Godspeed You! Black Emperor sind keine Band minimalistischer oder gar konventioneller Kompositionen. Songwriting funktioniert bei dem Montrealer Mega-Kollektiv als großflächiges Gemälde tiefster Farben und Texturen, das auf ein Himmelsgewölbe gespannt wird. GY!BE müssen deshalb auch maximal sechs Titel spielen, um zwei Stunden vollkommen auszufüllen. An diesem Abend spielen sie ihr zweites London-Konzert in zwei Tagen im ausverkauften, ehrwürdigen HMV-Forum. Was nach einem hypermodernen Stahlkoloss klingt, ist in Wirklichkeit ein historisches Art Deco Theater aus dem Jahre 1934, samt Empore mit gepolsterten Sitzbänken. Für die Vorband Dead Rat Orchestra, die mit ihrem verqueren und liebevollen Folk perfekt auf GY!BEs Label Constellation passen würden, ist das eigentlich eine Nummer zu groß. Für die mächtigen Gewölbemalereien von GY!BE ist dieser Ort schlicht perfekt. Die acht Mitglieder des Kollektivs beugen sich im Halbdunkel in einem großen Halbkreis einer Verstärkerwand über ihre Instrumente und prall gefüllten Effekt-Boards und türmen Klang über Klang.
Der Gedanke des Kollektivs ist es denn auch, der live die Basis des Godspeed’schen Klangwalls bildet. Wo in der Regel in der Gitarrenmusik eine additive Komposition gepflegt wird, welche meist der Lead-Gitarre die Lorbeeren überlässt, sind GY!BE mehr als die Summer ihrer acht Teile – weit mehr. Schnelle Riffs, zarte Melodien, Drones, eine Bomberstaffel-Violine, Bassschnarren und schwere Drums multiplizieren sich zu einer bombastischen Räumlichkeit, die fassbar wird, Form und Farbe annimmt und das gesamte HMV Forum bis in die letzte Ecke zum Beben bringt. Bei all dem Bombast und Krach bleiben die acht Montrealer dabei stets präzise und klar. Damit schaffen sie, was stilverwandten Bands der Laut-Leise-Auftürmtaktik live selten gelingt: denselben Druck aufzubauen, wie er in der klangkontrollierten Umgebung des Studios entstand. Selbst Mogwai dürften vor diesem Urklang erblassen, der an diesem Abend perfekt zur Explosion geführt wird und die 2.000 Wallfahrer mit Demut erfüllt. Selbst die sonst omnipräsenten Handywälder des Publikums bleiben aus. GY!BE sind sowieso keine großen Show-Meister. Das Visuelle tritt in den Hintergrund und reduziert sich auf minimalistische Schwarzweiß-Überblendungen aus Zugfahrten, verschmorten Dias und Personalakten. Die Musiker selbst nehmen sich völlig zurück. Bei Godspeed You! Black Emperor geht es vielmehr um das Erleben von Klang ohne Ablenkung – in all seiner Reinheit, Monstrosität und Pracht.
Records Revisited: Godspeed You! Black Emperor – F♯A♯∞ (1997)
Kolumne