Hyperdub Records – Interview mit Steve Goodman

16.06.2014
Foto:Maximilian Montgomery / © Hyperdub
Der Hyperdub-Chef Steve Goodman aka Kode9 im Interview über 10 Jahre im Dienste der Bassmusik, Schwingungen in der Wirbelsäule, die Allianz weiblicher Musikerinnen auf seinem Plattenlabel und den Tod von DJ Rashad.

Du hast dein Label Hyperdub über lange Zeit als Ein-Mann-Betrieb geführt. Wann hast du entschieden, dass es an der Zeit ist, sich etwas zu vergrößern?
Steve Goodman: Ich habe bis 2007 alles im Alleingang gemacht. Ein alter Freund, der für Rephlex und Warp gearbeitet hat, fragte mich irgendwann, ob ich Hilfe benötige. Das war Marcus [Scott], der jetzt der Labelmanager ist. Dass ich nach und nach mehr Hilfe in Anspruch genommen habe, geschah nie auf meine Initiative hin, es gab immer jemanden, der mich gefragt hat, ob er helfen kann.

Wie viele Leute arbeiten inzwischen bei Hyperdub?
Steve Goodman: Drei von uns arbeiten Vollzeit und ein paar andere in Teilzeit.

Seit einiger Zeit hat sich abgezeichnet, dass Dubstep bei Hyperdub nicht mehr im Zentrum des Interesses steht. Die Compilation »Hyperdub 10.1« bestätigt diesen Eindruck. Wann war für dich klar, dass sich deine Vorlieben geändert haben?
Steve Goodman:
»Hyperdub 10.1« ist die Fortsetzung der basslastigen Aspekte des Labels, wenn auch nicht unbedingt mit Dubstep. Vermutlich ist der Mala-Track der einzige Dubstep-Track der Compilation. Der Rest ist Grime, Footwork, UK Funky und Hip Hop-lastige Instrumentalmusik. Meine Liebe zum Dubstep begann ungefähr 2009 zu schwinden. Ich hatte mich neun Jahre damit beschäftigt. Das ist eine ziemlich lange Zeit, um sich auf einen einzigen Musikstil zu konzentrieren. Ich fing an, mich zu langweilen.

Footwork scheint gegenwärtig ein großes Thema für dich zu sein. Gibt es noch weitere Stile, die bald interessant werden könnten?
Steve Goodman: Das Seltsame an der Musik in Großbritannien ist, dass im Moment bloß House und Techno so richtig groß sind. Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass es noch einmal eine bestimmte Richtung geben wird, die mich so obsessiv beschäftigen wird. Das Label und mein Geschmack haben sich einfach stark erweitert. Die zweite Compilation wird sich um das Thema R&B gruppieren, die erscheint jetzt im Sommer. Nummer drei und vier planen wir noch.

In jüngerer Zeit sind viele weibliche Musikerinn bei Hyperdub hinzugekommen. War das eine bewusste Entscheidung?
Steve Goodman: Bewusst war das nicht. Es begann um 2006 mit Ikonika dann nahmen wir Cooly G unter Vertrag. Wenn überhaupt, gibt es nicht genügend weibliche Musikerinnen auf Hyperdub. Wenn man den Anteil an Frauen in der Bevölkerung betrachtet, dann müssten es sehr viel mehr sein. Aber ich betreibe keine positive Diskriminierung. Mir gefällt die Musik, das kommt vor der Frage, wer sie gemacht hat.

Werden dieses Jahr weitere Produzentinnen hinzukommen?
Steve Goodman: Abgesehen von Fatima Al Qadiri gibt es gegenwärtige keine weiteren Pläne. Dieses Jahr geht es mehr darum, Bilanz zu ziehen, es ist ein eher retrospektives Jahr für uns.

»Ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass es noch einmal eine bestimmte Richtung geben wird, die mich so obsessiv beschäftigen wird wie Dubstep. Das Label und mein Geschmack haben sich einfach stark erweitert.«

Steve Goodmann
Fatima Al Qadiri scheint zudem auf gleicher Linie mit anderen Produzenten zu sein, die nicht nur weiblich, sondern auch leicht exzentrisch sind, wie Ikonika oder Laurel Halo. Hat sich dieser schräge Ansatz im Umgang mit Genres mittlerweile als weitere Konstante bei Hyperdub etabliert?
Steve Goodman: Ich glaube, aus diesem Grund bringen wir vier getrennte Compilations mit verschiedenen Themen heraus. Mir ist aufgefallen, dass ich drei oder vier Sublabel innerhalb eines einzigen Labels betrieben habe. Es gibt da unterschiedliche Stil-Cluster. Mit den vier Compilations ordne ich ein bisschen meinen Backkatalog und ordne ihn in Gruppen ein: Dieser Track von Burial passt zu diesem Track von Laurel Halo und so weiter. So versuche ich die zufälligen Verbindungen zu finden, die sich im Laufe der eklektischen Entwicklung des Labels herausgebildet haben.

Hyperdub stand früher in erster Linie für den Namen Burial. Auf der ersten Compilation ist er lediglich mit einem Track auf der retrospektiven CD vertreten. Steht er inzwischen etwas für die Vergangenheit des Labels?
Steve Goodman: Burial ist immer noch das Herz des Labels. Er arbeitet bloß in seiner eigenen Geschwindigkeit. Wenn er etwas veröffentlichen möchte, veröffentlichen wir es. Aber ich kann ihn zu nichts drängen. Wenn es kommt, dann kommt es. Mit Burial zu arbeiten ist ein bisschen wie mit dem Wetter zu arbeiten.

Am Anfang war Hyperdub kein Plattenlabel, sondern ein Online-Magazin. Wie verlief dieser Übergang?
Steve Goodman: Mit dem Magazin habe ich 2000 begonnen. Damals gab es eine Periode, in der UK Garage ziemlich groß gewesen und gerade am Abklingen war. Daraus entwickelten sich zwei Stile, die etwas dunkler waren, der eine instrumental, das wurde Dubstep, der andere mit MCs, das wurde dann Grime. In dieser Übergangsphase begannen wir das Magazin, um eingehende Interviews mit den beteiligten Künstlern zu führen und herauszufinden, was aus dem Kadaver von UK Garage entstehen würde. Das machten wir einige Jahre lang, wir interviewten Leute wie Zed Bias El-B, Ms Dynamite, Dizzee Rascal und Wiley Ich habe auch ein paar Künstler interviewt, die dubbige Elektronik gemacht haben, Jan Jelinek zum Beispiel. Denn bei dem Magazin ging es uns am Anfang um den jamaikanischen Einfluss auf elektronische Musik vor allem in London, aber auch allgemeiner. Nach ein paar Jahren hatte ich alle Leute interviewt, mit denen ich sprechen wollte. Als ich plante, einen Artikel über The Bug zu schreiben, gab ich ihm eine CD mit einigen Tracks von mir, darunter auch »Sine of the Dub«, der dann die erste Veröffentlichung des Labels wurde. Kevin Martin – The Bug – gefiel der Track und er sagte: »Warum veröffentlichst du ihn nicht selbst?« Er machte mich dann mit einem Vertrieb bekannt. So fing es an, ich habe einfach meine eigene Musik herausgebracht.

In deinem Buch »Sonic Warfare« hast du dich mit dem Phänomen beschäftigt, dass Klang sowohl dazu verwendet werden kann, Menschenmengen – bei Demonstrationen etwa – auseinander zu treiben, als auch mit dem Ziel, Leute im Club zu versammeln. Wie hat sich dein Denken über die »Ontologie der Schwingungskraft« in jüngerer Zeit entwickelt?
Steve Goodman: Die Ideen des Buches haben sich in einigen Klanginstallationen weiterentwickelt, an denen ich als Teil des Projekts Audint gearbeitet habe. Aus einer bestimmten Menge von Begriffen wurde so eine Reihe praktischer Experimente mit Niederfrequenzschwingungen und Ultraschall. Vor Kurzem haben wir begonnen, mit SubPacs zu arbeiten, das sind tragbare Schwingungsgeräte. Statt Subwoofers benutzen wir SubPacs, die einem auf der Wirbelsäule sitzen und die Schwingungen direkt in den Körper übertragen statt durch die Luft. Diese Geräte haben wir in den Installationen mit gerichteten Ultraschall-Lautsprechern kombiniert.

Gibt es in deiner sonstigen akademischen Arbeit ähnlich fließende Übergänge zwischen Theorie und Praxis?
Steve Goodman: In der Musik weniger, auf das Audint-Projekt trifft das aber ganz sicher zu. Allerdings lehre ich nicht mehr an der Hochschule.

Das sind allerdings Neuigkeiten! Ich wollte gerade fragen, wie du deine Zeit zwischen den beiden aufteilst.
Steve Goodman: Es wurde unmöglich. Ich habe zehn Jahre lang hauptberuflich gelehrt. Es war einfach zu viel, wenn ich von einem Wochenende mit Gigs zurückkam und dann am Montag gleich wieder lehren musste. Mir sind darüber graue Haare gewachsen.

Neben den Gründen zum Feiern gibt es dieses Jahr auch die traurige Nachricht vom Tod DJ Rashads. Wirst du seinen Tod bei den anstehenden »Hyperdub 10«-Feierlichkeiten (unter anderem in Berlin) irgendwie thematisieren?
Steve Goodman: Wir haben beim Sonar Festival eine Party veranstaltet. Alle Einnahmen daraus werden an seinen Sohn gehen. Und wir werden eine Platte mit unveröffentlichter Musik von ihm herausbringen, die Einnahmen gehen ebenfalls an den Sohn von DJ Rashad Und wir wollen eine Teklife-Compilation mit all den anderen Leuten seiner Crew veröffentlichen. Die Erinnerung an ihn soll so lange wie möglich wach gehalten werden.