Ghia sind das bestgehütete Geheimnis Bielefelds

10.04.2023
Foto:© The Outer Edge
Sie klangen wie Sadé. Sie klangen wie Trip-Hop, bevor es das Genre überhaupt gab. Der Durchbruch blieb Ghia aber verwehrt. Abgelehnt. Prädikat: nicht hip genug. 30 Jahre später ist ihr Sound so mit das Hippste, was es gibt.

Wir sind gut. Eventuell sogar sehr gut. Zu dieser Bewertung des eigenen Schaffens kam die Band Ghia irgendwann in den späten 1980er. Bis dahin hatte das Trio bereits jahrelang an ihrem Sound und ihren Songs gefeilt. Im Stillen. In Bielefeld. Die 300.000 Einwohner-Stadt war auch in den 80ern keine Weltstadt der Musikszene. Für Ghia stand damals, mit diesem über die Jahre gesammelten Glauben an die eigenen Fähigkeiten, die Devise fest: Wir wollen gehört werden. Versuchen wir’s. Ganz oder gar nicht.

Ghia stellte sich folglich bei allen möglichen Majors vor. Nur Absagen. Ob bei EMI oder Sony, man hatte kein Interesse an ein paar Weissbroten, die irgendwas machten, das diese einerseits an Sadé erinnerte und andererseits schon fast wie Trip-Hop klang, bevor es das Genre überhaupt gab. »Als wir bei Sony in Frankfurt aufgelaufen sind, regte sich der Typ tierisch darüber auf, wie wir ihm mit sowas die Zeit stehlen könnten«, erinnert sich Songwriter und Keyboarder der Band, Lutz Boberg: Und weiter: »Ich trug Birkenstock-Latschen, ich glaub, das hat ihm nicht gefallen.« Die Ghia-Sängerin Lisa Ohm fügt an: »Vielleicht waren wir ihm einfach nicht hip genug«.  

Home Studio von Ghia ca. 1985 © The Outer Edge

Die einzige Veröffentlichung der Band, zu der neben Lisa und Lutz noch Gitarrist und Songwriter Frank Simon gehört, bliebt somit folglich 1991 die Single »You Won’t Sleep On My Pillow / What’s Your Voodoo?« und eine EP, die beide über das kleine Label Mikado erschienen. Fast 30 Jahr später, hallo YouTube, ging insbesondere die B-Seite der 7“-Single in Insider-Bubbles viral, die letzten Exemplare der Vinylausgabe waren daraufhin schnell vergriffen.

Mit der ›Avodcado‹ gegen die Langeweile

Auf dem Berliner Label The Outer Edge (bis 2022 noch The Artless Cuckoo) wurde daraufhin das Stück »What’s Your Voodoo« 2019 als limitierte Reissue neu aufgelegt. Doch damit war die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Eigentlich ging sie jetzt erst richtig los. Denn auf permanente Anfragen hin entschied man sich irgendwann dem Label das komplette Musikarchiv zu schicken. DJ Scientist, der Gründer des Labels, fischte dabei – ganz zur Überraschung der Bandmitglieder – mal eben noch ein komplettes, längst vergessenes Jazz-Funk Album der Band raus, das nun Ende letzten Jahres unter dem Namen »Curacao Blue« erstmalig erschien. Dieses war noch, wie Boberg erklärt, »wohnzimmermäßig mit 4-Spur-Rekorder und Steinberg-Software« aufgenommen worden.  

Lisa Ohm 1989 © The Outer Edge

Die Tage wird nun auch endlich DAS Ghia Album neu aufgelegt. Auf »This Is« befinden sich die beiden genannten Stücke der 7inch sowie acht weitere Songs. Die Kompositionen haben Pop-Appeal, die Aufnahmequalität klingt überraschend crisp. Frank Simons damaliger Aushilfsjob als Toningenieur in den Cottage Studio ermöglichte dieses Ergebnis, das ziemlich major für eine Underground-Band klingt. Ausgestattet mit Simons Fachwissen und dem neusten Equipment entstand das Album.

Die analogen Effektgeräte waren längst mainstream, langweilig.

Frank Simon

»Wir wollten einen neuen Sound machen. Ich fand, die analogen Effektgeräte waren längst mainstream, langweilig, und die neueren (digitalen) Geräte klangen furchtbar. Ich habe damals ein halbes Jahr damit verbracht, ein eigenes Signalprozessorsystem zu entwickeln. Die Key- und Gitarren-Sounds von ›What’s You Voodoo?‹ und ›You Won’t Sleep On My Pillow‹ sind allesamt durch dieses Ding gelaufen. Es hat zwar nie Marktreife erlangt aber es hieß bei Lutz und mir Avocado, da es in einer Avocado-Pappschachtel untergebracht war«, erklärt Simon. 

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Wer noch nicht weiss, wie sich Musik durch einen Avocado-Prozessor anhört, sollte in jedem Fall mit einem der beiden Stücken anfangen. Aber das Album hat noch weit mehr zu bieten, auch Überraschungen. Denn wer hätte je damit gerechnet, dass in den späten 80er Jahren eine Band aus Bielefeld, NRW, dem gerade angesagten Street Soul Sound aus England echte Konkurrenz hätte machen können? Mit den Downtempo Soul-Balladen »Close To You« und »Crystal Silence« gelingt Ghia genau das.

Warum also klappte es damals eigentlich nicht mit dem Durchbruch? Die Musik war ja sowas von da. Bandgründer Lutz Boberg blickt zurück: »Außer unseren Freunden hatten wir einfach keine Fan-Gemeinde, und wir haben mit Ghia ja auch NIE live gespielt«, Lisa ergänzt: »Ich hatte damals auch eine kleine Tochter. Eine Tour oder ähnliches wäre undenkbar gewesen.«  

Jetzt ist sie aber ja endlich da, die Musik. Und vielleicht ist die Zeit nun reif für Ghia. Inzwischen sind sogar ein paar erste kleinere Auftritte angedacht. Gut. Sehr gut.