Bereits das Intro Shark Ridden Waters, eine Collage aus Chören, Sinustönen, Meeresrauschen und naiven Mellotron-Melodien, klingt, als hätten Kraftwerk 1975 die Beach Boys ins Studio gebeten – auch wenn hier die weniger bekannte Vocal-Group The Cyrkle gesampelt wurde. Ein Teamwork mit Andy Votel, seines Zeichens DJ, Sampling-Künstler und Impressario außergewöhnlicher Konzerte: »Vor drei Jahren organisierte er in London und Manchester zwei Shows, bei der sich Malcolm Mooney und Damo Suzuki, die ursprünglichen Sänger von Can, erstmals eine Bühne teilten. Aber das Verrückteste, was Andy bisher auf die Beine stellte, war ein Abend, an dem die Original-Backingband von Serge Gainsbourgs Melody Nelson-LP das komplette Album mit Orchesterverstärkung spielte!«, erzählt ein immer noch begeisterter Gruff Rhys.
Kennengelernt hatten sich die Musik-Connaisseure aber nicht über ihre Vorliebe für Krautrock bzw. die Arrangierkünste eines Jean-Claude Vannier, sondern über Andy Votels Faible für walisische Pop-Platten aus den Spät-60er/Früh-70er Jahren. Als Mitbetreiber des Manchester ReIssue-Spezialisten-Labels Finders Keepers plante er eine Compilation mit raren Welsh-Beat-Singles herauszubringen. In der Hoffnung, bei der Zuordnung seiner Schätze wertvolle Hinweise zu bekommen, wandte sich Votel 2004 an Rhys, als dieser gerade sein Solo-Debüt Yr Atal Genhedlaeth mit ausschließlich walisischen Texten veröffentlicht hatte. Der in Cardiff aufgewachsene Sänger der Super Furry Animals (SFA) profitierte aber ebenso vom Austausch mit dem Manchester DJ: »In der Liste, die mir Andy von seinen Funden schickte, fanden sich viele Titel aus der Plattensammlung meiner Eltern, die ich bisher nicht ernst genommen hatte: z.B. von Showmastern eingesungene Songs mit wirklich hanebüchenen Texten. Doch dank seines Rhythmusinstinkts brachte mich Andy darauf, dass selbst auf solchen Platten musikalisch tolle Sachen passieren!« Zusammen mit Votels Finders-Keepers-Partner Dom Thomas kompilierten die beiden dann zwei Welsh Rare Beat-Sampler, die in ganz England, wo »diese Musik bis dahin so gut wie ignoriert wurde« Beachtung fand.»In der Liste, die mir Andy von seinen Funden schickte, fanden sich viele Titel aus der Plattensammlung meiner Eltern, die ich bisher nicht ernst genommen hatte: z.B. von Showmastern eingesungene Songs mit wirklich hanebüchenen Texten.«
Gruff Rhys
Vitamine für Haar und Herz
Beim Hören dieser Compilations finden sich manche Gemeinsamkeiten in der Dramaturgie der mittlerweile elf SFA-Alben. Aber vor allem trifft dies auf die drei Gruff-Rhys-Solowerke zu. Denn während SFA nach ihrem multimedialem Meisterstück Rings Around The World (2001 das erste Album mit zeitgleich erschienener DVD) oft Mühe hatten, ein vergleichbar variantenreiches und zugleich konsistentes Werk (»Love Kraft« von 2005 kam da noch am nächsten) folgen zu lassen, klangen Rhys‘ Veröffentlichungen unter eigenem Namen bisher immer wie geglückte Mixtapes, die sich vor allem durch Humor auszeichnen. Und der konnte sich auf dem komplett solo eingespielten Yr Atal Genhedlaeth auch denjenigen vermitteln, die des Walisischen nicht mächtig waren, nämlich allein schon auf musikalische Weise. Etwa wenn in Ni Yw Y Byd plötzlich ein Blockflötensolo einsetzte oder – auf dem Zweitwerk Candylion – in Gyrru Gyrru Gyrru Rhys‘ sanft gerollte Rs auf brasilianische Cuicas und trockene Tribal-Beats trafen.
Den dreizehn Stücken auf Hotel Shampoo, das nun beim frisch ins Leben gerufenen Waliser Label OVNI/Turnstile erschienen ist, mangelt es dank argentinisch anmutender Bläsersätze (Sensations In The Dark), dissonanter Klaviersoli (Conservation Conversation) und der Art, wie Gruff Rhys immer wieder kunstvoll die Stimme zittern lässt, ebenfalls nicht an lustigen Überaschungen. Zugleich offenbaren die – diesmal ganz in englisch gehaltenen – Lyrics und Arrangements eine Liebe zu Details, die keinen Zweifel daran lassen, es hier mit einer Herzensangelegenheit zu tun zu haben. Denn obwohl sich der Albumtitel von einer hüttenartigen Installation herleitet, die der Art-School-Absolvent Rhys aus unzähligen Duschgel- und Shampoo-Fläschchen (welche er in fünfzehn Tourneejahren kontinuierlich sammelte) zusammenklebte und alle Songs Namen tragen, die in der Welt der Körperpflege gut aufgehoben wären (Honey All Over oder Sophie Softly sollten als Beispiele reichen), gehen einige der Texte – um im Bild zu bleiben – durchaus unter die Haut. Und zwar nicht nur in Liebesfragen, auch wenn die streicherverzierten Balladen Vitamin K , Space Dust #2 (ein Duett mit El Perro del Mar!) und Take A Sentence zum Schönsten gehören, was Rhys bisher auf diesem Terrain geschaffen hat.
Lehrstunden bester Alleinunterhaltungskunst»Andy (Votel) hat sehr konkrete Produktionsideen. Er nahm mich wie ein Regisseur zur Brust, indem er es beispielsweise nicht zuliess, den Refrain im zweiten Teil in derselben Weise zu wiederholen. †ºWo ist denn da die Spannung?†¹, meinte er, †ºda muss sich doch noch etwas Zusätzliches aufbauen†¹. So hatte ich noch nie zuvor gearbeitet, aber er hatte absolut recht – ich habe viel von ihm gelernt!«
Gruff Rhys
So darf das Stück Christopher Columbus mit Zeilen wie »In isolation we were beautiful/Cultured and content/ Civilisation bought diseases/ Now we breathe your devil scent« durchaus als Analogie zur jahrelangen Unterdrückung der walisischen Kultur im Vereinigten Königreich verstanden werden. Die führte im 19. Jahrhundert dazu, dass viele Waliser nach Argentinien auswanderten. Darunter auch auch einige von Rhys Vorfahren, nach denen er 2009 – zusammen mit dem Filmemacher Dylan Goch – im Doku-Road-Movie Séparado! (jüngst auf DVD erschienen) forschte. Christopher Columbus klingt denn auch ein bißchen wie ein Western-Trailer und ist die zweite Rhys-Votel-Kooperation des neuen Albums, während die anderen Stücke von langjährigen SFA-Weggefährten wie Gorwel Owen (der auch auf allen Songs Piano spielt), Sean O’Hagen (High Llamas) und Mario Caldato, Jr. (Beastie Boys, Seu Jorge & Almaz) produziert, arrangiert und gemischt wurden. »Andy hat sehr konkrete Produktionsideen. Er nahm mich wie ein Regisseur zur Brust, indem er es beispielsweise nicht zuliess, den Refrain im zweiten Teil in derselben Weise zu wiederholen. †ºWo ist denn da die Spannung?†¹, meinte er, †ºda muss sich doch noch etwas Zusätzliches aufbauen†¹. So hatte ich noch nie zuvor gearbeitet, aber er hatte absolut recht – ich habe viel von ihm gelernt!«
Als Lehrstunden bester Alleinunterhaltungskunst erweisen sich wiederum Gruff Rhys‘ Konzerte, die er – wie jüngst bei einem Showcase in Berlin – mit kunstvoll präparierter Westerngitarre, Kofferplattenspieler (für eigens gepresste Dublates als Schlagzeugersatz) und einer Unzahl obskurer Spielzeuginstrumente bestreitet. Das Kinderkeyboard mit den Leuchttasten hat er sich von seiner Tochter ausgeborgt. »Inzwischen fängt sie allerdings an, es zu vermissen«, so Rhys. Doch bei den anstehenden Deutschland-Terminen im März wollten ihn ohnehin ein paar Freunde
begleiten. »Und die bringen sicher ihre eigenen Gerätschaften mit!«