EMA – Kleine Kätzchen und Butterfly-Messer

06.06.2011
Foto:Souterrain Transmission
Die Ex-Gowns Sängerin und Gitarristin Erika M. Anderson legt unter ihren Initialen EMA ihr Solodebüt vor und schwankt in ihren ausgefeilten Kompostionen zwischen sanften Folk-Klängen und heftigen Feedback-Eruptionen.

Auch ohne jemals in den USA gelebt oder eine Reise über den Atlantik angetreten zu haben, hat man ja eine ungefähre Vorstellung von der Aufteilung: Die lebendigen und kulturell ansprechenden Küstenstreifen mit modernen Metropolen wie Los Angeles und New York und dazwischen jede Menge Land, ansprechende Natur vielleicht, aber Provinz, kulturelle Diaspora. Kein Wunder also, dass es einen neugierigen, kreativ veranlagten Teenager aus den Staaten des sogenannten Mittleren Westens nicht lange in der Heimat hält. So ist es jedenfalls Erika M. Anderson ergangen. Mit 18 verlässt sie das heimatliche South Dakota mit Ziel Kalifornien. »Ich hatte das Gefühl, dass in mir das Temperament eines Künstlers schlummert und dachte zunächst daran, etwas im Bereich Film oder Video zu machen. Es musste jedenfalls nicht unbedingt etwas mit Musik zu tun haben«, berichtet die inzwischen 28-jährige Künstlerin. Hinzu kam, dass sie sich in ihrer High-School-Phase Ärger mit dem Gesetz eingehandelt hatte. »Nichts Schlimmes«, wie sie versichert. »Kinderkram. Aber ich wollte unbedingt raus aus South Dakota. Dort habe ich keine Zukunft für mich gesehen.« In Kalifornien erlebte sie schließlich ihren ersten Kulturschock. Die Leute dort waren ganz anders und wesentlich gelassener, als sie es erwartete hatte. »Früher wusste ich überhaupt nicht, dass es so etwas wie Kunstschulen überhaupt gibt. Ich kannte keine Künstler, keine Maler, keine Musiker. Und plötzlich war ich umgeben von diesen Menschen. Anfangs war ich misstrauisch. Ich fand die Leute arrogant. Aber das lag natürlich auch daran, dass es in meiner Heimat nicht anerkannt war, etwas Künstlerisches zu machen.« Außerdem beteuert sie, dass ihr Herz nach wie vor an South Dakota hing. »Meine Eltern hatten mich in meiner Entscheidung unterstützt, den Staat zu verlassen. Sie wollten, dass ich etwas aus mir mache. Aber als ich dann weg war, hieß es immer: Wann kommst du zurück? Das Ganze ist ohnehin ein zweischneidiges Schwert. Einerseits verspürte ich den Wunsch und einen gewissen Druck, etwas zu erreichen. Anderseits hatte ich Schuldgefühle, weil ich wegging.« Wie sehr sie auch heute noch an ihrer früheren Heimat hängt, wird deutlich, wenn sie von dem Hof ihrer Großeltern schwärmt. »Da gibt es eine Scheune mit einem Dachboden für Heu«, erinnert sich Erika M. Anderson. »Du kannst an einem Seil schwingen und dich ins Heu fallen lassen. Und im Frühling gibt es immer eine Menge kleine Kätzchen von den Scheunenkatzen. Das ist echt toll da.«

» Wenn ich das hier alles einmal satt haben sollte, könnte ich immer noch zurück in den Mittleren Westen ziehen und dort eine Bar-Rockband gründen. Keine Ahnung, ob ich damit wirklich glücklich werden könnte. Aber das rede ich mir zumindest ein.«

Erika M. Anderson
Zu wenig Pop, zu wenig Avantgarde
Dennoch blieb Erika an der Westküste. Zunächst spielte sie Gitarre in einer Folk/Noise-Gruppe namens Amps For Christ und gründete 2005 mit Ezra Buchla die experimentelle Band Gowns, deren Konzerte und Album Red State (2007) jede Menge Zuspruch beim Publikum und auch bei Kritikern fanden. Dennoch löste sich die Gruppe Anfang 2010 auf. »Die Band war auf selbstzerstörerische Weise darauf getrimmt, alles selbst zu machen. Das war so ein schräges, nihilistisches Punk-Ding und ist gescheitert«, konstatiert Erika. »Danach habe ich lange an einem Konzeptalbum gearbeitet. Dabei ging es um meine Interpretation amerikanischer Folkmusik, digital rekonstruiert oder auch dekonstruiert. Aus diesem Projekt ist beispielsweise eine 16-minütige Coverversion des Robert-Johnson-Stücks Kind Hearted Woman hervorgegangen. Das Werk habe ich verschiedenen Leuten geschickt, aber die fanden es zu merkwürdig. Für die Leute eines Experimental-Noise-Labels gab es darauf zu viel Gesang, zu viele Harmonien. Dann habe ich es bei einem Label probiert, das etwas mehr Mainstream ist, und die beklagten: †ºDarauf gibt es ja keinen einzigen Popsong. Und die Hälfte des Albums besteht aus Feedback!†¹ Das lief also auch nicht so toll. Außerdem lebte ich zu dieser Zeit in einem schrecklichen Viertel von Oakland, arbeitete als Aushilfslehrerin. Und ich dachte mir bloß: †ºJetzt reicht’s. Ich muss hier raus.†¹ Ich war drauf und dran, wieder bei meinen Eltern einzuziehen.«

Ziemlich verstörender Kram
Bevor es dazu kam, erhielt sie jedoch gerade rechtzeitig eine Anfrage von ihrem neuen Label Souterrain Transmissions nach neuen Soloaufnahmen. Erika nahm die Herausforderung an und spielte mit Unterstützung ihrer jüngeren Schwester Nicole am Schlagzeug (mit der Erika inzwischen in Portland, Oregon, lebt), dem Bassisten Aaron Davis und Leif Shackelford an Viola und Keyboards das neue Album ein. Vielschichtige Songs, die sowohl musikalisch als auch inhaltlich die innere Zerrissenheit widerspiegeln, die Erika M. Anderson im Laufe des vergangenen Jahrzehnts empfunden haben muss. Da zieht sie über das verheißungsvolle California mit den Worten »You Made Me Boring Her«, singt von körperlichen Misshandlungen in Marked oder beschwört in einem weiteren Stück »20 Küsse mit einem Butterfly-Messer«. Ziemlich verstörender Kram also. Im Interview wirkt sie dagegen wesentlich bodenständiger als manche ihrer Textzeilen vermuten lassen. Sie hat auch eine ziemlich klare Vorstellung davon, was wohl aus ihr geworden wäre, wenn sie South Dakota nie verlassen hätte: »Wahrscheinlich hätte ich mehrere Kinder, mindestens zwei. Und wahrscheinlich hätte ich bereits mindestens eine Scheidung hinter mir. Vermutlich wäre ich schon mal wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen worden. Ich würde vielleicht als Lehrerin arbeiten. Englischlehrerin an der High School oder so etwas. Daneben würde ich in einer Bar-Rockband spielen. So würde mein Leben wahrscheinlich aussehen. Und ich denke mir immer: Wenn ich das hier alles einmal satt haben sollte, könnte ich immer noch zurück in den Mittleren Westen ziehen und dort eine Bar-Rockband gründen. Keine Ahnung, ob ich damit wirklich glücklich werden könnte. Aber das rede ich mir zumindest ein.« Zum Glück für uns ist es ganz anders gekommen.