Rest«, 2000), das vom Hit getragen wurde; dann an »We Are Monster«, das wie sein Vorgänger bei Playhouse erschien. Hier tauchte Isolée in Pop-Gefilde ein; nach einer Pause von sechs Jahren folgte »Well Spent Youth« bei Pampa. Mitte 2023 erschien – nach einigen Singles in der Zwischenzeit – das vierte Album »Resort Island« auf dem gleichnamigen Label, das Rajko Müller nun selbst betreibt.


Der Uhrzeit und den verstrahlten Menschen um uns herum entsprechend beginne ich das Interview mit einer etwas lockeren Frage: Welche drei Platten würdest du auf eine Resort Island mitnehmen? 
Isolée: Die Frage kann ich schlecht beantworten; das liegt mir nicht. Ich tue mich auch mit Top 10-Listen oder ähnlichem sehr schwer. Ich bin kein DJ, weswegen das große Repertoire an aktuellen Platten einfach fehlt. Und dann fühle ich mich unwohl, einfach etwas zu sagen. 

Ich denke, es ist klar, worauf ich anspielen will mit dieser Frage: Dein Pseudonym ist Isolée, dein Label heißt Resort Island und sogar die »Beau Mot Plage« aus dem gleichnamigen Stück habe ich mir immer als verlassenen Strandabschnitt vorgestellt. Stets geht es um mehr oder weniger kleine ›einsame Inseln‹: Woher kommt der Hang zur Flucht aus der Gesellschaft und vor den Leuten? 
Wenn ich das wüsste… Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, ob ich diese ›Flucht aus der Gesellschaft‹ überhaupt zelebrieren möchte. Ich bin natürlich der Meinung, dass es immer mal wieder Momente braucht, in denen man sich rausziehen kann – aber nicht dauerhaft. Diese ganzen Verweise in meiner Arbeit und meinem Werk beschreiben demnach nicht einen Idealzustand, sondern eine zeitweise Zuwendung zu …

…Festungen der Einsamkeit? 
Ja, so in etwa. Wobei man in einem Resort Island ja nicht wie Robinson Crusoe alleine ist. Idealerweise ist man dort mit Gleichgesinnten, also nicht einsam, wie du sagst. Musik ist auch ein Fenster in die Außenwelt & Gesellschaft, schon allein, weil man in die Musik eintaucht, die jemand anderes gemacht hat, und die andere ebenso hören, das schafft schon wieder Gemeinsamkeiten. Und man darf nicht vergessen: Das Gute an Musik ist, dass man im Vagen verbleiben kann, und ich muss gar keine hieb- und stichfesten philosophischen Weltanschauungen verkaufen. In der Musik kann man auch kurz ›einsam‹ sein, selbst wenn man das sonst nicht ist.  

Dein neues Label, genauso wie die langerwartete LP, heißen beide »Resort Island«. Das Urlaubsresort ist indes vielleicht einer der deprimierendsten Orte, die man sich vorstellen kann, oder? David Foster Wallace hat die zermürbende Qualität der Kreuzfahrtreise, also dem Resort auf dem Wasser, ja ausgiebig beschrieben. Ist der Name also eher ein Jux oder gibt es eine tiefere Wahrheit? 
Zuerst ist es so, dass ich auch eine recht oberflächliche ästhetische Herangehensweise habe, vor allen Dingen an Namen. Ich orientiere mich da am Klang, mag es aber genauso, wenn die Bedeutung brüchig wird, wenn man sich auf einmal in Grenzbereichen aufhält. Bei »Resort Island« gibt es dieses Zusammenspiel aus der glatten Hochglanz-Ästhetik der Urlaubsresorts, was man auf der oberflächlichen Ebene sehr interessant finden kann, und eben dem Gefühl, dass man selbst da keine Zeit verbringen möchte. Gleichzeitig sind wir vermutlich ständig auch auf der Suche nach Fluchtorten: und wenn man dann das Gefühl bekommt, das gerade alles um uns herum zusammenbricht, da wird die Resort Island doch eine Sehnsucht. Zumindest eine musikalische. Dann jedoch offenbart sich das alles immer wieder als Illusion. Da kommen also viele Wendungen zusammen. Das hat es für mich so interessant gemacht. 

Die Vielschichtigkeit liegt dir: Heute bist du nicht mehr nur Musiker, sondern eben auch Label-Betreiber. Wie kam es dazu? 
Es war nie mein Wunsch ein Label zu haben. Ich fand die Idee von einem Label, auf dem man einfach nur erscheint, immer besser: Da gibt es andere, die entscheiden; die eigene Musik unterliegt einer Qualitätskontrolle und natürlich gibt es den Aspekt des ›Gemeinsam etwas entwickeln‹.  

Und dann hat sich nach all den Jahren doch deine Indie-Vergangenheit gezeigt und du wolltest wieder DIY arbeiten? 
Nee, gar nicht. Ich bin nicht tatkräftig, kein Anpacker, kein Unternehmer. Ich bin Musiker, womöglich sogar nerdy. 

 In der Musik kann man auch kurz einsam sein, selbst wenn man das sonst nicht ist. 

Isoleé

Oh. Man denkt immer, dass in den 90ern immer alle alles selbst machen wollten. 
Ich war ganz im Gegenteil immer froh, dass alle etwas gemacht haben. Das Engagement bei Playhouse, mit jemandem wie Ata als Labelmacher, flog mir so zu. Ich habe mich in der Hinsicht »Labelarbeit« nie um etwas bemüht. Als Playhouse dann vorbei war, stand ich dann eine ganze Zeit ohne Label dar. Dann kam Stefan (Kozalla aka DJ Koze; Anm. d. Aut.) mit seinem Label Pampa – da kam man zusammen und dann ist man wieder etwas auseinandergedriftet. Und seitdem war ich vielleicht das, was man heimatlos nennt.  

Und wie fühlt sich das erste eigene Label an? 
Zuerst habe ich kalte Füße bekommen, jetzt zeigt sich das aber als ganz gute Erfahrung. 

Ich fand interessant, dass in der Berichterstattung zur Platte überall betont wurde, dass du so lange Pause gemacht hättest, was ja nicht ganz stimmt. Zwar liegt dein letztes Album »Well Spent Youth« zwölf Jahre zurück, aber du hattest in der Zwischenzeit dennoch insgesamt acht EP- und Single-Releases auf Pampa, Maeve, Mule und weiteren Labels. Dann kam Corona und es wurde tatsächlich still um dich. Es gab diese Dancefloor-Depression, weil niemand wusste, für wen man überhaupt noch Tanzmusik produzieren soll – war das etwas, das dich beschäftigt hat? 
Ich konnte dieses Gefühl von Apathie nachvollziehen. Ich sah das ähnlich. Dann wiederum konnte man an viele Stellen lesen, dass jetzt alle viel mehr Zeit hätten und nun musikalisch mehr wagen werden und nachholen, was man sonst nicht schaffe. Bei mir war das ganz anders. Ich hatte keine Einflüsse, kein Feedback, keinen Input – und ist Clubmusik nicht ein Genre, das auf Austausch basiert? Ich habe die Zeit genutzt, um mich locker zu machen und eben nicht an Musik zu denken. 

In die Ausläufer der Pandemie fiel die Eröffnung des MOMEM, des sogenannten Techno-Museums in Frankfurt, wo auch dein Track »Beau Mot Plage« zu den »Essential House Platten« gezählt wird und geehrt wurde. Bei Bands weiß man ja, dass sie die ollen Kamellen hassen und eigentlich nicht mehr aufführen wollen. Wie ist eigentlich das Verhältnis vom Produzenten Isolée zu seinem alten Hit? 
Hass hatte ich für das Stück nie – und heute mit 25 Jahren Abstand schon gar nicht. Es gab Momente, als Remix-Anfragen bei mir eintrudelten, die gefragt haben, ob man nicht sowas wie »Beau Mot Plage« machen können, die fand man ab einem gewissen Zeitpunkt etwas öde.   Live-Spielen war mit dem Track eh immer so eine Sache übrigens: Ich hatte das alles damals auf DAT aufgenommen und jetzt nicht wie heute alle Spuren in einem DAW. Ich musste das dann nachbauen und war nie wirklich zufrieden mit dem Ergebnis. Ich habe aber jetzt einer Version gebaut, die mir gefällt. Ich freue mich sogar immer wieder über das Stück. Ich kann sogar sagen: Ich bin stolz auf das Stück – und über die Würdigung! 

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Du hast gerade schon über das Live-Spielen geredet. Im Zusammenhang mit der Platte hast Du dieses Jahr wieder mehr gespielt. Findest Du es eigentlich interessant, dass man derzeit auf den Tanzflächen der Entstehungszeit von »Beau Mot Plage«, also dem Jahr 1997, näher denn je ist? Die ganzen Trance- und Eurotrash-Revival-Sets sind ja allgegenwärtig. 
Ich habe das relativ spät erst mitbekommen. Ich spielte vor allen Dingen letztes Jahr und auch Anfang des Jahres vor allen Dingen in Kontexten, wo das noch nicht ganz so offensichtlich passiert. Als »Resort Island« erschien gab es einige Stellen, die ihre Freude Ausdruck verliehen, dass endlich mal wieder so ein Album releast wird. Und ich wusste zuerst gar nicht, was die genau meinen. Das wurde mir dann erst allmählich klar: Plötzlich lief Musik, die ich so nicht erwartet hatte; und die ich auch in den Neunzigern nicht gefeiert habe. 

Und wie findest du das? 
Ich war ziemlich baff: Überall werden gefühlt 150 BPM gespielt, oder ganze Sets mit ausschließlich Neunziger-Referenzen, das ganze kann dann auch etwas Gimmickhaft klingen. Sets, die ausschließlich nach dem Zeitgeist gehen oder einen bestimmten Trend abbilden, finde ich schnell langweilig. Aber die Schnelligkeit und das hohe Energie-Level in der Musik finde ich spannend, auch wenn dadurch weniger Raum für musikalische Inhalte in der Musik zu bleiben scheint. Dafür ist das Abstraktionslevel dann höher, was ich bei Techno eh sehr mag. Gleichzeitig habe ich mich manchmal etwas deplatziert mit meinem Set innerhalb eines solchen Line-ups gefühlt, das ist dann aber meine subjektive Wahrnehmung, die sich nicht mit dem des Publikums decken muss. 

Interessiert dich denn mit jetzt knapp in deinen Fünfzigern der Dancefloor überhaupt noch?  
Ich habe bei der neuen LP so stark, wie vielleicht noch nie den Dancefloor mitgedacht. Da finde ich statt, dort spiele ich selbst live – warum sollte ich dann ›freestyle‹ spielen und meine Tracks explizit anti-Dancefloor produzieren? Nein, wirklich: Die Bass-Drum war diesmal einer der Key-Ansatzpunkte für mich und ich habe explizit an ihr gearbeitet. Bass-Drums kann man als Trojanisches Pferd für den Dancefloor einsetzen.