Floating Points stellt mit seinem neuen Album »Crush« wieder alles auf den Kopf, was man über den Londoner Tausendsassa zu wissen meint. Eine Renaissance seines früheren Garage-Sounds auf Eglo Records nachdem er mit seinen letzten Platten in Krautrock-Gefilde abtauchte, für sein Reissue-Label Melodies International nach alten Disco-Schätzen gräbt oder auf seinem ersten Longplayer »Elaenia« Jazz mit feinfühliger Elektronik fusionierte.
Sam Shepard ist ein unauffälliger und scharfsinniger Typ, den man eher im Laborkittel oder hinterm Laptop als auf den großen Festivalbühnen erwarten würde. Glücklich erzählt er von der Currywurst, die er sich eben zum Mittag statt dem geplanten Asian Fusion Food gegönnt hat. Denn so oft er schon in Berlin war, die hatte er noch nie, und konnte endlich mit alten Schulkenntnissen glänzen: »Nur ein bisschen viel Ketchup – aber ich will mich nicht beschweren.« Nach einem semantischen Exkurs über »Currywurst Schranke« kommen wir schnell zur Sache: Floating Points über seine Rückkehr auf den Dancefloor, Synthesizer-Experimente und die erdrückende politische Weltlage.
Auf deinem neuen Album »Crush« legst du dein tanzbarste Material seit langem vor. War das eine bewusste Entscheidung oder ist es einfach passiert?
Ich habe nicht versucht, eine Platte für den Dancefloor zu produzieren. Ich wollte einfach wieder solo Musik machen, so intensiv wie ich mit meiner Band getourt habe. Also ist die neue Musik teils tanzbar geworden, teils nicht und manchmal auch klassisch.
Du scheinst auf jeden Fall viel Spaß im Studio gehabt zu haben?
Ja, das Studio funktioniert super im Moment und ich kann schnell arbeiten. Das kommt echt selten vor, denn ich baue es ständig um. So etwas wurmt mich am meisten: Du willst einen Synthesizer durch einen Gitarrenverstärker, Phaser, Reverb und Delay jagen und aufnehmen. Wenn du endlich alles verkabelt hast, denkst du dir: Pah, was soll’s, Zeit für die Mittagspause.
2017 hast du The xx auf Tour begleitet. Wie hat dich das zum neuem Material inspiriert?
Unsere erste Show war in einem Stadium in Mailand vor 20.000 Leuten. Ich war nicht nervös, aber alles andere als gut vorbereitet. Ich hatte einen Buchla Modular-Synthesizer und Korg Volca Beats dabei. Der ist nicht sonderlich beliebt, aber ich finde ihn brilliant.
Irgendwie lästern alle über den Snare Sound?
Das ist der abgefahrenste Snare Sound, ich liebe den! [lacht] Jedenfalls habe ich einen Beat angemacht wie auf »Veteranissimo« von dieser deutschen Krautrock-Band Harmonia Ihr Album »Live 1974« habe ich damals rauf und runter gehört. Diesen vor sich hin tuckernden Beat habe ich durch Delays und den Buchla geschickt – kontrolliert durch Control Voltage [Steuerspannung]… du kannst da also total verrückten Kram machen – und darüber eine einfache Synthesizer-Melodie gelegt. Das wurde total meditativ und nach einer halben Stunde Crescendo so intensiv und verrückt, dass ich am Ende der Show einfach den Mixer ausgeschaltet habe, die Speaker machten »Paff« und ein ziemlich verwirrtes Publikum dachte sich: Ähm, was war das denn, eine halbe Stunde verschwendete Lebenszeit. [lacht] Also ich hatte eine geile Zeit auf dieser Tour, total befreiend.
»Es ist so bizarr, jemandem zu sagen: Ich mag deine neue Musik nicht, aber deine alte. Gut, dann hör sie nicht!«
Floating Points
Hast du im Studio versucht, diese Atmosphäre einzufangen?
Nein, an der Tour mit The xx hat mich eher das abgespeckte Set-Up inspiriert, das ich wieder im Studio aufgebaut habe: Also den kleinen Buchla und meinen Yamaha Reface, den weißen – übrigens der beste kleine neue Synth da draußen, acht Noten Polyphonie, so gut! Natürlich stehen in meinem Studio auch die ganzen großen Synths, auf die ich zurückgegriffen habe.
Für dein erstes Album »Elaenia« hast du fünf Jahre gebraucht, für »Crush« fünf Wochen und dabei viele Teile live in einem Take eingespielt. Ist Improvisation wichtiger als mühevolle Kleinarbeit?
Nun, die Maschinen zu verstehen war ein Prozess von mehreren Jahren. Mittlerweile kenne ich den Buchla gut genug – ich sage »gut«, denn der bietet endlose Möglichkeiten. Ich bin ein ausgebildeter Pianist, aber Synthesizer sind total anders. Du kannst was sehr Simples auf einem Synth spielen, aber es dadurch, wie du den Filter benutzt, verdammt gut klingen lassen. Also war es mühevolle Kleinarbeit, an diesen Punkt zu kommen, in fünf Wochen eine Platte machen zu können. Ich habe monatelang Patches auf dem Rhodes Chroma Synthesizer gemacht und mich in manche total verliebt – da fällt mir ein, ich sollte davon wirklich mal ein Back-Up machen! Keine Ahnung, was ich damals eigentlich gemacht habe, jedenfalls keine Musik. Und dann habe ich mich eines Tages entschieden loszulegen und alles passierte ziemlich schnell.
Ist es etwas Besonderes, in diesem Flow zu sein, oder ist es tägliche Routine?
Nein, ich wünschte das wäre Routine. Es ist ein Gefühl, das ich nie einfangen kann. Wenn ich drin bin – was weiß ich, es ist vier Uhr morgens, ich tanze in meinem Studio und freue mich, einen Tune gemacht zu haben – bin ich mir bewusst, dass das häufiger passieren muss, am besten täglich. Aber das ist nicht der Fall, es ist reines Glück. Oft habe ich eine klitzekleine Idee, entwickele sie den Tag über weiter und die Begeisterung über jedes Stadium spurt mich an wie ein Schneeball-Effekt. Am Ende des Tages bin ich erschöpft, aber total glücklich. Das ist das beste Gefühl beim Musikmachen, aber es kommt für gewöhnlich alle paar Monate mal. Bei diesem Album ging’s echt schnell, keine Ahnung, warum. Nicht abgelenkt zu werden ist auch wichtig. Ich bin ein geselliger Typ und gerne unter Freunden, aber manchmal ist das inkompatibel zur Musik. Aber das ist nicht das Leben, das ich haben will, nur alleine im Studio…
Related reviews
Floating Points
Cascade
Floating Points
Lesalpx / Coorabell
Floating Points
Elaenia
Floating Points
King Bromeliad
Mit all deinen Veröffentlichungen brauchst du dir doch keine Sorgen um Kreativität zu machen?
Ich wünsche mir ständig, mehr Musik zu machen. Das macht mir Sorgen, ist aber auch gut. Ich wache morgens auf und faulenze nicht im Bett, sondern springe auf und renne ins Studio. Und wenn ich den ganzen Tag etwas Trockenes mache, wie den Fender Rhodes zu stimmen oder Synthesizer zu programmieren. Auch diese Sachen sind ein wichtiger Teil davon, elektronische Musik zu machen und dazuzulernen.
Einige Fans haben nach den Psych Rock-Exkursen auf deinem Label Pluto gefordert, dass du zu deinem früheren Garage-Sound zurückkehrst. Nimmst du ihre Kritik ernst?
Ich ignoriere das komplett. Die Vorstellung, dass mir jemand sagt, was ich machen soll, ist erstaunlich. Nicht nur, weil das vielleicht weh tut. Es ist so bizarr, jemandem zu sagen: Ich mag deine neue Musik nicht, aber deine alte. Gut, dann hör sie nicht! So bescheuert! Das ist halt Teil der künstlerischen Entwicklung. Ich will nicht arrogant klingen und auf der anderen Seite ist es natürlich schön, positive Reaktionen zu kriegen. Wobei ich mir da auch oft denke: Freut mich, aber ich denke schon wieder an ein ganz anderes Projekt, das euch bestimmt nicht gefallen wird. »Super, dass du zurück auf dem Dancefloor bist.« – »Tja, jetzt werde ich wieder eine Psych-Rock-Platte machen.« [lacht] Es ist eine Lose-Lose-Situation, ich nehme ihre Enttäuschung wieder vorweg.
«In meinem Studio läuft der Live Feed vom britischen Parlament. Also schaute ich zu, wie sich mein Land blamiert, und machte dabei richtig wütend Musik.«
Floating Points
Du machst einfach, was du willst?
Ja, andernfalls würde es für mich überhaupt keinen Sinn machen. Ich mache das nicht fürs Publikum, sondern aus meinem eigenen Verlangen, Musik zu machen. Sehr egoistisch. Es ist eine Ehre, dass sich die Leute für mich interessieren und ich bin wirklich dankbar für jeden, der sich das neue Album anhört. Aber weißt du was, ich will schon wieder die nächste Platte machen.
Heute schraubst du an einem Garage-Tune, morgen gräbst du nach Disco-Platten und dann schreibst du ein Stück für Streicher – oder wie läuft das?
Solche Einfälle brauchen mehr Zeit. Tanzmusik geht meistens schneller und ist instinktiver. Ich spiele im Studio mit so etwas wie der neuen Roland TR-8S oder dem Buchla Rhythm Generator rum, die verrückte Polyrhythmen können. Aber ein Streichquartett, normalerweise brüte ich eine Idee über ein halbes Jahr aus und wenn sie gut ist, schreibe ich sie auf. Ich habe ewig viele Skizzen auf Papier, in der schlimmsten Handschrift. Wenn ich sie mir in fünf Jahren anschaue, werde ich mich verfluchen. Und ich habe viele Voice Mails mit kleinen Clips, wo ich richtig schlecht singe.
Also die nächste Floating Points-Platte mit Vocals?
Wer weiß – exklusiv für HHV. [lacht]
Erst dachte ich, der Titel »Crush« soll bedeuten, dass du die Erwartungen deines Publikum zerstörst, aber du beziehst dich damit auf die erdrückende politische Weltlage?
Vielleicht, so genau weiß ich das auch nicht. Ich mag das Wort »Crush« – einerseits zärtlich, aber es steht auch für langsame Gewalt: Krrr! [Zerdrückt mit seinem Daumen eine imaginäre Fliege auf dem Tisch.] Und genauso fühle ich mich einfach jeden Tag in England, zuletzt mit der Beurlaubung des Parlaments. Jedes Mal, wenn ich die Nachrichten lese, dreht sich die Schraube ein klitzekleines bisschen weiter, die den letzten Anstand aus der Gesellschaft presst.
Ein bisschen peinlich, aber in meinem Studio läuft der Live Feed vom britischen Parlament. Also schaute ich zu, wie sich mein Land blamiert, und machte dabei richtig wütend Musik. Ständig Brexit, keiner spricht über tägliche Probleme wie unser kaputtes Gesundheitssystem, geschlossene Jugendzentren oder Arbeitslosigkeit. Ich bin auf jeden Fall bei den Protesten in London dabei!
»Auf der Platte schreie ich meinen Ärger raus. Ich habe meine Maschinen unter Kontrolle, gelegentlich lasse ich die Zügel los und lasse sie sich gegenseitig bei lebendigem Leib fressen, weil ich mich genauso gefühlt habe: Fuck it!«
Floating Points
Und es ist ja nicht nur das: Umweltverschmutzung – ich meine verdammt! Wir isolieren uns rund um den Globus, haben Trump, den Rechtsruck in Italien, Bolsonaro in Brasilien – such dir was aus, es wird immer schlimmer. Wie sind wir an diesen Punkt gekommen? Das ist zermürbend! Auf der Platte schreie ich meinen Ärger raus. Ich habe meine Maschinen unter Kontrolle, gelegentlich lasse ich die Zügel los und lasse sie sich gegenseitig bei lebendigem Leib fressen, weil ich mich genauso gefühlt habe: Fuck it!
Brauchen wir mehr Mitgefühl, um dieses Gefühl der Hilflosigkeit zu überstehen? Soll die neue Platte Trost stiften?
Leute wie bei Sea-Watch sind echte Helden und stiften Hoffnung, deshalb auch der Track auf dem Album. Sie riskieren ihr Leben und quatschen nicht nur. Stell dir vor, du wärst in so einer verzweifelten Situation, dass du trotz der hohen Wahrscheinlichkeit zu sterben, übers offene Meer irgendwohin flüchtest und dann verweigert dir Europa die Einreise. Sowas bringt mich auf die Palme und macht mich unglaublich traurig und wütend.