Es gleicht einem mittleren Popmärchen, was Gold Roger in den letzten zwei Jahren erlebt hat: Aus dem Nichts rappt sich der Dortmunder per Wildcard zum umjubelten MOT-Gewinner, bekommt einen Auftritt auf dem Splash! und wenig später einen Deal beim mittlerweile auch in Deutschrap-Fragen gut aufgestellten Label Melting Pot Music-Label Wo andere den steinigen Weg durch Battles, Free Downloads und haufenweise abgelehnte Demo-Bewerbungen entlang-stolpern müssen, raste Sebastian Goldstein quasi in Lichtgeschwindigkeit vorbei. Unfair? Nein, es zeugt nur von Talent und dem einfachen Umstand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. »Ich habe das alles irgendwie noch gar nicht richtig verarbeitet. Natürlich gab es zwischendurch Momente, wo ich mich dafür abfeierte. Ich mache mir aber viel mehr Gedanken darüber, was als nächstes kommen wird.« Mit seinem Debüt »Räuberleiter« ist der 25-jährige einer der spannendsten Newcomer im deutschen Hip Hop.
Gold Roger: Bekehrt im dunklen Zeitalter
Dabei ging es bis zu seinen ersten wirklichen Rap-Versuchen Ende 2013 gar nicht um Kicks, Snares und Flows, sondern um Kickflips, Patches und Pogo. Seine frühpubertäre Selbstfindung beginnt mit einem Skateboard und einer Die Ärzte-CD, welche er zusammen mit seiner ersten Stereoanlage geschenkt bekommt. Von da an hängt Gold Roger erstmal bei den Punks ab. »Das gehörte für mich zusammen: Gegen Nazis und Kapitalismus sein, sich prügeln und Skateboardfahren.» Durch Anti-Haltung Stellung beziehen, Gold Roger ist der klassische Rebell ohne Grund. Die »Fubu-Gangster«, die zur Hochphase von Aggro Berlin die Schulhöfe bevölkern, belächelter eher. Sein Lifestyle definiert sich anders: »Ich hielt das alles für völlig bescheuert und alles andere als musikalisch. Zu der Zeit, als ich Hip Hop mitbekam, lief gerade ›Air Max Muzik ‹ von Fler in Deutschland. Das ist halt aus einer Rap-Perspektive ziemlich scheiße«, kommentiert er die vergangene Dekade. »Gerade die 2000er waren aus Hip Hop-historischer Sicht eigentlich voll das dunkle Zeitalter – auch in den USA.«
Ein gewonnenes Freestylebattle auf dem Schulhof und ein bekifftes Aha-Erlebnis zu einem Jan Delay-Song später, packt ihn dann aber doch der Rap-Virus. »Wenn ich damals The Pharcyde oder sowas gekannt hätte, wäre ich vielleicht eher auf den Rap-Film gekommen«, blickt er heute auf seine Punkphase zurück, die ihn trotzdem weiterhin prägt. Auf »Räuberleiter« mischt sich sein politisches Bewusstsein mit persönlicher Story und einer organischen Wohnzimmer-Soundkulisse. Gold Roger balanciert zwischen der Abgeklärtheit seiner Generation Maybe und der naiven Idealisten-Perspektive. Der einstigen Anti-Alles- ist eine Für-Etwas-Stehen-Haltung gewichen. »Kämpf‘ auch für dich wenn es geht/ mehr MLX als MLK/ Denn ich bin mit den Träumern, doch wachsam«, heißt es auf der ersten Single »MLXMLK«.»Ich würde niemals so eine Scheiße sagen wie ›Rap ist Therapie‹«
Gold Roger
Macht aus seinem Herzen keine Mördergrube
Doch wirkt der technisch-versierte Newcomer, der auch mal den Migos-Flow auspacken kann, nicht wie ein politisch-motivierter Rap-Missionar, sondern eher wie der grundehrliche Kumpel-Typ. Die Songs seines Debüts »Räuberleiter« tragen die Namen seiner Freunde, »Yunus« oder »Özge« etwa, und haben einen direkten biografischen Bezug. Sein Ansatz ist einem Masta Ace oder Fashawn nicht unähnlich, wie er auch selbst zustimmt. »Es ging mir bei dem Mixtape darum, mich als Person vorzustellen. Damit Leute begreifen, wie Sebastian Goldstein tickt. Auf ›Boy Meets World‹ gab es ja auch den Track ›Life Is A Shorty‹, wo viele persönliche Zeilen gedroppt werden. Oder bei Jay-Zs ›Momma Loves Me‹. Ich würde aber niemals so eine Scheiße sagen wie ›Rap ist Therapie‹.« Ehrlichkeit bedeutet für ihn nicht gleich einen peinlichen Seelenstriptease hinzulegen, Gold Roger macht aus seinem Herz nur einfach keine Mördergrube.
Dass die »Räuberleiter« nur ein Mixtape und kein Album sei, läge vor allem an seinem Anspruch an LPs. Der selbstkritische Perfektionist vermag auf den vorliegenden 15 Tracks laut eigener Aussage nur anzudeuten, was in ihm stecke: »Wenn ich ein Album mache, muss das auf zwei Ebenen ein Konzept haben: Der Sound muss in sich einem roten Faden folgen und es muss thematisch wie textlich besser geordnet sein. Das ist bei ›Räuberleiter‹ nur teilweise so, auch wenn zum Beispiel Olski darin ein Album sieht. Dann nenne es von mir aus ›Streetalbum‹.«
Hände dreckig machen um voranzukommen
Doch egal, wie der Release auch bezeichnet werden kann: »Räuberleiter« ist eine kleine Ode an das Überwinden von Grenzen – gemeinsam oder allein, wie Gold Roger beteuert: »Zum einen hat mich Olski dazu gebracht, mich zu überwinden etwas zu veröffentlichen. Dann kann ich dem Hörer helfen, eventuell Sachen in seinem Kopf zu überwinden. Vor allem aber geht es mir um dieses Bild einer Räuberleiter, dass einer sich die Hände schmutzig macht, um den anderen ans Ziel zu bringen. Das ist eine schöne Vorstellung.«