»Rhyming and Stealing« Rap ist ein Ganoven-Ding. Eine Musikform, bei der man die dicke Hose über Beats aus nur mal eben ausgeborgten Musikversatzstücken Dritter ausbreitet. Klar, man macht das ja »für die Straße«, für »die Leute da draußen« – und die Leute wollen Action. So, wie sie’s eben von der Straße kennen. Beziehungsweise nicht kennen. Dabei sollte »Hip-Hop doch immer friedlich verlaufen, aber das konntest du keinem B-Boy verkaufen«, wie es so schön treffend bei Feinkost Paranoia geheißen hat Weil »da gab es Mods, Punks, Skins, Fußball-Hooligans, das waren die echten Straßenkings«. Und zu denen will man gehören. Große-Haie-Kleine-Fische-Prinzip.
Warum das so ist? Alleine schon wegen der Authentizität, die vom Rap permanent eingefordert wird. Wer von der Straße, von den Leuten da draußen berichtet, muss street wise sein. Dem muss vom Hörer abgenommen werden, dass er sich auskennt in der Hood.
Und weil Rap auch über seine Vortragsform hinaus recht geschwätzig ist, wird das konsequent nach außen getragen. Ganz nach dem fragwürdigen Motto: je mehr (vermeintlichen) Wahrheitsgehalt sie beinhaltet, desto mehr bockt die Fiktion. Das hat auch im deutschen Rap Tradition. An Beispielen mangelt es nicht. 1995 etwa wurde im Gatefoldcover des Blitz Mob Doppelalbums »Die Organisation« Crew-Mitglied Dirk Nitsche als OG ausgewiesen: Ihm wurden Überfälle auf zehn Postbanken und 60 Tankstellen nachgewiesen. Wer selbst keinen Verbrecher-Background vorzeigen kann (und das hoffentlich auch nicht will) kokettiert derweil im zwielichtigen Schatten von Halbwelt-Heroen: Pilsator-Pichler Karate Andi hat seinen Namen dem Andy Ypsilon der Rotlicht-Szene entlehnt, Fünf Sterne Deluxe liehen sich für das erste Video die Karre von Kiez-Größe Neger-Kalle.Generell gilt
Gangster sind böse und scheuen Kameras, Gangsta Rapper schauen böse in Kameras.:
Und da ist es wieder, das Große-Haie-Kleine-Fische-Prinzip. Naturgemäß gedeiht es in Hafennähe am besten. Im schmutzigen Brackwasser von St. Pauli etwa. Dort, wo das Verbrechen lukrative Geschäftsbeziehungen mit sowohl anrüchigen als auch breitentauglichen Vergnügungen pflegt. Und wo ein Hamburger Jung‘, der zwischen all dem aufwächst, eben genau da dazugehören will. Kristoffer Jonas Klauß heißt der, feiert bald seinen 30. Geburtstag – und ist ein schwer angesagter Rap-Star. Als Gzuz, als Mitglied der 187 Straßenbande. Dabei saß er ab 2010 noch im Knast. Für drei Komma noch was Jahre, wegen räuberischen Diebstahls. Wie das zusammengeht? Gut, in einer Zeit, in der sich Deutschraps Realness-Anspruch nicht mehr über Jam-Präsenzen und No Sellout definiert, sondern über grimmig dreinblickende Mienen und mehr oder weniger kunstfertig präsentierter Gewaltbereitschaft.
Der Umfang des Vorstrafenregisters taugt längst für Hip-Hops ureigenen Willen zum permanenten Schwanzvergleich. Gzuz, der immer mal wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerät, spielt da lässig oben mit. Das haben wohl auch die Beginner erkannt, die anno 2016 auf Nummer Sicher gehen wollten – und sich den 187er als Feature-Gast für ihre Comeback-Single »Ahnma« geladen haben. Ob die Herren Eißfeldt und Co. zu »Blast Action Heroes«-Zeiten wohl auch schon die Nähe zu einem Typen wie Gzuz gesucht hätten? Damals, als bei DJ Tomekk noch Ganxtaville besungen wurde? Mit Tatwaffe zwar, aber ohne scharfer Munition?
Kein Plan. Aber Zeiten ändern dich, wie’s der Deutschrap-Fan vom Kino kennt. Was ein wesentlicher Punkt ist in diesem Gangsta Rap-Geschäft. Denn generell gilt: Gangster sind böse und scheuen Kameras, Gangsta Rapper schauen böse in Kameras. Was über eine eingeschworene Gemeinschaft hinaus als realer Gangsta Rap wahrgenommen werden möchte, muss bestimmten künstlichen Bildern entsprechen, die durch ständige Wiederholung eine Art eigene Wahrheit entwickelten. Musikvideos von Gangsta Rappern sehen nicht umsonst aus wie Trailer von »Boyz’n’the Hood« oder »Menace II Society«.
An der Corner chillen, auf dem Beifahrersitz herumgestikulieren, Waffen laden, Drogen verpacken, Schnaps für die Homies vergießen, Gott habe sie selig. Im Hintergrund werden Autoreifen durchdrehen gelassen, Handzeichen gemacht, Ärsche gewackelt. Für all sowas jettet Gzuz mal eben nach Los Angeles, siehe »Warum«, einer Vorab-Single seines Albums »Wolke 7«, das am 25.5. erscheint – die zweite, das er über das international beachtete Portal »World Star Hip Hop« veröffentlicht hat. Ein mords Coup, den noch kein deutscher Rapper vor ihm landete – und der ihm unerhörten Fame beschert.
»This shit ain’t for fun«, erzählt der Kerl aus der Hausnummer 307 im Intro von »Warum« – und täuscht sich auf besonders makabere Weise: Das Ghetto macht ganz offensichtlich Spaß, so als bekömmliches Konsumgut. Gangsta Rap geht weg wie geschnitten Brot. Das kann man gut, das kann man schlecht, das kann man egal finden. Aber ignorieren kann man’s nur schwer. Gzuz und seine 187er tun viel dafür. Und sie machen das gut. Auf allen Kanälen.
Gzuz‘ rostig-dunkle Reibeisenstimme geht mit den Beats der Haus- und Hood-Producern Jambeats ###CITI:Die 187er bleiben nahbar, obwohl sie sehr glaubhaft vermitteln, dass man ihnen besser nicht zu nahe kommen soll.:### und Bonez chromglänzende Allianzen ein, die Hooks erheben den zu Ende gedachten Assistyle zu Hymnen im »Bordstein zur Skyline«-Biz – und das Gesamtpaket geht ungekünstelt in Serie. Zwar over the top in jedem Detail, aber weniger pathosgeladen und überinszeniert als bei vielen ihrer Mitbewerber im Deutschrap-Haifischbecken. Und gelacht werden darf auch immer mal wieder – und das sogar über sie, mit ihnen, Social Media sei Dank. Die 187er bleiben nahbar, obwohl sie sehr glaubhaft vermitteln, dass man ihnen besser nicht zu nahe kommen soll.
Gzuz selbst verkörpert dieses Image derart glaubwürdig, dass das nicht nur in Rap-Tracks, sondern auch im TV bald in Serie geht: Er wird eine Rolle in der zweiten Staffel der gefeierten Serie »4 Blocks« spielen – und wohl kaum mehr dafür tun müssen, als er selbst zu sein. Der beinharte verrohte Hüne, dem der Knast und der Straßendreck ins Gesicht geschrieben stehen. Der nicht via Fantum zum Rap kam, sondern von Bonez MC, seinem partner in rhyme, erst vom Mic überzeugt werden musste – und der sich immer noch selbst etwas wundert, wenn er über seinen neuen Berufsstand des Rappers resümiert. Der sich einen Dreck um Besitzansprüche schert, einen ultraharten Materialismus vorlebt und sich dennoch im politisch linken Feld verortet.
Bestimmt wird Gzuz angesichts seiner zahlreichen Jünger mit »Wolke 7« direkt auf Eins gehen. Bestimmt wird der Hype um ihn und die 187 Straßenbande noch eine ganze Weile andauern, und bestimmt kommt irgendwann irgendwer und löst ihn als neuen Stern am gefährlich-verheißungsvoll strahlenden Gangsta Rap-Firmament ab. Das kann man gut, das kann man schlecht, das kann man egal finden. Was man unabhängig irgendwelcher Lyrics aber doch immer fragen soll, ist: warum?