»Ironie ist ein seltenes Pflänzchen im deutschen Hip-Hop«, diktierte Leipzigs finest Morlockk Dilemma in unserem ersten Interview vor drei Jahren ins Aufnahmegerät. Egal ob auf Solopfaden oder an der Seite des Berliner Untergrundhelden Hiob (ehem. V.Mann) bemüht er sich seither eifrig um die Kultivierung dieses zerbrechlichen Gewächses. Offensichtlich waren sie gute Gärtner. Denn jetzt, da es an der Zeit ist, die Früchte der harten Arbeit zu ernten, scheint der Ernteertrag üppig auszufallen. Apokalypse Jetzt schmeckt nach noch mehr Tränen, nach noch mehr Schmerz und noch mehr Schmutz. Dabei vergessen die beiden Protagonisten aber nicht, das alles vielleicht doch nicht ganz so ernst zu nehmen und schaffen so einen Spannungsbogen zwischen überzogenem Destruktivismus und ernst gemeinter Gesellschaftskritik. Ein Gespräch am Vortag der Apokalypse.
Erst Hang Zur Dramatik, dann Apokalypse Jetzt: das klingt nach einer Steigerung…
Morlockk Dilemma: Ich denke, insbesondere inhaltlich haben wir uns gesteigert. Bei Hang zur Dramatik war es noch ein Aneinanderreihen von Tracks. Wir haben auch erst einmal sehen müssen, wie wir zusammen arbeiten. Alles war jungfräulich. Jetzt haben wir da schon eine gewisse Routine in der Arbeitsweise gehabt. Apokalypse Jetzt ist auch eher ein Konzeptalbum geworden. Das ist ein Fortschritt unserer Zusammenarbeit. Auf textlicher Ebene sind wir radikaler geworden. Da ist die Entwicklung ganz klar rudimentär: zurück zum Tier.
Mitten hinein in Finanzkrise und Schweinegrippe habt ihr euch einen guten Zeitpunkt für die Veröffentlichung eurer zweiten LP ausgesucht. Jubiliert ihr bei jeder neuen Schreckensmeldung aus aller Welt?
Morlockk Dilemma: Das wäre zynisch. Aber wir hätten das Album auch schon letzten Sommer veröffentlichen können. Wir haben aber gechillt, weil die Menschen noch nicht dafür bereit gewesen wären. Die Zeit sollte unser größter Verbündeter werden. Sie gab uns Recht. Jetzt erscheinen die Texte aktuell, sind jedoch hornalt und daher prophetisch.
Hiob: Wieso? Die Finanzkrise ist doch auf jeden Fall schon mal ein Grund, um ausgelassen zu feiern. Im Ernst, Hiob und Dilemma sind zwei Figuren. Wenn ich manche Sachen so sehen würde, wie ich das als Hiob sage, hätte ich mir längst die Kugel gegeben.
Ernsthaft, gibt es für euch eine Grenze für Sarkasmus, Ironie und Überspitzung?»Der Stift ist mächtiger als das Schwert, aber halte ein Schwert bereit, wenn der Stift versagt.«
Morlockk Dilemma
Hiob: Ich finde in diesem Zusammenhang heiligt der Zweck die Mittel. Wenn irgendjemand beim Genuss unseres Albums sein Essen übergibt, dann bringt ihn das ja vielleicht zum Nachdenken. Dafür dürfen mich die Leute dann auch hassen. Die beste Medizin gegen Apathie ist eben immer noch eine schallende Ohrfeige.
Dilemma: Der Stift ist mächtiger als das Schwert, aber halte ein Schwert bereit, wenn der Stift versagt.
Ihr seid mittlerweile von Snuff Pro zu Spoken View gewechselt. Hat sich für euch durch den Labelwechsel etwas geändert?
Hiob: Nein, eigentlich nicht. Die meisten Leute bei Spoken View kenne ich ja schon seit Funkviertel-Zeiten. Was Artwork, Fotos und so betrifft, haben wir außerdem immer eng mit Spoken View zusammengearbeitet. Für mich ist es in jeden Fall praktisch, dass mein neues Label in Berlin sitzt
Die glänzende Hip-Hop-Fassade zerfällt, bei euch geht es indessen aufwärts. Was bedeuten einem Presselob und frenetische Fans in Zeiten von schlechten Verkaufszahlen und einer allgegenwärtigen Musik-Krisenstimmung?
Hiob: Da ich mich eigentlich gar nicht mehr in diesem Mikrokosmos bewege, kann ich zu unser Außenwirkung auf die Szene nicht viel sagen. Klar bekomme ich Feedback nach Gigs oder im Internet, doch in meinem engeren Bekanntenkreis wird dieses ganze Rap-Ding eher belächelt. Insofern ist meine Wahrnehmung da eine völlig andere.
Morlockk Dilemma: Außerdem hat sich doch nichts wirklich geändert. Und nicht die glänzende Fassade fällt, sondern die kotfarbene Kruste. Wenn jetzt auch noch der MySpace-Pöbel erkennt, dass ihre wacken Alleszerficker-Mixtapes keine Garanten für eine steile Musikkarriere darstellen, muss ich weniger Kommentare von meiner Seite löschen. Das ist ein erstrebenswerter Zustand. Wir werden immer dableiben, mit oder ohne Kohle. Diesen Satz lass ich mir auf ein Küchenhandtuch sticken.
Ist Hip-Hop überbewertet?
Morlockk Dilemma: Hip-Hop ist meine Lieblings-Gaga-Jugendkultur. Vielleicht gewinnt sie irgendwann wieder an wahrer Relevanz. Vielleicht wird sie wieder rebellisch, vielleicht wird sie wirklich mal ein Sprachrohr. Momentan ist sie ein grinsender Dämon mit Luftballons und Digitalwaage. Eine verführerische Sirene mit schlechtem Atem. Aber es gibt immer ein morgen.
Hiob: Ich dachte Hip Hop ist tot?
Euer Album klingt stellenweise nach Babylon-Weltverschwörung. Habt ihr euch mit Artikeln, Büchern zur Apokalypse oder Filmen wie Zeitgeist beschäftigt?»Wir werden immer dableiben, mit oder ohne Kohle. Diesen Satz lass ich mir auf ein Küchenhandtuch sticken.«
Morlockk Dilemma
Hiob: Ich hab mir jedenfalls eine Menge Müll von irgendwelchen anglikanischen Sekten angetan. Auf dem Album sind da dann eine Menge Zitate gelandet. Diese Apokalyptiker sind einfach so herrlich pathetisch.
Morlockk Dilemma: Zeitgeist habe ich gesehen. Fand ich gut. Natürlich ist dieses antimonetäre Weltbild ein naiver Wunsch von Gutmenschen. Bevor es dazu kommen könnte, müsste ein Atomkrieg die Menschheit an den Rand der Verzweiflung bringen. Trotzdem guter Propagandafilm, der mich als Atheist nur noch bestätigt hat, auch wenn ich die Religionsfreiheit für ein wichtiges Allgemeingut halte. Das Wort †ºBabylon†¹ hat leider so eine eklige hippieeske Konnotation. Aber es hat den Weg auf die Platte gefunden. Wir haben ihm eine neue Bedeutung gegeben.
Macht man es sich zu einfach, wenn man hinter gesellschaftlich-politischen oder wirtschaftlichen Prozessen Personen vermutet, die alles in der Hand haben?
Hiob: Ich glaube das hat niemand jemals ernsthaft behauptet. Aber gerade »politische und wirtschaftliche Prozesse« sind ja keine Folge irgendwelcher Naturgesetze. Sie sind ganz einfach menschengemacht. Das Problem ist doch, dass die Masse die Verhältnisse als unveränderlich hinnimmt, während die globale Oligarchie weiterhin ihre Desinformations-Kampagnen führt. Dabei bestimmt gerade das Verhalten jedes einzelnen die Verhältnisse, wer auch immer das jetzt gesagt hat. Mein betrunkener Nachbar vielleicht…
Wenn die Apokalypse morgen vor der Türe stünde, was würdet ihr tun?
Hiob: Doch noch der Kirche beitreten.
Morlockk Dilemma: Einen Tannenzapfen rösten.