Nein, eine Koto ist das nicht, aber doch so etwas wie eine Zither. Oder könnte das etwa der Sound einer Zungentrommel sein: Schon bei dem Opener zu Hoshina Anniversarys neuestem Album »Jomon« auf ESP Institut ist der realm, das geistige Königreich, das Sounduniversum, in dem sich die Platte abspielt, unklar definiert, irgendwie hybride. Kaum im follow-up-Track »Nakasora« angekommen, scheint hingegen klar zu sein, wohin die Reise geht: Saftiger, aber dumpfer Acid, dazu eine super-kurze, snappy Snare-Drum. We call it techno!
Doch wer das Werk des Tokioters Yoshinobu Hoshina schon länger verfolgt, der weiß, dass seine Musik stets dadurch glänzt, dass man sie eben nicht zuordnen kann. Schon bald wird »Nakasora« durchzogen durch Koto-Klänge – hier dann wirklich – und was eben noch »Techno« war, ist es längst nicht mehr. Zur Aufklärung dessen, was man vor sich hat, trägt Hoshinas Arbeitsweise kaum bei: Komplett fixiert auf die Arbeit mit Samplern und Digital-Synthesizern führt es dazu, dass sich zumeist nicht mehr nachvollziehen lässt, welche Soundquelle ehedem Pate stand für diesen oder jenen Sound.
Eine neue Perspektive auf die japanische Musik
Abhilfe leistet da schon eher der Begriff, den der japanische Produzent für seinen Stil geprägt hat: Watechno. Wa, das ist nicht nur das alte chinesische Wort für Japan selbst, sondern auch ein kulturelles Konzept der Harmonie. Es geht um das Aufgehen in der Gruppe, die Konformität, den Kompromiss und das Abweisen jeglichen persönlichen Geltungsbedürfnisses. »Wa ist die japanische Kultur. Watechno ist der Versuch der Harmonisierung von japanischen Instrumenten und Techno/House«, so Hoshina – der gleichzeitig unterschlägt, dass noch ein ganz anderer Aspekt ebenso in seiner Musik harmonisiert, wird: Jazz.
»›Jomon‹ ist eine neue Perspektive auf die japanische Musik. Es ist die Möglichkeit japanische Musik, Techno und Jazz zu fusionieren«, sagt der ausgemachte Jazz-Fan dazu. Wie sich das auf Albumlänge präsentiert: Während man den Synthlauf auf »Sadacho No Netori« noch als funky-jazzy »Unfall« abtun könnte, hinterlässt schon »Shin Sekai« keine Zweifel. Hier spielen Herbie Hancock und der erst kürzlich verstorbene Armando Chick Corea ein Duett – und fechten zeitgleich aus, welche Harmoniefolgen noch Sinn ergeben und welche schon nicht mehr.
»›Jomon‹ ist eine neue perspektive auf die japanische Musik. Es ist die Möglichkeit japanische Musik, Techno und Jazz zu fusionieren«
Hoshina Anniversary
Die ganze Platte sei für ihn eine Wiederherstellung der Crossover Musik der Siebziger in denen eben Chick Corea, James Mason oder auch Steely Dans Donald Fagen auf der Basis von Jazz grandiose Pop-Musik entworfen haben. Altbacken soll das dennoch nicht sein – und so inkorporiert Hoshina Anniversary gleich auch noch seine Vorliebe für elektronische Werke wie Aphex Twins »Selected Ambient Works Vol.2« oder sogar Radioheads »Kid A«.
In guter Gesellschaft
Ganz alleine steht er mit dem Ansatz nicht. Gerade in Japan gibt es eine Tradition und Geschichte von Musiker:innen, die entweder sich selbst im Jazz verortet haben oder dort rezipiert wurden. Augenfällig ist das nicht nur bei Künstlern wie Yasuaki Shimizu der schon immer zwischen Post-Punk, City-Pop, Jazz und früher Electronica hin- und herhüpfte wie es ihm gerade passte, auch der Ur-Vater der japanischen Techno-Musik, Kuniyuki Takahashi sieht sich durchaus nicht als »Elektro-Act« per se.
Und auch jüngere Semester setzen da an: Kez YM ist so fucking jazzy, dass es knallt und selbst jemand wie Foodman liefert seine ganz eigene Interpretation von Jazz-Footwork auf Platte. Ganz zu schweigen davon, dass selbst das Yellow Magic Orchestra stets zwischen Pop-Musik in Form von Funk und komponiertem Jazz changierte.
»Ich glaube trotzdem, dass diese innere Verbundenheit zwischen elektronischer Musik und Jazz in den Siebzigern und Achtzigern noch sehr viel einfacher zu verstehen und erkennen war«, blickt Hoshina Anniversary fast schon melancholisch zurück. Auch gibt er zu bedenken, dass nicht alles Jazz ist, was jazzy klingt: »Es gibt viele Techno- und House-Tracks, die Jazz samplen. Aber eigentlich ist es extrem selten, dass Jazz-Musiker:innen Club-Musik spielen oder produzieren – das versuche ich hier durchzusetzen. Es ist auch sauschwer. Ich habe mindestens fünf Jahre gebraucht, um einen gelungenen Ansatz zu entwickeln.«
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Gespaltene Persönlichkeit
Auf die Frage, ob er da einen Zusammenhang mit Klischees zum japanischen Perfektionismus sehe, zeigt er sich zurückhalten und vorsichtig: »Einerseits ist es sicher so, dass es mir und anderen japanischen Musiker:innen darum geht, Sachen zu verknüpfen und zu kombinieren. Verbindungen sind da häufig wichtiger als die perfekte Ausführung der Musik. Andererseits kann ich nicht für alle sprechen. Oftmals finde ich die Soundwelt hier sehr flach, man könnte fast sagen, dass sie billig sei. Ich hingegen habe auf ›Jomon‹ versucht zu musizieren wie Donald Fagen.«
Neben seinem Alias Hoshina Anniversary pflegt der Japaner noch weitere: Da wäre einmal Suemori. Bei dem Projekt treten viele Ansätze in den Hintergrund, Tanzbarkeit steht jedenfalls gar nicht im Vordergrund, sonern eher Ambient und Drone. Lockerer ist da schon Shifting Gears: Hier versammelt Hoshina vornehmlich 70’s Rare Soul-inspirierte Tanznummern. Auch hier hört man immer wieder wie sehr Yoshinobu Hoshina von Jazz-Produktionen der Siebziger geprägt ist.
»Letzlich muss man festhalten, dass bei aller Experimentierfreudigkeit sehr wenig Musik entstanden ist, die in heutigen Clubs funktionieren. Vielleicht sowas wie Jaco Pastorius. Dementsprechend war es vor allen Dingen bedeutend genau dies zu schaffen: Jazz, traditionelle japanische Musik und Techno unter einen Hut zu bekommen.«