Die beinahe unerzählte Geschichte eines Funk-Meisterwerks

27.01.2025
Foto:Reginald Hudson © The Outer Edge
Der heißeste Funk Europas? Lief Ende der 1970er bis 1980er in der amerikanischen Besatzungszone. Dort entstand auch ein internationaler Funk-Klassiker, dessen Genese lange ein Mysterium war. Eine unwahrscheinliche Geschichte – die uns bis hinter die Kulissen von Milli Vanilli führt.

Weitgehend abgeschottet von der Außenwelt, gab es in den damaligen US-Kasernen zahlreiche afro-amerikanische Musiker, die hierzulande Bands gründeten oder anderweitig musikalisch aktiv wurden. Darunter finden sich vereinzelt auch große Namen wie z. B. Terence Trent D’Arby. Und wer den Hip-Hop Klassiker »Ain’t No Half Steppin« von Big Daddy Kane kennt, sollte spätestens jetzt hellhörig werden, denn das gesamplete Stück stammt im Original ebenfalls von einer Band, die sich Mitte der Siebziger in Deutschland gründete: Heatwave. Die Hitze im Namen hatte aber auch eine ganz andere, bisher nahezu unbekannte GI-Gruppe: Body Heat. Deren Geschichte aber verlief viel weniger erfolgreich. Fast wäre diese Band komplett in Vergessenheit geraten, da ihre einzigen bekannten Aufnahmen unter dem Projektnamen Hudson People erschienen sind, benannt nach derem Songwriter Reginald Hudson.

Trip To Your Mind – der »Brit-Funk«-Klassiker made by G.I.s

Zu den beiden Stücken, die Body Heat aufnahm, gehört auch »Trip To Your Mind«, für Eingeweihte ein essentieller Disco/Jazz-Funk-Klassiker. Kenner des Genres spielen das Stück seit Jahrzehnten, schon Ende der 1990er Jahre war es auf Compilations zu hören. Joey Negro veröffentlichte die Nummer später auf seinem »Backstreet Brit Funk (A Collection Of The UK’s Finest Underground Soul, Jazz-Funk And Disco)« Sampler. Dass sich eine in Deutschland ansässige GI-Gruppe dahinter verbarg? Wusste lange keiner.

»Trip To Your Mind« von Hudson People, 1976 © The Outer Edge

Die Rechteinhaberschaft zu diesem Stück blieb lange Zeit unklar. Erst von einigen Jahren verhalf Reginald Hudson selber zur Aufklärung. Die vielerorts getätigte Einordnung als »UK-Funk« oder »Brit Funk« war ein Fehler, denn die Musiker waren allesamt US-Amerikaner aus der Gegend um Chicago. Hudson erklärt: »Die Band bestand aus Tony Palmer an der Gitarre, Herva Middleton am Schlagzeug und Gesang, Charles Walker am Saxophon. Charles war ein Freund von mir in den Staaten, er wohnte nicht weit entfernt«. Palmer, Middleton und Walker gründeten Body Heat in ihrer Zeit bei der Armee in Deutschland.

Reginald Hudson selber verweilte währenddessen noch in den USA. Er spielte Keyboard für die Soul-Formation The Emotions und tourte mit der Band durch das Land – unter anderem mit den ganz großen Namen wie Earth, Wind & Fire und Ramsey Lewis. Zwei britische Manager entdeckten derweil Body Heat, als diese als Vorband von Eric Burdon & War in Holland spielte. Sie schlugen der Band vor, nach London zu gehen, um dort Auftritts- und Aufnahmemöglichkeiten zu bekommen. Hudson sollte als Keyboarder und Songwriter einsteigen. Als die Band ihn anrief und ihm ein Flugticket in die Staaten schickte, war klar, dass sie es ernst meinten. »Das war Ende 1976, der Moment, als ich das erste Mal nach Europa kam«, erzählt Hudson. Body Heat und Hudson waren bereit in London durchzustarten.

Von London nach Nürnberg und zurück

In Londons Vorort Thornton Heath hatte ihnen das Management ein Haus zur Verfügung gestellt in dem sie üben konnten, und wenig später gab es auch die Aufnahme-Session im Londoner Top-Studio Advision. Hudson: »Nachdem ich ‚Trip To Your Mind‘ an meinem Klavier geschrieben hatte, zeigte ich es der Band und wir nahmen es sofort auf«.

Doch die Dinge liefen nicht wie erhofft – nach monatelanger Wartezeit erhielt die Band keine Arbeitserlaubnis in England. Nach etwa acht Monaten in London entschieden sie sich notgedrungen, nach Nürnberg zurückzukehren. Die beiden eingespielten Songs, »Trip To Your Mind« und »Power To The Hour« blieben aufgrund der gescheiterten Zusammenarbeit zunächst unveröffentlicht.  

Obwohl Body Heat zu dieser Zeit wahrscheinlich die beste Funk- und Soul-Band in ganz Deutschland war, traten sie in der Regel mit bekannte R&B-Hits in US-Armee-Basen auf.

Reginald Hudson folgte der Band nach Deutschland. Man blieb fest entschlossen, mit Musik Geld zu verdienen. Doch die Band brauchte noch Verstärkung – und fand sie in John Davis.

Davis befand sich im US-Militärdienst in Baumholder, einer kleinen Stadt bei Kaiserslautern. Hudson erinnert sich: »Wir sind etwa ein Jahr später nach Kaiserslautern gefahren, um Johnny in die Band zu holen. In der Nähe von Nürnberg bewohnte die Band ein Haus. Johnny und ich wurden beste Freunde und begannen zusammen Songs zu schreiben.« Aus dieser Freundschaft und Zusammenarbeit entstand später der Klassiker »Shake It – Make It Loose«. Doch bis dahin sollte es kein gradeliniger Weg werden.

Eine Promo-Bildkarte aus den späten 1970er Jahren belegt die vollständige spätere Besetzung der Band, einschließlich Karl Keaton als neuem Leadsänger und Vincent McDay am Schlagzeug:

Die Besetzung von Body Heat (von links oben nach rechts unten): Harvey Matthew Perry (Posaune, Flöte, Gesang), Tony Palmer (bg, voc), Charles Walker (sax, voc), Karl Keaton (lead voc), Reginald Hudson (keyb, voc), Vincent McKay (dr, voc), John Davis (lead git, bg, voc).

Obwohl Body Heat zu dieser Zeit wahrscheinlich die beste Funk- und Soul-Band in ganz Deutschland war, traten sie in der Regel mit bekannten R&B-Hits hauptsächlich in US-Armee-Basen auf. Trotz des Bühnenerfolgs hielt Body Heat nur etwa zwei Jahre zusammen. Hudson: »Frauen, Alkohol und andere Substanzen trieben die Band auseinander«.

»Trip To Your Mind« wurde schließlich 1979 auf dem neu gegründeten Mini-Label Hithouse veröffentlicht, das einem Plattenladenbesitzer gehörte. Irgendwie landete die 12″ dann beim BBC-Radiomoderator Robbie Vincent, der das Stück für das größere Ensign Label neu mischte und remixte. Durch das Airplay wurde die neue Aufnahme zum Hit in der Londoner Jazz-Funk Szene. Für Body Heat kam der zeitlich versetzte Erfolg der Single jedoch zu spät – so oder so gab es keine Auftrittserlaubnis für England. Die Veröffentlichung erfolgte vermutlich deshalb unter dem Namen Hudson People. Basierend auf dem Erfolg von »Trip To Your Mind« konnte Reginald Hudson jedoch zwei weitere Singles auf den Major-Labels Virgin und United Artists platzieren – diese jedoch mit Musikern aus England. 

Neue Wege für Hudson und Davis – Drum Machines und Electro Funk

Die Band hatte sich inzwischen aufgelöst, aber Reginald und John blieben befreundet. Zu Beginn der 1980er Jahre begann Reginald, sich mehr auf das Schreiben und Produzieren zu konzentrieren, nahm aber auch andere Jobs außerhalb der Musik an. Zur gleichen Zeit wurde John der Leadsänger und Gitarrist der Rock/Funk-Gruppe Joker. Das Joker-Bandprojekt war im südlichen Teilen Deutschlands sehr populär. Die Band veröffentlichte zwei Alben; das erste wurde auf WEA veröffentlicht, während das zweite auf dem kleineren Roxon-Label erschien.

Etwa 1983 trat Johnny in eine neue Phase ein, die als seine »Elektro-Funk«-Periode bezeichnet werden kann, gekennzeichnet durch zahlreiche Veröffentlichungen unter verschiedenen Pseudonymen und Projekten. Dazu gehörten Kollaborationen mit Bobby Bachinger und der Band Too Much sowie Aufnahmen im P.A.S. Studio mit Manfred Radtke – alles auf dem Deggendorfer Metrovynil-Label. Wenige wissen, dass Davis auch Rap-Skills besaß: er nahm einige Blowfly-Imitationen unter dem Alias Superfly auf. Diese und andere Aufnahmen waren Auftragsarbeiten auf Anfrage des Metrovynil-Labelinhabers, der einen Sound suchte, den er als »the hardest ever« bezeichnete, zu hören auf der berüchtigten »Funk-You!«-Serie.

Funk You! – Die Metrovynil-Masche

Diese Compilation-Reihe sowie der Elektro-Funk-Klassiker »Destination Earth« mit Too Much waren feste Bestandteile der Plattenläden in der American Zone und darüber hinaus. Es ist anzunehmen, dass einige Ausgaben der »Funk You!«-Sampler sowie das »Destination Earth«-Album 20.000 bis 40.000 Exemplare verkauften – eine beeindruckende Leistung für eine Independent-Veröffentlichung.

Im Herbst 1984 erschien dann auch die gemeinsame LP von Davis und Hudson unter dem Titel »Shake It – Make It Loose«. Laut Hudson wurde das Album nur etwa 4.000 mal produziert. Heute ist sie eine Rarität. Der Grund lag wohl in den anderen Vertragskonditionen. Hudson erinnert sich an sein Treffen mit dem Label: »Als wir zu Metrovynil gingen, war Johnny bereit, einen Deal für wenig Geld zu akzeptieren. Johnny hätte unterschrieben, aber ich sagte ihm: ›Nein, lass uns gehen.‹ Und als wir gerade die Tür verließen, rief uns der Metrovynil-Manager zurück und bot uns ein vernünftiges Angebot mit Vorschuss an.«

Die Handhabung der Veröffentlichungen auf Metrovynil war oft verwirrend – offensichtlich nicht unabsichtlich. Viele Platten gaben vor, US-Importe zu sein, und es fehlten Credits. Die Firma hinter dem Label war EAMS, welches für Euro-American Music Service stand. EAMS war hauptsächlich ein Vertrieb, kein traditionelles Label. Schnell merkten die Künstler und Rechteinhaber, dass die Firma sie betrog. Schließlich sah sich Metrovynil im Jahr 1985 mit Klagen von zahlreichen Künstlern wegen unbezahlter Tantiemen und GEMA-Gebühren konfrontiert. Unwissentlich, dass einige Veröffentlichungen in großen Mengen verkauft worden waren, wurden die Künstler mit kleinen Vorschüssen abgefertigt. Metrovynil vertuschte die hohen Verkaufszahlen der eigenen Veröffentlichungen, da es sowohl die Distribution als auch das Label kontrollierte.

Als die Künstler den Rechtsstreit gewannen, flüchtete der Labelinhaber jedoch in die USA: John Davis und andere blieben nicht nur unbezahlt – sie blieben auch auf den Gerichts- und Anwaltskosten sitzen. Erneut muss man sich fragen – was wäre gewesen, wenn? Hätte Metrovynil das Geld nachhaltig in seine Künstler investiert und GEMA-Gebühren gezahlt, anstatt sich die Gewinne in die eigene Taschezu zu stecken, hätte insbesondere John Davis, der an 3 weiteren Alben auf Metrovynil maßgeblich beteiligt war (John Davis & Too Much »Destination Earth, »Funk You Vol. 3«, Spank »Spank You«), wohl schon früh eine beständige Karriere hätte aufbauen können.

»Der Markt in Deutschland für das Genre war klein – wir wollten einfach nur Musik machen.«

Reginal Hudson

Doch zurück zu »Shake It – Make It Loose« – dem gemeinsamen Meisterwerk von Hudson und Davis. Man könnte meinen, dass bei der Aufnahme eine komplette Band mitwirkte. In Wirklichkeit war es die Arbeit von nur zwei außergewöhnlich talentierten Musikern. Hudson erklärt den kreativen Prozess: »Es waren nur Johnny und ich, wir spielten alle Instrumente selbst. Johnny übernahm Bass, Gitarre und Gesang, und wir programmierten gemeinsam die Drum-Maschine. Der Rest war größtenteils Keyboard.« Er erinnert sich, dass sie das Album in nur sechs oder sieben Tagen im Hartmann Digital Studio fertigstellten.

Die Puma-Connection und das legendäre Hartmann Digital Studio

«Shake It – Make It Loose” birgt weitere Unklarheiten. Warum wurde es unter dem ungewöhnlichen Namen J.D. (Puma) Lewis veröffentlicht? Der Teil mit J. D. Lewis ist schnell erklärt: Es handelt schlicht um die Abkürzung von John Davis Lewis. Und der Puma? Hudson erklärt: »Damals arbeitete ich als Promotionsmanager für Puma-Sportbekleidung. Jörg Dassler, der Sohn des Puma-Gründers Rudolf Dassler, war ein Freund von mir und finanzierte unsere Studio-Sessions.«

Das besagte Hartmann Digital Studio war ein hochmodernes Studio in Untertrubach, Bayern, in dem Künstler wie Nena, Yello, Visage, DAF und Soft Cell aufnahmen. Die Nutzung des Studios wäre für die beiden Musiker ohne die Unterstützung von Puma zu teuer gewesen. Trotz weiterer Titel, die auf Puma-Schuhe hinwiesen wie z.B. »Dancing Shoes« wurde die Musik nie von Puma zu kommerziellen Zwecken genutzt. Auch über Metrovynil erfolgte keine Promotion für das Album – für die deutschen Musikmedien der 80er war »Shake It – Make It Loose« als »Black Music«-Exot bereits grundlegend zum Scheitern verurteilt. Hudson dazu: »Der Markt in Deutschland für das Genre war klein – wir wollten einfach nur Musik machen.«

Von GI-Funker zum Milli-Vanilli-Ghost-Singer

Das Label The Outer Edge hat das Album nun erstmalig wiederveröffentlicht. Auch »Trip To Your Mind« wird weiterhin erfolgreich neu aufgelegt – erst 2022 kam die Auflage auf dem britischen Label Backatcha heraus, während in Kürze Re-Works auf The Outer Edge erscheinen.

Die Neuauflage von »Shake It – Make It Loose« kann zudem mit den bisher unveröffentlichten Tracks »Life’s A Party« und »Walk Out On Me« aufwarten. »Life’s A Party« wurde im P.A.S. Studio aufgenommen, wo später auch der ikonische Track »Expand Your Mind entstand. »Expand Your Mind« wurde ursprünglich von Hudson mit keinem geringeren als Marvin Gaye komponiert, aber letztlich von John Davis aufgenommen. Es erschien 1985 auf dem britischen Label AM-FM und markierte das Ende der Zusammenarbeit von Hudson und Davis. Auch dieser Titel wurde soeben auf Backatcha neu aufgelegt.

P.A.S. Studio © The Outer Edge

Davis arbeitete danach mit Curt Cress und später mit Frank Farian zusammen, wo er als einer der Studiosänger von Milli Vanilli tragische Musik-Geschichte schrieb. Es war durch seine Stimme maßgeblich am Erfolg von Stücken wie »Girl I’m Gonna Miss You«, »Blame It On The Rain« und vielen weiteren beteiligt. Aber das wäre eine komplett andere Geschichte. Leider verstarb John Davis am 24. Mai 2021 an den Folgen von COVID-19. Reginald Hudson arbeitet inzwischen in Spanien und macht weiter Musik.