Bei Fabiano Do Nacimento scheint alles mit Musik verknüpft zu sein. In seinem Heimstudio in Los Angeles besteht selbst das Schachbrett, das neben den Instrumenten und elektronischem Equipment auf dem Boden liegt, aus Gitarrenholz. Ein guter Freund und Gitarrenbauer hat es ihm geschenkt, erzählt er.
Auf »Lendas« tritt der Gitarrist mit Arthur Verocai und seinem Streichquartett in einen instrumentalen Dialog. Das Album erarbeitete er mit dem brasilianischen Komponisten und Produzenten Vittor Santos. 2022 brachte Do Nascimento die Platte »Rio Bonito« heraus, 2021 »Ykytu« und 2020 »Prelúdio«. Und nun ist »Lendas« – zu deutsch: »Legenden« – erschienen. Doch sich auf dem Erfolg ausruhen, das passt nicht zu dem Brasilianer, den Musik schon sein ganzes Leben begleitet. Im Gespräch erzählt er, wie er immer wieder neue Ideen findet und wieso er sich mittlerweile überall zuhause fühlt.
Bei »Lendas« ist mir direkt die Interaktion zwischen dir, dem Orchester und den Streichern aufgefallen. Wie kam es der Kooperation?
Fabiano Do Nascimento: Ich wollte schon lange etwas mit Gitarre und Streichern machen. Tatsächlich sind wir bereits dabei, »Lendas II« fertigzustellen. Vittor Santos ist ein produktiver Arrangeur und Komponist in Rio. Er hat mit jedem in Brasilien gearbeitet. Jeder Musiker, der dort bekannt ist, kennt ihn.
Was macht die Arbeit mit ihm so besonders?
Seine Sensibilität und Arbeitsmoral. Außerdem ist er sehr schnell. Ich habe ihn im Jahr 2017 kennengelernt, bei einem Projekt für einen gemeinsamen Freund, Carioca Freitas. Ich habe viel mit Carioca gespielt. Er lud mich ein, auf dem Album, an dem er mit Vittor Santos arbeitete, Gitarre zu spielen. Seitdem waren wir in Kontakt und sind Freunde geworden.
Und dann?
Zu Anfang der Pandemie begannen wir zusammenzuarbeiten. Ich habe ihm einen Song geschickt. Eigentlich hatte ich gar nicht vor, ein ganzes Album mit ihm aufzunehmen. Er schickte mir ein MIDI-Arrangement der Streicher zurück, gespielt auf dem Keyboard. Ich war begeistert.
Ihr habt euch trotz des gemeinsamen Komponierens nicht wiedergetroffen?
Nein, alles lief remote ab.
Die Songs auf »Lendas« wirken auch wie ein Gespräch zwischen Musikern.
Vittor versteht die Feinheiten einer Nylongitarre. Ich neige dazu, sehr zurückhaltend und sanft zu spielen. Das ist mein Vibe. Er mochte das und hat versucht, darum herum zu schreiben, aber trotzdem viel Raum zu lassen.
»Ich neige dazu, sehr zurückhaltend und sanft zu spielen. Das ist mein Vibe.«
Fabiano do Nascimento
Was war dir in puncto Klang wichtig?
Ich wollte das Arrangement hören. Es klingt für mich nicht natürlich, wenn die Gitarre lauter spielt als das Orchester. Er sagte mir, dass die meisten Leute, mit denen er arbeitet, ihr Instrument laut hören wollen. Aber eine Gitarre hört man normalerweise aus einer gewissen Entfernung. Wir haben uns daran gehalten und dann subtile Melodien und Bewegungen geschaffen.
Ich verstehe, was du mit subtil meinst. Aber gleichzeitig habend die Songs auf »Lendas« definitiv das Potenzial haben, Emotionen hervorzurufen. Stark, melancholisch und hoffnungsvoll zugleich. Welche Emotionen hast du gefühlt, als komponiert hast?
Viele Dinge, die ich mache, vermitteln dieses Gefühl. Es kommt einfach aus mir heraus; ich denke nicht zu viel nach. Das Schreiben von Musik hat für mich viele verschiedene Formen. Meine Antennen nehmen alles auf, was gerade passiert. In meinem Soloalbum »Ykytu« gibt es einen Song – er heißt auch »Ykytu« – der von einem Film inspiriert wurde, den ich gesehen habe.
Und der Film?
Ich habe den Namen vergessen. Die Geschichte spielt im Amazonasgebiet, an der Grenze zu Kolumbien. Die Protagonistin ist eine Frau, eine Nachfahrin von dort ansässigen Stämmen. Dessen ist sie sich aber nicht bewusst. Sie arbeitet als Polizistin in Kolumbien und hat hartes Leben. Dann wird sie für eine Investigation ins Amazonasgebiet geschickt und bekommt Visionen. Sie erinnert sich, dass sie mit diesem Stamm verbunden ist, und all diese Dinge entfalten sich. Das ist cool! Von dem Film war ich beeindruckt. Sofort danach griff ich nach meiner Gitarre und spielte los.
Du schöpfst aus verschiedenen Quellen, sowohl aus der Gegenwart als auch aus der Vergangenheit. Auf deiner Webseite heißt es zu »Lendas« unter anderem: »Fabiano do Nascimento erinnert sich an Orte, die nicht mehr existieren«. Kannst das erläutern?
Es gibt viele Orte, die ich bereist habe – zum Beispiel im Amazonas – die einen Eindruck bei mir hinterlassen haben. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit sie verändert hat. Würde ich jetzt an diesen Ort zurückkehren, wäre er verändert. Der Ort könnte auch nur in meiner Vorstellung existieren. Du hast gesagt, dass meine Musik Emotionen hervorruft. Für mich fühlte es sich so an, als würde sie Bilder und Erinnerungen hervorrufen. Sie nimmt mit auf eine Reise. Manchmal hört man Musik und fängt einfach an, in Gedanken abzudriften.
Du stammst aus Brasilien, bist aber als junger Erwachsener nach L.A. gezogen. Wie definierst du Heimat und das Gefühl von Heimat?
Ich suche selbst noch nach einer Antwort auf diese Frage! Im Herzen fühle ich mich brasilianisch. Brasilien ist immer noch Zuhause. Aber ich war lange genug im Ausland und fühle mich mittlerweile überall zu Hause. Die ganze Welt ist mein Zuhause! Wenn ich nach Brasilien zurückkehre, spüre ich eine Energie, die ich nur an wenigen anderen Orten bekomme. Ich lebe schon lange in L.A., denke aber seit einigen Jahren darüber nach, umzuziehen. Ich möchte nicht den Rest meines Lebens nur hierbleiben, auch wenn es mir hier gefällt.
Wieso bist du überhaupt nach L.A. gezogen?
Hauptsächlich wegen der Familie. Ich hatte keine Wahl. Ich war zu jung, aber bin froh, dass es passiert ist.
Du kommst aus einer Musikerfamilie. Dein Onkel war einer deiner Lehrer. Wie genau haben deine Leidenschaft entdeckt?
Mit meiner Großmutter lebte ich in einem großen Haus in Rio. Einige Zeit lebte mein Onkel bei uns. Meine beiden Onkel sind Musiker. Einer spielte Choro-Mandoline und Gitarre. Der andere spielte Bass in Bossa-Nova-Jazzgruppen. Sie ständig Zeit geprobt. Ich war sieben oder acht Jahre alt und kam in Kontakt mit diesem reichen, wunderschönen brasilianischen Jazz. Da wurde mir klar: Ich will das tun, was sie tun.
Von klein auf warst du von Musik umgeben.
In der Schule lernte ich Klavier. Darüber hinaus habe ich schon früh alle Arten von Musik gehört. Meine Großmutter und ich, wir waren Klassik-Fans. Sie hatte eine Sammlung aller klassischen Komponisten. Ging ich ins Zimmer meines Onkels, fand ich eine Sammlung brasilianischer und amerikanischer Musik, von Djavan, Guinga, Hermeto Pascoal bis hin zu Pink Floyd, Eric Clapton, Nirvana und Miles Davis, vor. Ich blätterte einfach durch die Platten, hörte mir alles an. Musik war in meinem Haus sehr lebendig. Irgendwann bat ich meinen Onkel, mir das Gitarrespielen beizubringen. Schon nachdem ich wenige Akkorde gelernt hatte, fühlte ich eine starke Verbindung zur Gitarre.
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Hast du dann das Klavierspielen aufgegeben?
Ja, aber das Klavier hat mir sehr geholfen. Ich habe gelernt, wie man Noten liest. Zum Glück lernte ich das ganz beiläufig, schnappte auf, was ich hörte und setzte es um. Lernen machte mir Spaß. Es war nichts, wozu ich gezwungen wurde.
Spielst du sowohl auf einer sechs- als auch auf einer siebensaitigen Gitarre?
Hauptsächlich auf einer siebenseitigen. Auf dem Album spiele ich auch eine zehnsaitige. Und eine Soprangitarre. Der Song »Rio« auf »Lendas« wurde auf einer zehnsaitigen Gitarre gespielt, ebenso wie der letzte Song »Reflections«.
Wann kommt »Lendas II« heraus?
Ich hoffe, früher als später. Vom Beginn eines Projekts über die Aufnahme bis hin zur Veröffentlichung vergeht Zeit. Aber ich will nicht, dass es zu lange dauert. Klar, man sollte nichts überstürzen. Manche Dinge brauchen ihre Zeit. Ich arbeite aber daran, dass der Zeitrahmen immer kürzer wird.
Wieso?
Ich habe einfach das Gefühl, dass das Leben kurz ist. Solange wir leben und Musik machen, ist die Musik lebendig. Ich will nicht jahrelang warten, um nur ein Album zu veröffentlichen. Wenn mein Tempo jetzt schneller ist, möchte ich das ehren und auch in diesem Tempo neue Musik rausbringen.