Halbjahresrückblick 2018 – 50 best Vinyl Records so far

29.06.2018
Techno ohne Kick und Snare, kunstvolles Gurgeln, Musik, zu der Buckelwale ihre Babys beisetzen: alles drin unter den 50 Schallplatten, die uns die erste Jahreshälfte 2018 bislang besonders versüßt haben.
Das Jahr 2018 hat schon wieder die Hälfte hinter sich. Und während wir im Alltag lernen mussten, dass wir uns auf nichts verlassen können (amerikanische Präsidenten, deutsche Fußballnationalmannschaften, umweltfreundliche Dieselautos sind umweltunfreundlich, die Rente ist sicher, die Schallplattenpreise sind stabil), haben uns die Vinyl-Releases gelehrt, das weiterhin sehr gute, neue und wiederentdeckte Musik von den immer akribischer, herzblütiger, aufopferungsvoller arbeitenden Plattenfirmen veröffentlicht werden. (Außer vielleicht im Hip-Hop, da hoffen wir aber schwer auf die zweite Jahreshälfte.) Also haben wir unsere rauchenden Köpfe zusammengesteckt und eine Liste zusammengestrichen, die 50 Schallplatten in allen Formaten und aus allen Genres beinhaltet. Darunter Räucherstäbchenmanifeste, Schöpfungsgeschichte-Ouvertueren, richtiger Messiascheiß eben, Techno ohne Kick und Snare, kunstvolles Gurgeln, Musik für Radiergummies und Musik, zu der Buckelwale ihre Babys beisetzen. Das ganze Programm eben.


Die 50 besten Vinyl-Schallplatten der ersten Jahreshälfte 2018 findest du bei uns im Webshop von HHV Records.


Airchina
LP1
Italic / Ambassadors Reception • 2018 • ab 22.49€
Feine fernöstliche Klangkunst, frisch aus Düsseldorf. Dort gibt es zwar die drittgrößte japanische Community Europas, die Musik stammt aber von Stabil Elite-Sänger Nikolai Szymanski. Der lässt sich unter dem Namen Airchina vom Yellow Magic Orchestra ebenso wie von den Visible Cloaks inspirieren, um eine Platte voller inspirierter Instrumentals vorzulegen, die Ambient ebenso gut wie Synth-Pop können. Und dass die Angelegenheit »LP 1« getauft wurde, lässt hoffen, dass es kein einmaliger Ausflug geblieben sein wird. Tim Caspar Boehme

Ayuune Sule
We Have One Destiny
Makkum • 2018 • ab 16.99€
Ayuune Sule aus dem Nordosten Ghanas singt und spielt die Kologo, ein westafrikanisches Lauten-artiges Saiteninstrument, und die Sinyaka, ein Maracas-ähnliches Perkussionsinstrument. Sein Debüt-Album »We Have One Destiny« kombiniert auf 11 Stücken die rein akustischen Soloklänge seiner Hitsingle »What A Man Can Do A Woman Can Do Better« mit einer kompletten Band samt Chorgesängen, Raps und elektronischen Sounds zu einer äußerst tanzbaren Musik zwischen Tradition und Moderne. Andreas Brüning

Bebe Fang
Bebe Fang
Vrystaete • 2018 • ab 23.99€
Die einzigen Aufnahmen überhaupt von Berber Visser and Keimpe Koldijk alias [Bebe Fang](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/5664/bebe-fang.) Zehn Jahre auf irgendeiner Kassette eingestaubt, in diesem Jahr vom großartigen Label Vrystaete auf Platte veröffentlicht. Verloren wird diese Musik bleiben. Im besten Sinne. Schwer diesen jetzt hier auf die Kürze zu beschreiben. Das ist Musik, zu der Buckelwale ihre Babys beisetzen. Unglaubliches Album, wirklich. Definitiv das Album des Halbjahres. Philipp Kunze

Barker
Debiasing EP
Ostgut Ton • 2018 • ab 9.99€
Die erste Solo-EP, »Debiasing«, des langjährigen Leisure System-Kurators und ND Baumecker-Aficionados Sam Barker ist das Destillat eines Perfektionisten. Der Verzicht auf Kick, Snare und Clap bietet vielseitige Einsatzmöglichkeiten hinter den Decks, um mit den passenden DJ-Tools die auftreibenden Melodiebögen so richtig in Szene zu setzen. Unterschwellige Detroit-Verweise auf A1 und B1 erinnern dabei an die Built-Ups des Underground-Resistance-Klassikers »Journey Of The Dragons« oder die »Timeworm EP« von 2030. Felix Hüther

Beverly Glenn-Copeland
Beverly Glenn-Copeland
Super Sonic Jazz • 1970 • ab 21.99€
Die schleichende Wiederentdeckung von Beverly Glenn-Copeland verwundert nicht nur ihn selbst, sondern bringt auch die schräg-schönste Musik überhaupt ans Tageslicht. Nach einem Reissue des 1986 veröffentlichten Tapes »Keyboard Fantasies« ist Copeland Debütalbum »Beverly Glenn-Copeland« irgendwie zwischen Joan Baez, Gabor Szabo und Pharoah Sanders eine Fundgrube von Musik, die sich vorher und danach nie jemand getraut hätte. Kristoffer Cornils

Borusiade
A Body
Cómeme • 2018 • ab 10.99€
Miruna Boruzescu aka Borusiade ist leider viel zu lange übersehen worden. Liegt vielleicht daran, dass Rumänien-Diggen noch nicht als cool gilt. Diese LP hat sie aber glücklicherweise auf’s Radar geworfen. Diese Wave-Bombe »A Body«, die hält, was sie verspricht. Die Körperlichkeit, die sich aus dem Zusammenspiel der meist düsteren Tracks und dem schwurbelig-nebulösen Gesangs-Parts ergibt, ist vornehmlich bei höherer Lautstärke zu genießen. Aber auch schon auf dem gut isolierten Kopfhörer ist der Genuss groß, die Tiefe überwältigend. Neben dem Club auch perfekt zum Reisen. Lars Fleischmann

Cecilia
Adoration
Halycon Veil • 2018 • ab 17.99€
Synthpop so bekömmlich wie ein Kilo Dachziegel: Cecilias »Adoration« klingt wie Lucrecia Dalt am Katheter. Italienisch, Englisch, Französisch und trotzdem gibt es nichts woran man sich hier festhalten könnte. Wenn Portishead nach »Third« komplett den Verstand verloren hätten, würden sie heute so klingen wie Cecilia. Florian Aigner

Chevel
Always Yours
Different Circles • 2018 • ab 18.99€
Wer noch immer nicht das Label Different Circles (und ihre Macher Mumdance und Logos) aufm Schirm hat, dem wurde jüngst ein weiteres Argument, die Missachtung endlich aufzugeben, bereitgestellt. Es kommt von dem Italiener Chevel und hört auf den komplett in die Irre führenden, und daher wunderschönen Titel »Always Yours«. Darauf: Musik für Menschen mit Tunnelblick und für jene, die sich das Rauchen angewöhnen wollen. Musik zur Selbstpessimierung. Absolut. Musik für den Moment, wenn im Kühlschrank das Licht ausgeht. Musik zwischen Proto-Kanalreinigung und Post-Arschversohlen. Musik für Radiergummis und alle, die es werden wollen. Sebastian Hinz

Christy Essien
One Understanding
Afrodisia • 1979 • ab 26.99€
Wer »Take Life Easy« und »You Can’t Change A Man« kennt und nicht besitzt, für den ist diese Reissue ohnehin essentiell. Für den Rest kurz die Eckdaten: Christy Essien gilt als Königin nigerianischer Popmusik, die oben genannten Stücke finden sich in etlichen Disco-Sets namhafter DJs. Die Platte, [»One Understanding«](https://www.hhv-mag.com/de/new/10067/christy-essien-reissue-one-understanding,) war auch unter Discogs-Einsteigern ein holy grail und dementsprechend kaum noch zu finden. Jetzt ist sie wieder da. Deshalb findet sie sich hier wieder. Philipp Kunze

Cienfuegos Autogolpe
Cienfuegos Autogolpe
L.I.E.S. • 2018 • ab 12.59€
Wer sich für rostigen Tribalindustrial auf 95 BPM nicht interessiert, darf gerne scrollen, in ze most obvious news ever ist Cienfuegos Autogolpes LP auf L.I.E.S. für mich wieder Messiasscheiß tho. Also zumindest wenn der Beat hinter all dem Asbest so klar zu erkennen ist wie auf »False Prophets«, »Encantada« und dem völlig irren EBM-Grime «The Seventh Sister«. Florian Aigner

Skee Mask
Compro
Ilian Tape • 2018 • ab 27.99€
Nun ist er angekommen, der Batida-Sound aus Lissabons Vorstädten. Der »Cranio EP« geht zwar ein Stück weit die derbe Rauheit ab, die die früheren Veröffentlichungen von DJ Nigga Fox auf Príncipe so herrlich schwer verdaulich machten. Doch auch in seiner etwas bekömmlicheren Form ist dieser Künstler ein Gewinn für Warp Records, wo man die Nase mal wieder in die richtige Himmelsrichtung gestreckt hat.Steffen Kolberg

DsorDNE
E Un Sole
Dark Entries • 1990 • ab 25.99€
Dark Entries kippen den rarsten 80s-Scheiß nach wie vor fünfmal die Woche vom Laster. Kein Plan wie man da nebenher noch Shampoo kaufen und Steuererklärung machen soll ohne akute FOMO-Entzündung. Am wenigsten zu verpassen wäre dieses Jahr bisher Dsorndne und »E Un Sole«. Perfektester Schweinkram-Spoken-Word über rostigen Midtempo-Industrial mit ungewöhnlich weichem Herz. Florian Aigner

Eblen Macari
Musica Para Planetarios
Seance Centre • 1987 • ab 28.99€
Zur Review
Das kanadische Label Séance Centre hat Anfang des Jahres [»Musica Para Planetarios«](https://www.hhv-mag.com/de/review/9940/eblen-macari-musica-para-planetarios,) eine Auftragsarbeit, die der mexikanische Musiker Eblen Macari 1987 für das Planetarium seiner Heimatstadt Mexico City komponieren durfte, veröffentlicht. Das Ergebnis ist nichts weniger als die Vertonung der Entstehung der Welt, eine Verlautbarung des steten Werdens, frei in den Mitteln und kein bisschen abgehoben. Sebastian Hinz

Emerson Kitamura
The Countryside Is Great EP
EM • 2018 • ab 15.99€
Emerson Kitamura hat mit der »The Countryside Is Great EP« eine Platte gemacht, die besser ist als alle Reissue-Kuriositäten, die uns dieses Jahr obibestrippt aus Japan erreicht haben. Vom Dreampop-Cover des ollen George McRae Schinkens »Rock Your Baby« über den strengen Minimalismus’ von »Lam Phloem Salab Khonsawan« zu den auf 45 und 33 gleichermaßen sensationellen Digidub-Versionen des Titelstücks: vielleicht die EP des Jahres bisher. Florian Aigner

Gabor Lazar
Unfold
The Death Of Rave • 2018 • ab 22.99€
Weil Mark Fell fast nur noch Kunsthochschulenmucke macht, muss sein vormaliger Mitstreiter Gábor Lázár es richten und parallel zu Fells »Intra« mit »Unfold« ein Album vorlegen, das Grime-Signale durchs SND-Prisma bouncen lässt. Im Gesamten klingt das wie ein musikalischer Grand mal-Anfall, im Einzelnen wie etwas, nach dem die Track-ID-Crowd in Anschluss aufs nächste Aphex Twin-Set fieberhaft giert. Kristoffer Cornils


Die 50 besten Vinyl-Schallplatten der ersten Jahreshälfte 2018 findest du bei uns im Webshop von HHV Records.


Garland
Predules #1
Lullabies For Insomniacs • 2017 • ab 19.99€
»Preludes #1« sind musikalische Skizzen, entstanden im Austausch zwischen Glasgow und Köln. Anleihen von frischgezapftem Dub, 80er Kassetten-Industrial, Black Zone Myth Chant-Tribal, auf halber Strecke liegt eh immer Düsseldorf. Garland haben hier auf Izabel Caligiors immer interessantem Label Lullabies For Insomniacs einen Release vorgelegt, der sich einem nie endgültig erschließt. Und das deswegen zumindest beim Verfasser dieser Zeilen zu den meistgehörten Platten der letzten Monate gehört. Philipp Kunze

Grouper
Grid Of Points
Kranky • 2018 • ab 20.99€
Liz Harris kann also innerhalb von nur zehn Tagen 21 Minuten Musik schreiben, die selbst in Unfertigkeit noch rundherum perfekt klingt. Okay, das überrascht nun nicht wirklich, weil das Unfertige schon immer der USP von Groupers Musik war. Mit »Grid of Points« allerdings klappt die Harrische Schere zwischen Intimität und Distanz noch ein kleines bisschen weiter zu als zuvor: Songs wie gespenstische Umarmungen, frostig und erhaben zugleich. Kristoffer Cornils

Iannis Xenakis
Persepolis
Karl • 2018 • ab 17.99€
Iannis Xenakis Ode an die Stadtruinen von Persepolis im heutigen Iran klang schon 1971 wie der Merzbow-Remix des John Carpenter-Katalogs und 2018 mit neuem Mastering noch lauter als zuvor. Als Album bildet »Persepolis« nur eine Facette des damaligen Multimedia-Spektakels ab. Ob jedoch heute irgendjemand das volle Programm noch unbeschadet überstehen könnte, scheint nach 55 Minuten sowieso unwahrscheinlich. Kristoffer Cornils

Job Sifre
Bestaan EP
Knekelhuis • 2018 • ab 10.99€
Die Geschichte zu »Bestaan« ist schnell erzählt: Junger Holländer macht seine zweite Platte, dieses mal für Mark Knekelhuis Label, verfeinert was auf Platte eins schon quasi perfekt funktioniert hat, ballert sich einmal von 75 bis 125 BPM durch das EBM- und DIY-Einflussprogramm und drückt doch die Konkurrenz feixend an die Wand. Und: mehr holländische Vocals, bitte. Florian Aigner

Kali Malone
Cast Of Mind
Hallow Ground • 2018 • ab 26.99€
Bläser-Drones und Buchla-Einsatz mit halber Kraft voraus: Klar, auf den ersten Blick könnte »Cast Of Mind« von Kali Malone schnell als Start-Up-Detox-Yoga-Soundtrack verenden. Wenn denn die vier Tracks der Wahlschwedin nicht ebenso hintergründig wie doppelbödig wären. Statt Wellness gibt es Unbehagen, jede weitere Entschleunigung führt nur tiefer in die Krise hinab. Brisanter war erdrückend langsame Musik schon lang nicht mehr. Kristoffer Cornils

Kaoru Inoue
Em Paz
Groovement Organic Series • 2018 • ab 19.99€
Derweil aktuell so ziemlich jedes New Age- und Ethno-Ambient-Release aus dem Japan der 1980er Jahre zum essentiellen Kultklassiker hochgewichst wird, um vom Reissue eine Fünfhunderter-Auflage abzusetzen, geht es übrigens auch zeitgeistiger: Kaoru Inoue hat mit »em paz« ein wunderbar blödes Räucherstäbchenmanifest für überarbeitete Tokyo-Opfer aufgenommen. Muss er jetzt vierzig Jahre lang auf Anerkennung warten? Wir hoffen nicht. Kristoffer Cornils

Lena Platonos
Lepidoptera
Dark Entries • 1986 • ab 19.99€
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Jetzt endlich auch für den Rest der Welt: New Wave-affine Griechen durften sich schon in den 1980er Jahren über die Musik von Lena Platonos freuen. Und unter den Reissues aus dem Hause Dark Entries hat besonders der jüngste, [»Lepidoptera«](https://www.hhv-mag.com/de/review/10111/lena-platonos-lepidoptera,) bis heute uneingeschränkte Gültigkeit. Dunkelsynthetisiertes, Chanson-eskes und Folklore kann die Komponistin so gut integrieren, dass man ihr fast jede Krise von heute überlassen wollen würde. Wenn Musik allein die Lösung wäre. Diese ist es, irgendwie. Tim Caspar Boehme

Lena Willikens
Selectors 005
Dekmantel • 2018 • ab 23.99€
Lena Willikens hat mit der Compilation »Selectors 005« einen Grundstein dafür gelegt, dass Leute die Komplexität ihrer Sets nun auch außerhalb der Clubs studieren können. Der Selectors-Reihe gelingt damit im fünften Anlauf, was vielleicht ihr Ziel all along war: In der Ko-Ordination von Stücken ein Ensemble von Skulpturen zu schaffen. Ein modernes »Bilder einer Ausstellung« sozusagen. Lars Fleischmann

Lucrecia Dalt
Anticlines
Rvng Intl. • 2018 • ab 18.99€
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Lucrecia Dalt hat mir ihrem neuesten Album den nächsten Schritt ihrer künstlerischen Entwicklung vollzogen. Hier ist nun alles ausformuliert, was sich bereits auf den Vorgängern fand. Ausformuliert heißt eben auch: auf den Punkt gebracht. Kein Synth zu viel, keine ambienten Flächen als Selbstzweck. Unheimlich war Lucrecia Dalts Musik immer irgendwie. Auf »Anticlines« klingt sie unheimlich rational. Der verschrobene Zauber ist kalten Gedichten gewichen. Dalt hat um ihren Sound eine Installation gebaut, die die Flächen, die Weite, alles verschluckt. In einem kunstvollen Gurgeln geht sie unter, die letzte fucking Fee ist tot. Ihre Stimme sagt noch aus dem Off die letzten Gedichte auf. Die Natur ist irgendwo da oben, hier unten im Loch lebt nur noch die Kunst. Zuletzt so eindrucksvoll gehört auf Felicia Atkinsons 2017er Werk »Hand In Hand« Philipp Kunze

Luis Perez
Ipan In Xiktli Metztli / Mexico Magico Cosmico / El Ombligo de la Luna
Mr Bongo • 2017 • ab 24.99€
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Luis Perez begann sich mit nur 20 Jahren der musikalischen Vergangenheit seiner Heimat Mexiko zuzuwenden und brauchte zehn Jahre, um die Ergebnisse auf Platte zu bannen. »Ipan In Xiktli Metztli / Mexico Magico Cosmico / El Ombligo de la Luna« klingt hier wie Pink Floyd auf dem Ethno-Trip und dort wie nichts, was irgendjemand sonst irgendwann mal gehört hätte. Insbesondere der zweite Punkt macht dieses Album zu einer der essentiellsten Neuveröffentlichungen des Jahres. Kristoffer Cornils

Mkwaju Ensemble (Midori Takada)
Ki-Motion
WRWTFWW • 1981 • ab 21.99€
Midori Takada ist ja durch die Re-issue-Welle glücklicherweise immer mehr Leuten ein Begriff. Und auch Live reiste sie schon durch deutsche Lande. Als nun die Vorgänger-»Band« zu ihrer Solo-Karriere, das Mkwaju Ensemble, auch noch ge-re-issuet wurde, schloss sich für mich endlich ein Kreis. Nicht vom Ende, mehr vom Anfang. Nun macht diese Minimal Music endlich Sinn, sie ergibt sogar Sinn, stiftet Sinn. Auf dieser Platte kann man sekundlich und en detail den Übergang von E- zu U-Musik erkennen. Überaus spannend, wenn man solche Trennungen eigentlich ablehnt. Lars Fleischmann

Mount Eerie
Now Only
P.W. Elverum & Sun • 2018 • ab 27.99€
Phil Elverum hatte schon immer ein Problem mit der Realität und seit seine Frau Genèvieve Castrée 2016 an Krebs verstarb, hat er zwei. Darum ging es 2017 auf »A Crow Looked At Me«, darum geht es auch 2018 auf »Now Only« von [Mount Eerie](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/5669/mount-eerie.) Vor allem aber geht es auf diesen sechs Stücken darum, aus dem Unaussprechlichen Songs zu machen, das erdrückende Dickicht der Realität noch weiter ausfransen zu lassen und lebendig draus hervorzukommen. Immerhin das ist für Phil Elverum offenkundig kein Problem. Kristoffer Cornils

Nat Birchall
Cosmic Language
Jazzman • 2018 • ab 26.99€
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Alle haben die neue Londoner Jazz-Szene auf dem Schirm. Bei viel zu vielen weiterhin sträflich unter dem Radar ist dabei [Nat Birchall](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/5544/nat-birchall,) der zwar weder neu noch jung ist noch aus London, aber ein aktiver Jazzer aus England, der der Musik der alten Spiritual Jazz-Helden am nächsten kommt. »Cosmic Language« gehört zweifelsohne zu den besten Jazzalben des Halbjahres, Nat Birchall hat noch Gras aus Lancshire an den Moonboots hängen, wenn er den Saturn betritt. Philipp Kunze

Nexda
Words & Numbers
Mannequin • 2018 • ab 19.99€
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Völliger Quatsch, dass ich noch irgendetwas neues zu Nexdas »Words & Numbers« schreiben soll, wenn wir schon eine Review hatte, in der das hier stand: »Nexda klingen, als hätten Joy Division mit Augustus Pablo rumgehangen, als wäre, wasweißich, Sheffield ein Stadtteil von Kingston. Was Nexdas Post-Punk so sexy macht, ist nicht nur der Dub, der den Song-Skeletten wabbliges Fleisch auf die Knochen legt. Es ist vor allem die Dominanz der Percussions. (…) Darüber halb-gesprochene Vocals, die sich für nichts interessieren, obwohl sie alles fühlen. Saxophon. Ich nenne meine Katze Nexda, ich rufe meine Frau Nexda, ich taufe mein Kind Nexda.« Florian Aigner

O$VMV$M
O$vmv$m
Idle Hands • 2018 • ab 16.99€
Einen Monat, eine Inventur und fünf Versuche später bin ich mir immer noch nicht sicher, ob die neueste O$vmv$m auf 33 oder 45 läuft. Spielt eigentlich auch keine Rolle, verdeutlicht aber wie wenig hier in Tempi und Genres gedacht wird. Ein Cloudrap-Beattape für Gespenster. Florian Aigner

Pablo's Eye
Spring Break
Stroom • 2018 • ab 22.99€
STROOM, STROOM STROOM. Nosedrip liefert und liefert. Wenn man in zwanzig Jahren zurückschaut, wird das Label für eine gewisse Zeit und eine gewisse Bubble prägend gewesen sein. Immer Musik, die ein paar Amsterdamer so treffend unter »Strange Sounds From Beyond« zusammengefasst haben. Die Compilation »Spring Break« des 1989 in Brüssel aktiven Kollektivs Pablo’s Eye ist stellenweise schon ziiiiemlich seifenblasig, kann einem durchaus esoterisch aufstoßen. Es ist der Kontext, in dem sie erscheint und in der diese Musik gespielt werden wird, die das Ganze erst richtig gut werden lassen. Philipp Kunze

Perel
Hermetica
DFA • 2018 • ab 25.99€
Nach 90s House und Ibiza-Party hat Perel mit ihrem Album »Hermetica« sowie der dazugehörigen Vorab-Single »Die Dimension« ihren Sound gefunden und ist damit quasi auf Anhieb zwischen LCD Soundsystem und Factory Floor gelandet – Âme und Dixon sind Fans. Die LP fällt dabei experimenteller aus, als ihr Hit vermuten lässt. Minimal-Wave, Nu-Disco und vertrackter Techno-House bilden das Grundgerüst, auf dem Synthie-Hooks, The Cure und Miss Kittin nostalgisch in den aktuellen Zeitgeist eingebettet werden. Felix Hüther

Peter Brötzmann Octet
Machine Gun - Alternate Takes
Cien Fuegos • 2018 • ab 25.99€
Ob 1968 nun den großen Aufbruch bedeutete oder, wie Georg Seeßlen kürzlich schrieb, nichts weiter als ein fantastischer Fetisch der Linken ist: Im Mai des Jahres nahm das Peter Brötzmann Octet mit unter anderem Sven-Åke Johansson und Fred Van Hove ein Album auf, das dem Muff von tausend Jahren mit übertriebenem Bläsereinsatz wegschnaubte. »Machine Gun« ist selbst in der Geschichte des Free Jazz ein radikales Album – nicht allein wegen seines undeutschen Humors. Kristoffer Cornils

Phew
Voice Hardcore
Mesh-Key • 2017 • ab 27.99€
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Alles mit’m Mund. Haben seinerzeit schon Die Prinzen gemacht, bei der Avantgarde- und New Wave-Veteranin Phew ist die emotionale Wirkung auf »Voice Hardcore« aber etwas anders als bei den Leipziger A-cappella-Stars. Auch auf Phew muss man sich einlassen, wird dafür jedoch mit einer immersiven Erfahrung der besonderen Art belohnt. Gedehnte Ambient-Gesänge, nachbearbeitete Murmel-Loops und allerlei Transkommunikationsartiges kommen da zusammen – zugegeben, heiter ist nicht. Trotzdem schön. Tim Caspar Boehme

Philipp Otterbach
Humans
Tour Messier • 2017 • ab 9.99€
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Philipp Otterbach schickt den Hörer in der sibirischen Eisenbahn Richtung K-Hole, den dubbigen Bass von Track 2 im Magen, komische Stimmen im Kopf. Was sind das, Filmschnippsel, eigene Erinnerung? Eine Frau, ein Äffchen? »Humans« ist erst beängstigend weit und dann beängstigend eng. Philipp Kunze


Die 50 besten Vinyl-Schallplatten der ersten Jahreshälfte 2018 findest du bei uns im Webshop von HHV Records.


Primitive World
White On White
Ecstatic • 2018 • ab 13.99€
Das Auge hört ja bekanntlich mit. Und die visuell schönste Schallplatte, die du in diesem Jahr bislang kaufen konntest, war »White On White« von [Primitive World](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/5673/primitive-world.) Das hat durchaus einen Grund, denn Sam Willis (zusammen mit Alessio Natalizia das Label Ecstatic Recordings betreibend und das Duo Walls bildend) hat sich für diese Schallplatte vom Leben und Schaffen des britischen Künstlers Marlowe Moss inspirieren lassen. Dessen Arbeiten waren minimalistisch, abstrakt, fraktal. Ein bisschen wie Mondrian. Aus dieser Matrix des Artifiziellen kann sich die Musik auch nicht befreien. Wenn dich das nicht stört: nicht versäumen. Sebastian Hinz

Part 1 der diesjährigen Yeezy-Season. Auch Pusha T hat von Kanye West ein Album mit sieben Titeln auf den Leib geschnitzt bekommen. »Daytona« ist vor allem ein Kanye-Album. Es entspricht ganz klar dessen (inzwischen nicht mehr visionärer) Vision. Aber man könnte Pusha halt nach wie vor über ein Leberwurst-Brot rappen lassen und es würde die Fear Of God in einem wecken. Man möchte sich für die Strophen immer mit mindestens Schienbeinschonern wappnen. Pushi geht seit langem nicht mehr wirklich unter die Haut, aber eben immer noch an die Knochen. Philipp Kunze

Robert Görl of DAF
The Paris Tapes
Grönland • 2018 • ab 24.99€
In die diesjährige Liste für den Record Store Day musste man schon wieder sehr genau schauen oder Bowie-Ultra sein, um etwas zu finden, auf das man sich so richtig freuen konnte. »The Paris Tapes« von Robert Görl war eines der wenigen Highlights abseits der absurden auf 5.000 Stück (sic) limitierten Releases auf farbigem Vinyl von irgendwelchen All Time Greats. Eingespielt Mitter der 1980er Jahre, legen diese rein instrumentalen Aufnahmen Zeugnis einer schweren Zeit für das Yin von D.A.F ab. Melancholische Synths vor allem; wenn hier Extase stattfindet, dann beinhaltet sie immer direkt die Angst vor dem Abklingen ebendieser. Philipp Kunze

Roc Marciano
RR2 - The Bitter Dose Black Vinyl Edition
Fat Beats • 2018 • ab 29.99€
Pusha T und Drake mögen bitte weiterhin Realness-Ping-Pong spielen, Roc Marciano hustelt in der Zwischenzeit weiter im Dinosaurier-Game so, als hätte niemals jemand das Smartphone erfunden. »Rosebudd’s Revenge 2. The Bitter Dose« lässt vom Lattenrostswagger zum Lee Moses-Schlaglicht gar nichts aus, was nicht 1996 schon passé gewesen wäre und schert sich wenig um das Weltgeschehen. Solange Mutti Kekse hinstellt, ist die Welt ja doch in Ordnung. Kristoffer Cornils

Skee Mask
Compro
Ilian Tape • 2018 • ab 27.99€
Skee Mask hantiert auf »Compro« unbeschwert mit den Referenzen diverser Genres. Er behandelt Hardcore, IDM und Drum’n’Bass nicht als nostalgisches Zitat, sondern verschmilzt sie zu einem einzigen Impuls. Dabei denkt er sich auf so unmittelbare Weise in die Rhythmus-Pattern hinein, dass sich deren Verlauf nicht antizipieren lässt. Die Haltlosigkeit der Breaks wird in abgeklärten, irisierend schönen Melodien geerdet. Skee Mask würdigt die Stille hier ebenso wie das Spiel mit dem Chaos. Felix Hüther

Sterile Hand (Silent Servant)
Sterile Hand
Ecstatic • 2018 • ab 17.99€
Zur Review
Hier WERDEN Gefangene gemacht. Ab in den Kerker, Lacksachen an, im Strobo-Licht den Boden lecken! Silent Servant und Ori Ofir reichen dem Hörer die »Sterile Hand« und fordern zur Selbstaufgabe. Techno, EBM, hier gibt es keine zwei Meinungen. Die eine heißt: OK, tun wir’s! Philipp Kunze

Suba
Wayang
Offen Music • 2017 • ab 20.99€
In der Vinyl-Sprechstunde der Kollegen Aigner, Cornils und Kunze steht ja schon eigentlich alles drin. Am packendsten fand ich aber den Gedanken, dass das alles eine Fake-Backstory sei. Beim Hören von »Wayang« von Suba öffnet sich nun stets ein Kosmos der unvernünftigen Gedanken. Ivkovic als Lügner, Trump hat Erfolg, die Welt geht noch nicht unter, es liegt an mir und nicht an ihnen… all der Quatsch, der Trost zu spenden wagt, wenn es am kältesten ist. Vor allen Dingen die Stimmen sind so quatschig, dass ich immer wieder mit einem Grinsen im eigenen Wohnzimmer erwischt werde. Lars Fleischmann

Tommy Mandel
Mello Magic
Invisible City Editions • 2017 • ab 21.99€
Tommy Mandel ist der Typ, dessen Wuschelkopf du vermutlich schon 8 Mal in deinem Instagram-Feed hattest, weil irgendjemand die zeigefingerlastige Original-Pressung seiner schweineteuren EP gefunden hat und sein Glück nun in Digging-Hashtags kulminieren lässt. Voll ok, so geil Arthur Russell-ig wie auf »Mello Magic« klang Italo Disco selten und weil Invisible City Editions Invisible City Editions ist, kommt die Reissue noch mit allerlei weiteren Sensationen. Florian Aigner

Ursula K. Le Guin & Todd Barton
Music And Poetry Of The Kesh
Freedom To Spend • 2018 • ab 19.99€
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Wie tanzen die Fischreiher? In der Gemeinschaftsarbeit »Music And Poetry Of The Kesh« der verstorbenen Science Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin und ihres musikalischen Partners Todd Barton kann man das hören. Vor allem aber, wie das nordpazifische Küstenvolk der Kesh gedichtet und gesungen hat. Das haben die beiden in schönster Konsequenz ersonnen und vertont – in Kesh-Sprache, versteht sich. Authentische ethnische Musik ohne Authentizitätsanspruch, genau das, was unsere Zeit gebrauchen könnte. Klingt außerdem toll! Tim Caspar Boehme

Vanessa Amara
Manos
Posh Isolation • 2018 • ab 21.99€
Man stelle sich Vanessa Amara als andalusische Komponistin vor, mit kinnlang geschnittenem Bob, zierlich, selbstbewusst. Auf ihrem Piano spielt sie feine Pianothemen. Dazu ein wenig Cello, für den Blick vom Leuchtturm El Picachio. In Wirklichkeit kommt »Manos« »natürlich« von zwei haarigen Dänen, mit den handwerklichen Fähigkeiten sowie dem Fingerspitzengefühl, um aus dänischen Buchen fragile Streichholzschiffe zu bauen. Sebastian Hinz

V.A.
Uneven Paths: Deviant Pop From Europe 1980-1991
Music From Memory • 2018 • ab 36.99€
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Das andere Europa kennenlernen. Lokale Pop-Entwürfe aus der Provinz, die wenig Provinzielles haben. Die krummen Pfade dieses alternativen Pops, die Vinyl-Sammelautorität Raphaël Top-Secret und Jamie Tiller von Music From Memory auf »Uneven Paths« zusammengetragen haben, brauchen keine verschollenen Hits. Was sie an abseitigen New Wave-Ansätzen und Artverwandtem aufgetrieben haben, genügt völlig. So ein Europa bräuchte nicht krampfhaft zusammenzuhalten, um nicht auseinanderzufallen. Tim Caspar Boehme

Private Records presents
OST Italo Disco Legacy Colored Vinyl Edition
Private • 2018 • ab 44.99€
Dass der ebenso aufgekratzte wie aufrichtige Italo Disco-Sound ein Revival erlebt, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich und auf den zweiten unbedingt begrüßenswert: Die naive Freude und der noch naivere Zukunftsglaube schließlich könnten heutzutage wieder beispielhaft werden. Das zeigte die wunderbar amateurhafte Dokumentation »Italo Disco Legacy«, das macht der dazugehörige Soundtrack mithilfe von Klassikern und neuen Perlen hörbar. Kristoffer Cornils

Virna Lindt
Shiver
Les Disques Du Crepuscule • 1983 • ab 29.99€
Es ist mir ein Rätsel, weshalb »Shiver«, dieses erstmals 1983 veröffentlichte, und jetzt von Les Disques Du Crepuscule neu aufgelegte Debüt von [Virna Lindt](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/5677/virna-lindt,) nicht im Kanon der Popmusik zu finden ist. Ein Album, dass so sehr den Zeitgeist seiner Entstehungszeit einfängt und gleichzeitig visionär ist. Nun: die Zeit heilt alle Wunden. Und jetzt ist die Zeit. Virna Lindt ist die schwedische Debbie Harry. Ihre Musik ist eine Mischung aus Lizzy Mercier Descloux, Jean-Claude Vannier, Vladimir Cosma, Cristina und eben Blondie. Also ran an die Köttbullar und nicht den gleichen Fehler wie deine Eltern machen. Sebastian Hinz

Walter Verdin
Voor Adeline
Stroom • 2018 • ab 22.79€
»Voor Adeline« sind zwischen 79 und 81 für ein experimentelles belgisches Theater entstandene Aufnahmen. Ihr Macher, Walter Verdin, war 1983 als Teil von Pas De Deux beim Eurovision Songcontest. Fakten, die heiß machen sollten. Purpurne Vorhänge, geschminkte Gesichter, obskurer Wave. Einmal hierzu Pantomime sein, einsam in einem verspiegelten Novellenraum, es liegen verunsichernde Puzzleteile auf dem Boden. Philipp Kunze

XYR
El Dorado EP
12th Isle • 2018 • ab 14.99€
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Eine der besten (wiederaufgelegten) Ambient-Platten des Halbjahres kommt aus Russland, aus St. Petersburg. XYR muss die silber glänzenden Kuppeln seiner Heimatstadt im Blick gehabt haben, während er in seinem Schlafzimmer von El Dorado geträumt hat. Diese Goldstadt liegt an der Newa und kennt den Winter. Großartiges Album mit langsamer Musik, die schnell ihr Ziel erreicht: das Anderswo, das nicht existiert. Philipp Kunze


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