Vergiss mal Begriffe wie Polit-Hip Hop. Als die »grim104 EP« 2014 bei HHV Records als Vinyl erscheint, war grim104 längst ein Shootingstar im deutschen Underground. Noch bevor wer von »Zecken-Rap« sprach, hatten grim und Testo (aka Hendrik Bolz) als Zugezogen Maskulin auf dem gemeinsamen Mixtape »Kauft nicht bei Zugezogenen« den deutschen Anti(fa)-Zeitgeist zwischen Aversion und Auflehnung auf Kick und Snare gebracht und damit mindestens das Hamburger Kultlabel Buback überzeugt. Abseits des Berliner Industrieklüngelns erschienen die »grim104 EP« von grim104 und »Töte deine Helden« von Testo aber erstmal nur digital – bis grim es ein Jahr später als Vinyl-Auflage über HHV Records kam. Der blaue Haken für deutsche Underground-Releases, sozusagen.
Grim104
Die »grim104 EP« war ein Gamechanger, eine Versöhnung der Vinyl- mit der Internet-Generation des deutschen Hip-Hop. Sie verband linke Ideen mit einem Hip Hop-Kontext, der nicht dogmatisch war. Waving The Guns, Teuterekordz oder Apsilon wären heute nicht da, ohne grim104s Entwürfe aus (Sound-)Cloud-Rap und traditionsbewusstem Nerd-Rap-Sound. Bei seinem Tourstopp in Hamburg hat er uns nochmal in seine Froschaugen blicken lassen.
Die »grim104 EP« ist 2014 auf Vinyl bei HHV Records erschienen, kam aber zunächst beim Hamburger Label Buback raus. Wie haben die euch entdeckt?
grim104: Entscheidend war, dass die damalige Deichkind-Managerin Zugezogen Maskulin live gesehen und uns empfohlen hatte – davon haben wir aber erst hinterher erfahren. Wir hatten schon ein Management und irgendwann kam eine Mail. Ich glaube, es ging erst um einen Vinyl-Release von »Kauft nicht bei Zugezogenen«– das ist als Free-Download erschienen. Als Vinyl kam das nie in Frage, wir haben zu viele Ami-Beats benutzt. Über Buback hat Testo dann »Töte deine Helden« veröffentlicht und ich die EP.
Ich war es gewohnt, MP3s in schlechter Qualität zu suchen unter Begriffen wie »nerd hiphop«.
grim104
Ein Jahr später kam es als Vinyl, was bedeutet dir das?
grim104: Vinyl war immer etwas, das mir im Hip Hop begegnet ist. Stichwort »Save The Vinyl«. Mein Vater ist großer Plattensammler, ich habe aber schon lange keinen Plattenspieler mehr. Zu HHV Records– damals hieß es noch hiphopvinyl.de – habe ich aber eine engere Verbindung.
Welche?
grim104: Der hiphopvinyl.de-Katalog lag immer bei einem Kumpel rum. Die hatten als einzige in Deutschland Merchandise von Aesop Rock, Stones Throw oder Roots Manuva. Das muss 2004 gewesen sein. Das hat mich beeindruckt. Ich war es gewohnt, MP3s in schlechter Qualität zu suchen unter Begriffen wie »nerd hiphop«. Das waren dann MF Doom oder Def Jux. Dass dahinter ein ganzes Subgenre steckt, habe ich auch erst durch hiphopvinyl.de verstanden.
»Frosch« spielt in dieser Zeit, als Teenager im friesischen Zetel. Du hast mal gesagt, »Der Nazi und der Friseur« war eine Inspirationsquelle.
grim104: Das stimmt, aber letztlich hat mich das Video zu »Chum« von Earl Sweatshirt in der Idee erst bestätigt, im Clip sind auch Frösche zu sehen. Gerade in Kombination mit dem biografischen Text habe ich über das Thema danach nochmal anders nachgedacht – Froschaugen, Teich, Nacht.
Wie haben die Leute in Zetel reagiert?
grim104: Am Bahnhof ist ein Schild, »Zetel – die grim104-Stadt«, was sonst? (lacht) Nein, da kam nichts. Ich hatte mich damals sogar bemüht, in die Lokalzeitung zu kommen. Der Redakteur dachte aber wohl, dass ich ein Hobbyrapper bin und meinte am Telefon über meine Managerin: »Deine Freundin hat mir schon geschrieben.«
Hat dich das beschäftigt?
grim104: Ich hatte lange das Bedürfnis, den Menschen aus Zetel zu zeigen, dass es relevant ist, was ich tue. In den letzten Jahren ist das aber abgeklungen. Ich freue mich aber heute noch, im Wikipedia-Artikel von Zetel zu stehen. (lacht)
Damals war es im Deutschrap unüblich, über seine Herkunft vom Land zu sprechen.
grim104: Heute wissen das alle, aber Hip Hop war hier nie nur ein Phänomen der Städte. Das hat einfach einen anderen Weg genommen, als in den USA. Selbst die Orte, in denen Hip Hop in Deutschland als erstes stattgefunden hat, waren nicht nur Berlin oder Hamburg, sondern Heidelberg…
…oder auch Lüdenscheid.
grim104: Genau! Deswegen, glaube ich, dass es gut bei den Leuten räsoniert, wenn du aus der Land-Sicht sprichst, auch aus demografischen Gründen. Außerdem gab es das nicht. Gerade in der Aggro-Ära war es eher wichtig, die Großstadt zu erschließen und das Land uncool zu finden. Berlin war ja sogar im Label-Namen.
Es hätte bei dir nahegelegen, dann auch Plattdeutsch zu rappen.
grim104: Ja, aber es ging um den Vibe, den ich dort empfunden habe. Das war mir zu klamaukig. Ich fände es geil, wenn jemand coolen Rap auf Plattdeutsch macht. Es endet aber immer in »Dans op de deel«. Trotzdem Props an De Fofftig Penns.
Ich war oft in der Feuerwache in Kreuzberg, wo wir immer gefreestylt haben – das klingt heute lächerlich leider (lacht).
grim104
Wie hat der Umzug nach Berlin deine Sicht auf Zetel verändert?
grim104: In der Verhandlung mit dem Dorfleben hatte ich mich ja schon zuvor einer »urbanen Kultur« zugerechnet. In meinen ersten Tracks als MC Nordlicht…
…nicht dein Ernst!?
grim104: Das war mein Name, ja. (lacht) Jedenfalls habe ich durch den Abstand gelernt, Rap ohne Ego zu betrachten – keine »Ich bin viel cooler als ihr im Dorf«-Haltung mehr. In den ersten Jahren in Berlin habe ich mich auch bemüht, »großstädtisch« zu wirken, den U-Bahn-Plan auswendig zu kennen und so. Das war ein Gegensatz zu Freunden, die jedes Wochenende nach Zetel gefahren sind.
Kenji ist bis heute dein Live-DJ und hat fast alles auf der EP produziert. Wie habt ihr euch getroffen?
grim104: 2011/2012 gab es in jedem Bezirk in Berlin Rap-Cyphers wie zum Beispiel »Lauschangriff« oder »Mondayz Open Mic«. Ich war oft in der Feuerwache in Kreuzberg, wo wir immer gefreestylt haben – das klingt heute lächerlich leider (lacht). Da habe ich Jeff Adams kennengelernt, der ein kleines Studio hatte. Mit ihm fing ich an, Musik zu machen. Kenji war auch schnell dabei, das hat gut harmoniert. Die Ideen waren schon da, »Crystalmeth in Brandenburg« habe ich auf »Time Won’t Tell« von El-P geschrieben beispielsweise – typische hhv.de-Musik (lacht).
Bis heute ein Fan-Favorite, woher kam die Idee?
grim104: Durch die Landschaft beim Durchfahren. Ich muss aber sagen: Ich habe Brandenburg »benutzt« als Kulisse, um eine Gruselgeschichte zu erzählen. Das war ein bisschen »cultural appropriation«, auch wenn das Feedback von Leuten von dort immer positiv war. Es ist wohl auch egal, ob du über Brandenburg, Sachsen oder Bayern sprichst. Wenn ich in ostdeutschen Bundesländern auftrete, versuche ich aber zu vermitteln, dass sich meine Sicht geändert hat.
Der Sound war ungewöhnlich. Inwiefern warst du in die Produktion der EP involviert?
grim104: Gar nicht, die Texte habe ich größtenteils auf fremden Sachen begonnen. »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« ist zum Beispiel auf »I’m Single« von Lil Wayne entstanden, Kenji hatte einfach tonnenweise Beats. Wir haben dann geguckt, ob was ähnliches dabei ist.
Was hat dich an seine Beats fasziniert?
grim104: Kenji hat eine sehr eigene Herangehensweise, sowas hatte ich noch nie gehört. Er hat viel Einfluss aus Ambient und Electronica, was damals ungewöhnlich für Hip-Hop war. Ich schreibe bis heute gern auf seinen Beats. Auf »Ende der Nacht« hat er auch was beigesteuert. Außerdem hatte ich keine Lust auf »deutschen Boom Bap«. Als ich Ideen für die EP gesammelt habe, kam in hier gerade Trap an. Ich wollte, dass es ein bisschen rotzig klingt und nicht wie die tausendste DJ-Premier-Kopie. »Dreck Scheiße Pisse« fällt da ein bisschen raus.
War »Dreck Scheiße Pisse« also eine Hip Hop-Rechtfertigung?
grim104: Ich habe darauf meine Abrechnung gesucht mit genau diesen Leuten, die ich mit »deutscher BoomBap« meine. Damals gab es zum Beispiel auch Diskussionen wie, »Skinny Jeans oder Baggy Pants – echte Rapper tragen Baggys!« Das war mir alles zu engstirnig und zu uncool.
Die Anerkennung von der Szene war dir aber wichtig.
grim104: Es ist natürlich geiler, zu sagen: »Ich scheiß auf euch!« Aber mir lag die Anerkennung schon am Herzen. Es ging bei dem Track aber auch um den Bruch in der Tracklist: Einen »klassischen Hip Hop-Track« mit so einer Message zwischen lauter Songs zu stellen, die aus damaliger Hip Hop-Sicht eher als »experimentell« gelesen wurden. Ich hatte meinen Producer-Kumpel millone auch genau nach so einem Beat gefragt. Der war auch noch lange in Live-Sets.
Damals gab es zum Beispiel auch Diskussionen wie, »Skinny Jeans oder Baggy Pants – echte Rapper tragen Baggys!« Das war mir alles zu engstirnig und zu uncool.
grim104
Es wird auf der EP viel gedisst.
grim104: Das ist mir unangenehm heute. Aber ey, du machst Musik in einem Kreuzberger Jugendzentrum für etwa 20 Typen – ich habe absichtlich nicht gegendert (lacht). Da denkst du nicht, dass das eine Tragweite haben kann. Es ging um Abgrenzung. Aber Curse zu dissen, war zum Beispiel unnötig. Prinz Pi hat damals absurderweise »Crystalmeth in Brandenburg« gepostet und etwa gesagt: »Bester Track, erinnert mich an Moritz von Uslar«. Als »Vatermord« rauskam, waren diese Brücken aber schon wieder abgebrochen (lacht).
Die Haltung ist konträr zur Rezeption. Die EP hat dich »auf die Karte gebracht«, wie man im Hip-Hop so schön sagt.
grim104: Ich wollte das ja, beziehungsweise Testo und ich, auch wenn wir so getan haben, als ob es egal wäre. Das ist ja oft so: Dinge, die du von dir wegstößt, willst du eigentlich ganz nah bei dir. Das Jahr mit der EP war ein Rush. Plötzlich im SPIEGEL zu stehen oder in der NEON – rest in peace – das war geil.
Mir scheint, dass du eine Dystopie vertonst hast. »Der Kommende Aufstand« oder »2.Mai« sehnen die Apokalypse herbei.
grim104: Gut, dass du das ansprichst. Ich hatte echt eine Sehnsucht nach Ausnahmezustand, die Welt sollte aus dem Takt geraten. Heute ist mir das gründlich vergangen. Gerade in den ersten Monaten von Corona, habe ich manchmal zu mir gesagt: »Be careful what you wish for«. (lacht) »2.Mai« war mir eine Weile auch zu defaitistisch, ich wollte Revolution. Bei solchen Sachen merke ich, dass ich jetzt eine andere Person bin.
Ich hatte tatsächlich eine Art Sehnsucht nach Ausnahmezustand damals, die Welt sollte aus dem Takt geraten.
grim104
»2. Mai« ist von WEIL zitiert worden. Wann hast du begriffen, die EP gilt als Classic?
grim104: Das merke ich bei jedem Konzert, wo »Frosch«, »2.Mai« und »Crystalmeth in Brandenburg« die Leute immer noch zum Ausrasten bringen. Das ist alles gut gealtert, muss ich sagen – so als Autor des Werks (lacht). Die Story mit WEIL ist aber unromantisch: Er hat mich einfach gefragt.
Würdest du heute etwas anders machen?
grim104: Es gibt nur einen Song, den ich nicht mehr mag: »Cro Hafti Herzl«. Der Anti-Verschwörungserzählungen-Rap wurde danach Trend. Da denke ich: »Ihr müsst nicht auch noch rappen, dass Ken Jebsen doof ist.« Nicht, dass es nicht richtig ist, es hat mich nur irgendwann genervt. Grüße an DJ Werd, für die Cuts, das hat Kenji eingetütet. »Ich töte Anders Breivik« würde ich auch nicht mehr so machen. Das finden viele wahrscheinlich schade, aber ich habe keine Pause zum Atmen, das ist nicht für die Bühne geschrieben. Andererseits macht das wohl den Charme aus: Es ist catchy, das Thema war aktuell und ich habe mir keine Gedanken gemacht, was damit passiert.
»Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« bezieht sich auf Rocko Schamoni, der auch bei Buback erschienen ist. Absicht?
grim104: Nein, war es nicht, so schön es wäre. »Dorfpunks« und »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« habe ich natürlich gelesen. Aber ich wusste nicht, dass er noch Musik macht. »Dorfpunks« ist ein Buch meiner Jugend, »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« hat meinen Umzug nach Berlin begleitet. Ich habe ihm damals geschrieben, aber es kam nur zurück: »Cooler Song« (lacht). Man, wir waren auch die ersten Rap-Veröffentlichungen seit Jahren bei Buback. Was das alles hieß, dämmerte mir erst später. Lustigerweise habe ich gestern einen Song aufgenommen, wo ich den Kaffee erwähne, der in dem Buch vorkommt.