Die BeNeLux-Länder strahlen jetzt schon seit einigen Jahren eine verführerische Attraktivität für elektronische Tanzmusik aller Art aus. Das liegt zu großen Teilen an den aberwitzig vielen Festivals und Veranstaltungen in den Niederlanden, aber auch Belgien konnte mit Nachdruck beweisen, dass hier stets der nächste Rave vor der Tür steht. Während der nördliche Nachbar für eine außerordentliche Produzentenszene steht, beweist das oft übersehene Belgien eher tiefe Digging-Qualitäten. Sowohl für alte Platten, als auch für neue, frische Acts. Das kann man sowohl bei Labels wie Stroom beobachten, oder auch bei Festivals wie dem Meakusma in Eupen. Aus dieser deutschen Sprachinsel im französischen Part Belgiens kommt auch DJ soFa. Heute wohnt er in Brüssel und ist dort eine der prägendsten Figuren einer Szene vor dem Sprung in die Weltspitze. Ein Besuch in der Hauptstadt macht schnell klar, dass die Lebensqualität sehr hoch ist: an vielen Ecken warten Kneipen und Bistros (gerne auch mit Live-Musik) und auch die Clubszene ist nicht zu unterschätzen. Bei einem Abstecher zum Listen-Festival, wo DJ soFa einen Floor für einen Abend kuratieren durfte und Acts wie Zmatsutsi Giuseppe Leonardi, Ece Özel oder Infuso Giallo einlud, konnten wir mit ihm über Diggen, Plattensammeln und »aufregende Musik finden« reden.
Du wohnst jetzt seit 18 Jahren in Brüssel. Wie hat es dich dorthin verschlagen?
DJ soFa: Ich bin für die Kultur hergekommen. Wenn man davon leben will, zieht es einen halt meistens, wie überall, in die Hauptstädte. Nach zehn Jahren selbständigen Promotens von Musik habe ich hier dann meinen Job beim Europalia-Festival gefunden, wo ich Kurator für New-commissions und Austauschprojekte bin.
Aber ihr habt auch hier das Meakusma gegründet?
Genau. Das war 2002. Da habe ich mich mit vier anderen Ostbelgiern zusammengeschlossen. Wir haben uns teilweise erst in Brüssel kennen gelernt und dann zusammen Events und Workshops für elektronische Musikproduktion organisiert. Ich habe dann aber 2006 mit Meakusma aufgehört.
Kommen wir zu deiner Sammlung. Wann begann es denn bei dir mit dem tieferen Auseinandersetzen mit Musik?
Ich habe mit 14 meine ersten Scheiben gekauft. Jetzt auch nicht typische belgische Musik wie New Beat, sondern aktueller Techno damals: Jeff Mills Joey Beltran. Dann über den Umweg Drexciya kam ich schnell zu IDM, Warp Ninja Tune und Mo’Wax Aphex Twin Squarepusher usw. waren lange meine Helden.
Wir reden aber noch über »Musik als Hobby«?
Ja, Bookings kamen erst mit dem Umzug nach Brüssel. Dennoch habe ich damals Grundlagen geschaffen. Plattenkaufen war anfangs ein Spaß bzw. ging es darum neue Platten aufzulegen. Man war auch finanziell eingeschränkt und nach alten Platten zu suchen, das wäre mir damals nie in den Sinn gekommen.
»Dennoch geht es mir bei Schallplatten immer noch eher um das »zusammen hören« als das Einlagern. Ob es in Radiosendungen ist oder in Clubs, das breite Fach muss an die Leute.«
DJ soFa
Und wann und warum hat sich das geändert?
Mit der Zeit und durch viel Neugierde wurde das Spektrum halt breiter. Andere DJs und Freunde, Musiker und viel mehr hat Einfluss auf mich gehabt und dadurch wurde ich dann immer wieder in eine andere Ecke gestubst. Irgendwann kaufte ich auch Musik, die nicht nur zum Auflegen diente.
Dennoch geht es mir bei Schallplatten immer noch eher um das »zusammen hören« als das Einlagern. Ob es in Radiosendungen ist oder in Clubs, das breite Fach muss an die Leute.
Die meisten Sammler haben ja Steckenpferde, also bestimmte musikalische Felder oder Künstler, die sie in Gänze sammeln. Wie sieht das bei dir aus?
Irgendwann mal war ich von Simon Pyke aka Freeform von Skam Records so begeistert, dass ich alle seine Platten hatte. Davon habe ich mich mittlerweile aber auch frei gemacht. Heute hab ich wahrscheinlich von den Krautrock Legenden Can die kompletteste Sammlung. Es gab keine Obsession, vielleicht habe ich per Zufall irgendwelche kleinen Serien vollständig hier. Mir ging es immer mehr um die Einmaligkeit von Sounds.
Über wieviel Platten reden wir denn eigentlich?
Das sind etwa 10.000 bis 12.000 Stück. Ich verkaufe mittlerweile auch regelmäßig, da ich glaube, dass man mehr Platten echt nicht braucht. Und dann gebe ich das Vinyl lieber an Menschen weiter, die gerade mehr Bock darauf haben. Auch wenn ich Besuch habe und sie etwas in meinem Regal entdecken, dann muss ich die nicht behalten. Wenn die Schallplatte jemand anderem mehr gibt, wird oft getauscht oder verschenkt. Man darf zudem nie vergessen: Platten zu haben bedeutet auch, dass man sie pflegen muss.
Wie findest du deine Schätze?
Ich digge viel in Geschäften, wenn ich unterwegs bin. In Belgien wurde es mit der Zeit weniger interessant für mich. Flohmärkte besuche ich auch noch regelmäßig. Hauptsächlich besorge ich aber mittlerweile Platten über den Austausch mit anderen Sammlern oder Privatverkäufern im Netz.
Oder ich höre halt ein DJ-Set und findet das spannend. Dann schaut man auch mal nach den IDs… ich habe schon häufiger Texte rausgeschrieben oder Freunde gefragt, wenn es eine andere Sprache war. So hab ich zuletzt noch eine brasilianische Electro-HipHop-Scheibe entdeckt. Einfach die Lyrics in Google eingeben und mit ein wenig Glück hat man dann die Referenz. Der Trick ist simpel: Man muss schlicht viel Interesse haben, viel Musik hören und verdammt viel Zeit mit Schatzsuche verbringen.
»Ich versuche meistens an den Strömungen vorbei zu arbeiten. Wenn etwas zuviel gehyped wird, springe ich gern auf einen anderen Zug auf.«
DJ soFA
Es gibt ja diese (Wieder-)Entdeckungswellen, die sich verschiedene Kontinente und Länder vornehmen. In den letzten Jahren ist Südafrika recht prominent, davor war es Nigeria und der Nahe Osten. Wie stehst du dazu?
Ich versuche meistens an den Strömungen vorbei zu arbeiten. Wenn etwas zuviel gehyped wird, springe ich gern auf einen anderen Zug auf. Also gerade alles was Afro angeht, waren sehr viele Perlen schon gediggt, bevor ich überhaupt damit angefangen habe. Dann reichen mir auch Compilations oder Reissues. Hingegen »orientalische« Musik, also alles vom Iran, über die Türkei bis nach Nordafrika hat mich damals lange beschäftigt. Da war die Reissue von Selda Bagcan in 2005 ein Türöffner und die Jungs von Finders Keepers ganz sicher federführend und für mich ganz wichtig. Außerdem hat mich auch interessiert, wenn man Musik finden konnte, wie jene, die Jan Schulte auch auf der »Tropical Drums of Deutschland« verewigt hat: Europäische Echos von »orientalen« Klängen. Da find ich es immer sehr interessant wie offen damals in Songtexten geredet wurde. Im Vergleich zu heute waren halt rassistische oder sexistische Songtexte völlig akzeptabel und gingen als Humor durch. Manche Dinge werden mit der Zeit doch besser.
Schön, dass du auf Jan Schultes Compilation hinweist. Du hast ja jetzt selbst angefangen eine Reihe zu etablieren: »Elsewhere«. Da geht es aber weniger um alte Sachen…?
Das hat sich spontan ergeben. Velvet C, die damals noch Spongemagnet hießen, hatten einen Track auf Kassette, den ich hoch und runter gespielt habe. Der Track war dann ausschlaggebend für die Idee und ich habe Freunde gefragt ob sie Tracks haben, die dazu passen. Ich hatte noch kein Label und keine genauen Pläne, das hat sich dann durch ein Missverständnis ergeben. Ich habe Débruit der damals in Brüssel wohnte, einen Link geschickt mit den ersten Sachen, die man mir schon geschickt hatte. Eigentlich wollte ich ihn nur fragen, ob er einen Track beizusteuern wolle. Er suchte aber nach Material für sein Label und wollte sie dann rausbringen. Fand ich eine tolle Idee, mit ihm auf seinem Label ICI zu arbeiten. In der Zwischenzeit war und ist ist er noch immer sehr busy mit seiner Band KOKOKO!.
Dir geht es also mehr um KünstlerInnen, als bloß Tracks aneinanderzureihen?
Eigentlich ging es mir vor allem darum, frische Tracks auf kohärente Weise zusammen zu bringen und dabei auch gleich einigen »underrateten« Freunden einen Platz für ihre Musik zu bieten. Mein Leitmotiv bei diesen Compilations ist, dass es irgendwo zwischen Retro und Zukunft liegen soll. Analog Hardware oder halt gut nachgemachten Fake Vintage Sounds. Ich halte mich nicht lange mit Genres oder mit Styles auf, es geht viel mehr um die Klangfarbe, die kohärent bleiben soll.
Für mich wurde ca. 2008 aktuelle elektronische Musik zu langweilig. Ich hatte den Eindruck alles war gesagt worden; viel Neues kam nicht zu Tage. Durch die ganzen Reissue-Wellen kam dann frischer Wind zu den Produzenten. Internet machte es immer leichter schnell gute, eklektische Musik zu finden und das hat meiner Meinung nach eine grossen Einfluss auf die aktuelle Szene gehabt. Alles hat sich sehr geöffnet und einige DJs, die auch mal mit Risiko und Eklektizismus spielen, haben es mittlerweile sogar auf die großen, internationalen Bühnen der Clubmusik geschafft.