Die 50 besten Schallplatten der ersten Jahreshälfte 2024

01.07.2024
So, die erste Hälfte des Kalenderjahres ist vorbei. Zeit für eine Zwischenbilanz. Viele gute Veröffentlichungen. Wir haben sie auf 50 Schallplatten reduziert, auf die wir uns mit sehr gutem Gewissen einigen konnten.

»Für mich sind diese Listen der brutalste Indikator for se passing of time, schon wieder Halbjahr, schon wieder Jahrescharts, schon wieder nichts gerissen«, grummelte einer von uns, als es wieder daran ging, 50 Schallplatten auszuwählen, die uns eine gute Zeit beschert haben, während wir den Anschluss verloren. Das sind sie dann also – die Alben, Compilations, Singles und Reissues in (fast) allen gängigen Formaten, die zwischen einem Januar mit rekordverdächtigen Temperaturen und den Überschwemmungen im Juni, dem diesem Teil der Welt immer näher rückenden Krieg und Wahlergebnissen, die für alle mit Verstand schwer zu schlucken waren, veröffentlicht wurden. Könnte bitte jemand auf der MPC den Knopf mit dem »Na ja, wenigstens war die Musik gut!«-Sample drücken, gefolgt von ein paar Konservenlachern? Ja, dankeschön, top.

Aber ja, hey, doch, stimmt schon: Die Musik war halt wirklich gut. So gut sogar, dass unsere Autor:innen und wir eine Liste von über 200 (zweihundert) Platten zusammengestellt hatten, die es wert gewesen wären, an dieser Stelle genannt zu werden. Aber mal ehrlich, ain’t nobody got time for this – weshalb wir all das unter Zuhilfenahme einer mehrfarbig glitzernden Google-Tabelle und einigen spitz formulierten E-Mails auf 50 zusammengestaucht haben.

Der übliche, wundervolle Wahnsinn

Was da aber allerdings zusammenkommt! Earl Sweatshirt & The Alchemist geben sich ein Stelldichein mit Frank & Tony, Astrid Sonne und Beth Gibbons singen ein Ständchen, während HJirok und Jlin uns das Tanzen neu beibringen. Und da sind noch Shabaka, Kim Gordon auf ihrem Trash-Trap-Trip, halbvergessene Jams aus dem Japan der 1980er-Jahre, seltsame Songs aus der Ukraine und Polen der 1990er-Jahre sowie … selbstgebaute Pfeifenorgeln und die schrägste Gesangsperformance der Welt. Eh klar, ihr wisst schon: der übliche, wundervolle Wahnsinn. 

Tja, und das war das also, was uns in den letzten Monaten bei Verstand gehalten hat. Wir hoffen, es gefällt euch auch; wir hoffen, es geht uns ebenso wie uns – zumindest mit dieser Musik. Und wir, ähm… sehen uns dann wieder für unseren großen Jahresrückblick in sechs Monaten? Oder wie wir es gerne nennen: die längsten fünf Minuten eures Lebens. Bis dahin Bussi und take care!


Adriaan De Roover
Other Rooms
Dauw • 2024 • ab 29.99€

Viele Ambient-Alben sind in diesem Jahr erschienen, »Other Rooms« ist das beste. Der Belgier Adriaan de Roover schiebt uns vor die Türen von sieben sehr unterschiedlichen Räumen, öffnet sie immer nur einen Spalt breit, gewährt uns einen kurzen, insgesamt nur 30-minütigen Blick in Welten, die ein Zen-Garten sind, eine Kunstgalerie, die Ruine einer eingestürzten Lagerhalle aus rostigem Stahl und zerbrochenem Glas, ein Straßenmarkt in Indien. Eine Tür ist verschlossen, dahinter ein Club. Du stehst davor, spürst den Vibe, ahnst die Bässe.

Sebastian Hinz   Zur Review
Adrianne Lenker
Bright Future
4AD • 2024 • ab 27.99€

Adrianne Lenker könnte auch den Beipackzettel einer Kopfschmerztablette vertonen und es würde einem vermutlich fast das Herz zerreißen. Nun sind die Themen auf »Bright Future« auf eine andere Art aus dem Leben gegriffen – Lenker erinnert sich an den verstorbenen Hund aus Kindertagen und Liebesenttäuschungen, als würde sie aus ihrem Tagebuch vorlesen. Und obwohl da von einer gewissen »Sadness as a gift« die Rede ist, spendet eben jene den nötigen Trost, wenn der Weltschmerz doch mal wieder etwas schwerer wiegt.

Laura Kunkel   Zur Review
Alain Goraguer
Rare Soundtracks & Lost Tapes
Transversales Disques • 2024 • ab 27.99€

Mit dem viel gesampelten Soundtrack »La Planète Sauvage« (»Der wilde Planet«) hat sich der Komponist und Pianist Alain Goraguer unsterblich gemacht. Auf »Rare Soundtracks & Lost Tapes (1973-1984)« sind zwei bislang nicht erhältliche Scores des Franzosen zu hören: Das ist Orchestermusik, die es nicht nötig hat, dick aufzutragen. Mit Gitarren, Flöten und Streichern und durch die permanente Wiederholung und Variation der Haupthemen schafft Goraguer eine Atmosphäre zwischen Melancholie und Psychedelia.

Albert Koch   Zur Review
Amalie Dahl's Dafnie
Star Op Med Solen
Aguirre • 2024 • ab 26.99€

Die Saxofonistin Amalie Dahl ist zwar Dänin, hat ihre Band Dafnie aber im Trondheim-Milieu gegründet und lebt derzeit in Oslo – deshalb sieht sie sich vordergründig dem norwegischen Contemporary Jazz zugehörig. Dem topografischen Gütesiegel hat das Quintett spätestens jetzt, mit dem zweiten Album, alle Ehre erwiesen. Mit cineastischer Dimension, mal zurückgenommen, ergreifend, Ambient-infiltriert, mal mit quietschenden Bläsern und furioser Rhythmik hinterfragt »Står op med solen« in bester Trondheim-Manier das Gewohnte und Gewöhnliche, ohne selbst didaktisch zu werden.

Jana-Maria Mayer   Zur Review
Amaro Freitas
Y'Y
Psychic Hotline • 2024 • ab 29.99€

Der brasilianische Pianist Amaro Freitas tat sich bisher als so feinfühliger wie polyrhythmisch eruptiver Virtuose hervor. Mit seinem Album »Y'Y« kommt als Inspiration das Amazonasgebiet hinzu. Was er auf ganz unterschiedliche Weise erkundet. Präpariertes Klavier, raschelnde Perkussion und Vogelstimmenflöten ist der eine Weg für ihn. Der andere bringt ihn zu sanften Tönen und zu illustren Gästen wie dem Gitarristen Jeff Parker, der Harfenistin Brandee Younger und dem Schlagzeuger Hamid Drake.

Tim Caspar Boehme   Zur Review
Ariel Kalma / Jeremiah Chiu / Marta Sofia Honer
The Closest Thing To Silence
International Amthem • 2024 • ab 30.99€

Bereits 2002 präsentierten die beiden in Los Angeles lebenden Jeremiah Chiu und Marta Sofia Honer auf »Recordings from the Åland Islands« eine hybride Musik, die die Welt als Ganzes umarmt. In diesem Jahr haben sie folgerichtig Ariel Kalma, den Hohepriester der meditativen New-Age-Musik, mit ins Boot geholt und mit »The Closest Thing To Silence« Musik eingespielt, die sich wirklich nichts mehr verweigert, sondern ergebnisoffen treiben lässt und dazu einlädt, die Schönheit in den Dingen schlicht anzuerkennen.

Sebastian Hinz
Arooj Aftab
Night Reign
Verve • 2024 • ab 28.99€

»Night Reign«, das vierte Album von Arooj Aftab, liefert den perfekt sinistren Sound für die erste Jahreshälfte. Die Platte trägt nicht nur durch die Nacht, sondern durch Frühdienste, durch verkaterte Sonntage, begleitet beim Doomscrolling, geleitet durchs Wochenende am See und kommt kuscheln auf der Couch. »Night Reign« paart die Schwere des Vorgängers »Vulture Prince« mit einem Hauch von Leichtigkeit.

Nikta Vahid-Moghtada
As One
Reflections
Lapsus Perennial Series • 2024 • ab 30.99€

Kirk Degiorgio wird dermaßen sträflich unterschätzt, dass wir an dieser Stelle gerne eine Diskussion über eine allgemeine Verschärfung des Strafmaßes anstoßen möchten. Von allen britischen Antworten auf Detroit Techno waren seine Produktionen als As One so essentiell wie keine andere. Das Album »Reflections« wurde zwischen 1993 und 1994 in London produziert, nachdem die »Artificial Intelligence« alles verändert hatte, und weist durchaus Ähnlichkeiten mit dem aufkommenden IDM-Sound auf, ist genauso aber von jener fokussierten und doch verschwommenen Wärme geprägt, die Carl Craig erst 1997 – drei Jahre später! – meisterte. Die Jubiläumsausgabe zum 30. Geburtstag über Lapsus unterstreicht, wie zeitlos diese Platte geblieben ist.

Kristoffer Cornils   Zur Review
Astrid Sonne
Great Doubt
Escho • 2024 • ab 32.99€

Astrid Sonne singt! Die dänische Komponistin und Viola-Spielerin war bisher für instrumentale Experimente bekannt. Auf »Great Doubt« ist vieles anders, nicht nur der Sprechgesang. In ihrem folky, semi-elektronischen R’n’B lässt Sonne die Erkenntnisse aus ihren elektro-akustischen Experimenten in skelettierte, aber vielfarbige Arrangements einfließen. Und die sind viel mehr sind als gesungene Worte mit musikalischer Begleitung. Ob man das dann TripHop, Avant-Pop oder Singer/Songwriter nennt, ist: egal.

Albert Koch
Beth Gibbons
Lives Outgrown
Domino • 2024 • ab 25.99€

Mit »Lives Outgrown« veröffentlichte Beth Gibbons ihr erstes Solo-Album. (Dreißig Jahre nach dem ersten Aufschlag ihrer Band Portishead.) Auf zehn Songs erdet Gibbons hier ihre Stimme mit einem schweren wie unaufgeregten, meist organischen Sound. Große Momente der Katharsis fehlen weitgehend, dafür reinigt die Platte im Ganzen das Seelenleben von Künstlerin wie Publikum. Ein wunderschönes Gefühlsalbum für Kopfmenschen.

Björn Bischoff   Zur Review
Brian Eno, Holger Czukay, J. Peter Schwalm
Sushi. Roti. Reibekuchen
Grönland • 2024 • ab 34.99€

Ein paar Jungs treffen aufeinander, während ein paar Leute Häppchen snacken und Multimedia-Kunst beglubschen. Sie spielen drei Stunden lang und das war's dann. Gut drei Jahrzehnte später ist einer von ihnen, Holger Czukay, tot; der andere, Brian Eno, hat seit Jahren keine taugliche Idee mehr gehabt und der dritte ... Äh, wer war nochmal J. Peter Schwalm? Zusammen mit dessen Band Slop Shop – deren Mitglieder Raoul Walton und Jern Atai wohl für eine Nennung auf dem Cover als zu unwichtig befunden wurden – gab sich das Trio einer manchmal unfreiwillig komischen und kulturell unbedarften Improvisations-Session hin, die sogar Drum'n'Bass in den Stilblütenmix warf. »Sushi. Roti. Reibekuchen« ist ein in jeder erdenklichen Hinsicht sehr, sehr weirdes Album.

Kristoffer Cornils
Christoph De Babalon
Ach, Mensch
Midnight Shift • 2024 • ab 14.24€

Techno, Breakcore, Ambient, Gothic Jungle – all dies waren im Schaffen von Christoph De Babalon ja nur Schleier für die blanke Existenzangst, die einem aus diesem Sound entgegenballerte. So auch auf seiner EP »Ach, Mensch«. Zwanzig Minuten, die sich anfühlen, als würde der ganze Wahnsinn dieses 21. Jahrhunderts überkochen. Von keiner anderen Platte lässt man sich so selbstverständlich verschlingen. Willkommen auf dem Boden der Tatsachen. Es hörte sich hier nie anders an – nämlich fantastisch.

Björn Bischoff
Cold Sun
Dark Shadows
Guerssen • 2024 • ab 26.99€

Bevor wir zum hilflosen Smalltalk über die Cannabislegalisierung abdriften: »Dark Shadows« ist gar keine typische Psych-Rock-Platte, das lässt sich dank dieser schön restaurierten Neuauflage erfahren. Da sind Billy Millers komisch elekrifizierte Autoharp, die weichen Bassläufe, die hüpfenden E-Gitarren, die eigenwilligen Tempowechsel. 1970 aufgenommen, wurde die Platte 1990 erstmals veröffentlicht – da gab es inzwischen die Goths und auch die ersten Emos, die Cold Sun mit seinem entrückten, drängenden Gesang schon zwanzig Jahre zuvor heraufbeschworen hatte.

Jana-Maria Mayer
Cukor Bila Smert'
Cukor Bila Smert'
Shukai • 2024 • ab 46.99€

Auf über 30 Songs und knapp 90 Minuten schickt uns diese Compilation im Schnelldurchlauf einmal komplett durch den exzentrischen wie intimen Kammerfolk der dreiköpfigen Band um Svitlana Nianio, die erst vor kurzem noch mit einem Solo-Reissue auf Shukai geehrt wurde. Mit ihrem fast opernhaften Gesang sowie den Streichern und Keyboards ihrer beiden Kollegen hat sie Anfang der 90er in nur wenigen aktiven Jahren dem ukrainischen Underground einen umwerfend kühlen und leiernden Leftfield-Pop-Sound verpasst.

Christopher Hunold   Zur Review
DJ Nigga Fox
Chá Preto
Principe • 2024 • ab 25.64€

Rogério Brandão, alias DJ Nigga Fox, steht wie niemand anderes für den Sound des in Lissabon ansässigen Labels Príncipe. Auf »Chá Preto« lädt er mit seiner eigenen Interpretation von Batida, Kuduro und zeitgenössischer Clubmusik zum Tanzen ein. Auf meist schnellen Klanglandschaften verankert er verschiedenste Polyrhythmen mit Ambientflächen, tiefen Bässen, weichen Klaviertönen und gezielt ausbleibenden Drums. Auf rund sechs Songs erhaschen die Zuhörer:innen einen etwas zu kurzen, aber dafür umso spannenderen Einblick in sein Universum.

Moritz Weber
Donato Dozzy
Magda
Spazio Disponibile • 2024 • ab 28.99€

Gerade in Zeiten des viel gescholtenen ADHS-Sounds ist Donato Dozzy wieder en vogue, allerdings als Vertreter einer Gegenbewegung: Ausdauernd, mit der nötigen Ruhe und, ganz wichtig, gutem Geschmack baut er seine Tracks auf. So auch auf »Magda«, auf dem er ebenso routiniert wie eindrucksvoll die alte Erfolgsformel des Techno durchexerziert – Intensität durch fortwährende Wiederholung, Spannung durch graduelle Veränderungen. Psychedelik, Kitsch und Grazie, Dozzy vereint sie noch immer alle.

Maximilian Fritz   Zur Review
Earl Sweatshirt & The Alchemist
Voir Dire
Warner • 2023 • ab 32.99€

Earl und Al, das sind Future & Metro Boomin für solche Menschen, die in Birkenstocks Tabak rauchen anstatt in Air Force Ones zu vapen. Das beste Tag-Team im Rap. Gemeinsame Songs haben die beiden schon einige gemacht, zuletzt u.a. das unsterblich gute »Lye«, zu dem man perfekt das Rauchmittel in die Stromlinien des Fahrtwindes legen kann. Jetzt ein gemeinsames Album. »Voire Dire« gönnt eine ganze halbe Stunde der bewährten Rezeptur: Alchemists schleppende, Sample-basierte Beats und Earl Sweatshirts verschachtelte, missmutige Rhymes.

Pippo Kuhzart   Zur Review
Eiko Ishibashi
Evil Does Not Exist O.S.T.
Drag City • 2024 • ab 32.99€

Hot take respektive magisches Wunschdenken: Was, wenn Eiko Ishibashi für Film-Soundtracks der 2020er-Jahre das wird, was Mica Levi (»Under the Skin«) und Jóhann Jóhannsson (»Arival« und so weiter) für die der 2010er Jahre darstellten? Eine Art Anti-Hans-Zimmer nämlich, die neue und aufregende Wege findet, um Filme zu komplementieren und zu kommentieren, ohne ein einziges Mal den BBRRRRROOOOAAAAAAAAAAAWWWWWW-Synth rauszuholen? Nach »Drive My Car» ist »Evil Does Not Exist« die zweite Soundtrack-Arbeit von Ishibashi, die genau das mit fiebrigen, post-rockigen Jazz-Vibes und einer wunderbar schrägen Streicherarbeit umsetzt – im besten Sinne cineastisch, selbst ohne die dazugehörigen Bilder.

Kristoffer Cornils   Zur Review
Emahoy Tsege Mariam Gebru
Souvenirs
Mississippi • 2024 • ab 27.99€

Auf »Souvenirs« präsentiert Emahoy Tsege Mariam Gebru traumhafte Home-Recordings. Es ist ein besonders intimes Werk der äthiopischen Pianistin und Komponistin, die zuvor auf keinem ihrer Alben ihre Stimme nutzte. Auch musikalisch unterscheidet sich »Souvenirs«: Vogelgeräusche vor dem Fenster oder selbst das Knarren der unverwechselbaren Klavierbank erwecken den Eindruck, man sitze neben der Künstlerin.

Moritz Weber   Zur Review
Frank & Tony
Ethos
Scissor And Thread • 2024 • ab 29.99€

Frank & Tony haken im Begleitschreiben ihres Comeback-Albums »Ethos« alle relevanten Themen ab – Deep House als Soundtrack marginalisierter Menschen, ein Ausdruck freudigen Widerstands usw., der ganze »Midtown 120 Blues«-Schnack eben. Tatsächlich aber handelt es sich dabei um nicht viel mehr als um neun perfekte Adaptionen von Formeln, die mittlerweile drei Jahrzehnte alt sind und sich unter ihren Händen immer noch so aufregend anfühlen wie wohl damals, als die ersten Prescription-Platten auf der Tanzfläche aufschlugen. Deep House mit zehn Es und ordentlich Hall drauf, traditionspflichtschuldig und eigentlich kaum von seinen Vorbildern zu unterscheiden. Was, damit wir uns nicht falsch verstehen, die beste Art von Deep House ist.

Kristoffer Cornils
Frédéric D. Oberland / Grégory Dargent / Tony Elieh / Wassim Halal
SIHR
Sub Rosa • 2024 • ab 23.99€

Die 13. Rule of Life lautet: Wenn sich eine Band als »post-everything quartet« bezeichnet, nimm besser gleich die Beine in die Hand. Nur wenn Frédéric D. Oberland (Oiseaux-Tempête), Grégory Dargent, Tony Elieh (Scrambled Eggs) und Wassim Halal dabei sind, bleib wo du bist und übertrag ihnen die volle Kontrolle über deine Extremitäten. »SIHR« erinnert insofern wohl an die Dwarfs of East Agouza, als es – hust, hust – traditionelle Instrumente in einem irgendwie psych-rockigen Setting einsetzt, legt aber mehr Wert auf Drrrrrrrrrrrrrrumsssssssss und ist insgesamt weitaus weiter draußen. Das klingt dann auch mal so, wie GY!BE es mittlerweile tun sollten. 10/10, no notes.

Kristoffer Cornils
Fuji||||||||||Ta
MMM
Hallow Ground • 2024 • ab 29.99€

Für sein Album »MMM« hat der japanische Komponist und Klangkünstler Yosuke Fujita seine selbstgebaute Pfeifenorgel mit einer elektrischen Pumpe versehen. Was wie ein technischer Gimmick wirkt, verschafft seiner Musik im wahrsten Sinne des Wortes mehr Luft und lenkt sie in eine neue Richtung. Das über 21-minütige »M-1« als Herzstück des Albums ist gleichzeitig sanft dröhnendes Mantra und Vehikel für mikroskopisch kleine Tonverschiebungen, die dem Instrument ungeahnte rhythmische Möglichkeiten verleihen.

Albert Koch
Garth Erasmus
Threnody For The Khoisan
Tal • 2024 • ab 27.99€

Garth Erasmus. Nie gehört. Und monatelang den Namen nicht richtig im Kopf gehabt, wenn es darum ging, Freunden zu sagen, dass das hier das Album des Jahres sein könnte. »Threnody for the KhoiSan« ist eins for the ages. Der südafrikanische Sound-Tüftler Erasmus spielt auf teils selbstgebauten Instrumenten eine Art Minimal-Spiritual-Jazz, der irgendwo zwischen Don Cherry und Pierre Bastien seinen Anmut findet.

Pippo Kuhzart
Gastr Del Sol
We Have Dozens Of Titles
Drag City • 2024 • ab 78.99€

Bands, die es noch einmal wissen wollen, können sich oft des Zuspruchs ihrer Fans sicher sein. Nicht immer finden sie zu alter Größe. Dieses Problem hatten Gastr del Sol für ihr letztes Album »We Have Dozens of Titles« zum Glück nicht. Das Material, das sie verwendeten, stammt aus den Neunzigern, ist unveröffentlicht, live aufgenommen oder von rareren EPs. Und es ist alles grandios. Man mag rückblickend noch einmal bedauern, dass David Grubbs und Jim O'Rourke ihr Projekt so früh beendeten. Doch das haben sie jetzt locker wettgemacht.

Tim Caspar Boehme   Zur Review
Gordan
Gordan
Glitterbeat • 2024 • ab 27.99€

Auf »Gordan« verschwimmen Zeiten und Genres. Es kombiniert traditionellen serbischen Gesang mit abrasiven Noise und hypnotischen Beats. Mal ist das Trio verspielt wie Širom, mal zerbrochen wie Lankum, mal vom Militarismus fasziniert wie Laibach. Mal betrauern sie Lawinentote, mal loben sie Nikola Tesla, mal rufen sie zum Krieg im Grenzgebiet des Habsburgerreiches auf. Ein Highlight für alle, die sich in den Bann einer Vergangenheit schlagen lassen wollen, die es nie gegeben hat.

Michael Zangerl   Zur Review
Hjirok
Hjirok
Altin Village & Mine • 2024 • ab 24.99€

Mit atemberaubender Virtuosität beherrscht Hani Mojtahedy ihre Stimme, gleitet mühelos zwischen kristallklarem Sopran und tiefem, kunstvollem Vibrato. Sie singt sowohl auf Persisch als auch auf Kurdisch und reflektiert damit ihre Wurzeln in der Kurdenregion zwischen Iran und Irak. Die melodischen Setar-Klänge, die emotionalen Vocals und die rhythmischen Percussion verschmelzen zu einer kraftvollen, mystischen Einheit. »Hjirok« berührt die Seele und entführt in eine faszinierende Klangwelt, die gleichermaßen von Tradition und Innovation geprägt ist.

Celeste Dittberner   Zur Review
Jawnino
40 Neon Green
Worldwide Unlimited / True Panther • 2024 • ab 32.99€

In London machen sie’s einfach differently. Jawnino bedient sich bei zeitgenössischen Bass-Entwürfen, schreckt nicht vor The-Streets-artigem Storytelling und kitschigen 1980er-Elementen zurück, kennt sich in der Cloud-Rap- und Grime-Historie aus und verquirlt all das auf »40« irgendwie zu einer irrlichternden Mischung. Zu den Feature-Gästen auf diesem Album gehören sowohl MIKE als auch Airhead als Remixer, denn so eine Platte ist das eben: Far-out für die Hip-Hop-Heads und food for thought für alle Ravers, die mit einem mulmigen Gefühl aus der Afterhour stolpern. »Broken Britain / but that's how we like it, innit?« Precisely, mate.

Kristoffer Cornils
Jlin
Akoma Golden
Planet Mu • 2024 • ab 35.14€

Die Verlaufskurve von Jerrilynn Pattons Karriere ist so verschlungen wie die Produktionen der konsequent gutdraufen Künstlerin aus Gary, fucking Indiana. Sowieso, das Björk-Feature stellt keine große Überraschung dar, aber wer hat mit Philip Glass und dem Kronos Quartet auf einer Jlin-Platte gerechnet? Wer es nicht getan hat, muss wohl in der letzten Zeit nicht aufgepasst haben – hier fügen sich nur Dinge, derweil sie anderswo aus den Fugen fliegen. »Akoma« ist dann natürlich genau das Album, das von Patton zu erwarten war: Auch wenn sie ihre Footwork-Wurzeln nicht völlig aufgegeben hat, sind das hier Tracks, aus denen tausend neue Genres entstehen könnten – eines innovativer als das andere.

Kristoffer Cornils
Julia Holter
Something In The Room She Moves
Domino • 2024 • ab 30.99€

Julia Holter kann Vieles auf »Something In the Room She Moves«. Sie kann mal laut, mal leise, mal düster, mal lieblich, mal minimalistisch und mal opulent. Das sechste Album der Songwriterin aus Los Angeles springt zwischen Synthie und Jazz, mixt Field Recordings mit choralen Arrangements und dreamy Pop mit Avantgarde. »Something In The Room She Moves« ist eines dieser Alben, das ganz viel Aufmerksamkeit braucht und regelrecht einfordert – und es hat sie verrdient.

Nikta Vahid-Moghtada   Zur Review
Keith Hudson
Playing It Cool & Playing It Right
Week-End • 2024 • ab 36.99€

Easily Keith Hudsons bestes Album. Jetzt sauberst gepresst endlich wieder verfügbar. Vielleicht ist »Playing It Cool« die Blaupause für alle Werke, die danach Dub benutzt haben, um Schwermut zu erzeugen, statt Good Vibrations. »Psycho-akustische Reise« stand irgendwo zum Album. Eine gute Beschreibung. Überall in diesem Sound gehen Optionen auf, die dann direkt wieder zuwachsen. Dicht bevölkerte Musik, die trotz der Vielzahl ihrer Töne die Weite des Raumes findet. Wegweisend.

Pippo Kuhzart
Kevin Drumm
Og23
Streamline • 2024 • ab 32.99€

Ganz ehrlich ist »Og23« irgendwie ein Platzhalter für alles, was Kevin Drumm sonst so macht. Wer ein Bandcamp-Abo beim Chicago-Noisenik hat (wer’s nicht tut: lohnt) kriegt auch mal ein paar Monate lang kein Update, bevor die Release-Sturmflut losdonnert und jede einzelne Veröffentlichung die Zilien zu Berge stehen lässt. Diese beiden Stücke wurden erstmals im Jahr 2022 digital veröffentlicht und von Christoph Heemann über Streamline auf Vinyl gepresst. Sie klingen wie Filmmusik für einen Sci-Fi-Horrorfilm aus den 1960er-Jahren, abstrakt und körperlich zugleich. Mysteriöse Musik, und zwar die beste auf diesem Planeten. Normaler Drumm eben.

Kristoffer Cornils
Kim Gordon
The Collective
Matador • 2024 • ab 27.99€

Kim Gordon clasht mit »The Collective« einundsiebzig-jährig ins Jetzt, als stünde sie am Anfang ihrer Sonic Youth Karriere. Gordon sagt zwar zu Anfang des Albums schon »Bye Bye«, meint dabei aber eher ein Ende der Geradlinigkeit von Geschichte. Die Verrücktheit der Gegenwart wird zum Motiv, dass sich durch elf Tracks schlängelt und den Zeitgeist in psychedelische Mantras sublimiert. Nur eine Sache ist für Gordon wahr: Wahrheit gibt es keine mehr. Aber solange es Musik gibt, ist da zumindest noch die Möglichkeit die Realität zum scheppern zu bringen.

Ania Gleich   Zur Review
La Monte Young
Dream House 78'17"
Superior Viaduct • 1974 • ab 29.99€

Minimal music, Drone, Art Rock, Shoegaze, Weltmusik – ohne La Monte Young und Marian Zazeela gäbe es diese Genres nicht. Ganz zu schweigen von Fluxus und Lichtkunst. Den Einfluss, die das Ehepaar auf die Geschichte der Kunst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten, ist fast nicht zu überschätzen. Auf »Dream House 78'17"« zeigen sie warum. Ihre Kompositionen können sich problemlos neben neueren Drone- oder minimal-music-Publikumslieblingen behaupten.

Michael Zangerl   Zur Review
Lawrence
Gravity Hill
Smallville • 2024 • ab 14.99€

Flächige Pads, eine pulsierende Bassspur und sanfte Keys durchfluten die vier Tracks dieser EP, die sich in ihrem Klangbild zwischen affektiver Dancefloor-Melodik und Insichgekehrtheit bewegen. Lawrence, Hamburger Pionier des Ambient-Technos, steckt hinter diesen wunderschönen Produktionen. Nichts Verrücktes, nichts auffallend Neues und dennoch so berührend ist dieses Werk namens »Gravity Hill«.

Wencke Riede   Zur Review
Linda Perhacs
Parallelograms
Elemental • 1970 • ab 29.99€

Erst ignoriert, dann ›von‹ Biggie gesamplet: »Parallelograms« hat einen langen Weg hinter sich. Es ist das erste Album von Linda Perhacs, erschienen 1970, und interessierte damals kein Schwein. Perhacs war entmutigt und nahm ihre Karriere als Dentalhygienikerin wieder auf. Gut behandelte Zähne dürften das Resultat gewesen sein, wenn man den Feinsinn als Anhaltspunkt nimmt, den Perhas auf »Parallelograms« an den Tag legt: dieser fragile, melancholische Folk besteht locker neben Joan Baez oder Joni Mitchell.

Pippo Kuhzart
Marie Klock
Damien Est Vivant
Pingipung • 2024 • ab 29.99€

Marie Klocks Verneigung vor ihrem verstorbenen Dichterfreund Damien Schultz war locker das lebendigste Album des Jahres. Ein unrasiertes Rennen durch die Nacht, alle Betten ungemacht, Kerzenschein und Kritzelgedichte, Anarchie und Hundebellen, »Damien Est Vivant«s stürmischer Neo-Folk-Chanson-Synth-Pop klingt durch und durch nach einer analogen Zeit, in der Interior-Design und gesunde Ernährung dem Erforschen der human condition noch untergeordnet waren.

Pippo Kuhzart
Moonilena
Minnet
Moloton • 2024 • ab 28.99€

Moonilena ist nicht etwa eine Limited-Edition-Polly-Pocket-Auflage, sondern der Moniker der Stockholmer Musikerin Marlena Salonen, unter dem sie eines der besten Ambient-Alben des Halbjahres veröffentlicht hat. »Minnet« hält schwere Kost; Beat-lose Musik, die doch in der Magengrube pocht. Das Highlight-Stück »Dem Bor Under Taket« verneigt sich vor Basinkis Ground-Zero-Großwerk, das hier eingebettet ist in etwas Kleineres, Häuslicheres – genau daraus entsteht die (Runter)Ziehkraft dieses Albums.

Pippo Kuhzart
OG Keemo
Fieber
Chimperator • 2023 • ab 28.99€

Keine Review, barely eine Prophezeiung: am Freitag erscheint OG Keemos neues Mixtape mit Funkvater Frank und wenn die vorab verfügbaren Tracks ein Indikator sind, wird »Fieber«, wie immer, das beste was dieses Jahr im deutschen, wenn nicht globalen Rap-Kontext veröffentlicht werden wird. 

Florian Aigner   Zur Review
Oppenheimer Analysis
Oppenheimer Analysis
Minimal Wave • 2005 • ab 25.49€

»Come with us / The future’s here to stay / Dance with us / Dance with us.« Schon irgendwie irreal, dass es schon 18 Jahre her ist (19, um genau zu sein, denn diese Neuauflage wurde Mitte Dezember veröffentlicht), dass die selbstbetitelte EP von Oppenheimer Analysis den Startschuss für Veronica Vasickas Label Minimal Wave markierte. Es gibt kaum eine Platte, die dessen Ästhetik besser auf den Punkt gebracht hätte, und tatsächlich klingen die vier Tracks klingen immer noch fresher, als sie sollten: Manchmal, wie im Fall von »Cold War« (»I thought it was over« – same, ey, aber na ja), wirken sie gar brutal tagesaktuell für eine Platte, die sich den 1980er-Jahren nicht allein thematisch annähert. Time is a flat circle, usw., ihr wisst schon.

Kristoffer Cornils
Pigbaby
I Don't Care If Anyone Listens To This Shit
PLZ Make It Ruins • 2024 • ab 31.99€

»Something here isn’t right« waren seine ersten Worte, wenig später sitzt er weinend im Burger King. Pigbaby hat nach einer unglaublichen EP ein unglaubliches Album nachgelegt, das dem Debüt bezüglich Dringlichkeit und Ausdruckskonzentration in Nichts nachsteht. »i don’t care if anyone listens to this shit once you do« vertont mit simpler Exaktheit die Großstadt-Erfahrung von Kulturinteressierten jungen Erwachsenen mit Mental-Health-Problemen der letzten, mindestens, 30 Jahre: Die Liebe versiegt, die Tage sind grau, nichts kickt wirklich, die Wohnung ist schäbig, Geld fehlt. Und doch bleibt man, scheitert vor sich hin.

Pippo Kuhzart   Zur Review
Rafael Toral
Spectral Evolution
Moikai • 2024 • ab 31.99€

Am Anfang war die Gitarre. Dann kamen fiepende Generatoren und Feedbacks und das »Space Program«: Rafael Toral hat als Musiker seinerzeit einen radikalen Bruch vollzogen, sein Hauptinstrument zur Seite gelegt. Jahrelang. Inzwischen verbindet er seine früheren Drone-Ansätze mit den späteren elektronischen Punktereignissen. Auf dem Album »Spectral Evolution« tut er das in majestätischer Ausgeruhtheit und mit einer Klangpalette, die sogar an Vögel denken lässt. Ein veritables Comeback – nicht, dass er je weggewesen wäre.

Tim Caspar Boehme   Zur Review
R.N.A. Organism
R.N.A.O Meets P.O.P.O
Mesh-Key • 1980 • ab 34.99€

Form follows function war die Maxime der Bauhäusler in den 1920er Jahren. Eine Idee, die vor allem Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre auch in der Musik ihren Widerhall fand. Nicht umsonst nannte sich in Großbritannien eine Band Bauhaus. In Japan gab es zeitgleich die R.N.A. Organisation. Ein Trio, dessen Mitglieder sich 0123, Chance und Zero nannten und Stücke wie »Weimar 22« und »Matrix« komponierten. Ihr 1980 auf Vanity Records in Japan erschienenes Album »R.N.A.O meets P.O.P.O.« war lange Zeit nicht erhältlich, wurde jetzt aber von Stephan Mathieu von den Originalbändern neu gemastert und auf Mesh-Key Records veröffentlicht. Die Musik ist New Wave, unterkühlt und skizzenhaft, manchmal dubby wie auf »Yes, Every Africa Must Be Free Eternally«, dann mit der Attitüde von The Fall und tatsächlich der Stimme von Mark E. Smith auf »Say It Loud, I'm Dilettante, I'm Proud« . Musik, die nichts beweisen will. Gibt es ja heute kaum noch.

Sebastian Hinz   Zur Review
Rosa Anschütz
Interior
Klangbad • 2024 • ab 23.39€

Mit »Interior« baut sich Rosa Anschütz ihr Versatzstück musikalischer Geborgenheit: Eine kleine Höhle, in der Verletzlichkeit als Ode an die Vergänglichkeit durch die Gewölbe hallt. So sehr wir uns das Gestern manchmal zurückwünschen, so sehr zeigt uns Anschütz, wie wir es uns auch mit dem Morgen vertrösten können. Dabei taucht die Berliner Künstlerin in ihrem dritten Soloalbum Aphorismen in tiefe Soundbecken und füllt damit das Innenleben mit bittersüßer Melancholie: Zwischen den Tracks zerfließen die Sekunden.

Ania Gleich   Zur Review
ScHoolboy Q
Blue Lips
Interscope • 2024 • ab 38.99€

Vielleicht hat es die Pause von 5 Jahren gebraucht, in der Q einer halbprofessionellen Golfkarriere nachging oder seiner Tochter am Spielfeldrand als »Soccer Dad« zujubelte. Denn selten zuvor hat man ScHoolboy Q so befreit gehört, wie auf »Blue Lips«. Im Vergleich zum uninspirierten Vorgängeralbum (»CrasH Talk«) ist der Sound deutlich vielschichtiger, teils collagenhaft gestaltet. Auf aggresive Trap-Achterbahnen folgen Stücke mit sanften Soul- und Jazz-Einflüssen. Das fesselt enorm und lässt Hörer:innen besonders auf eindringlichen Schlüsseltracks wie »Blueslides« oder »Cooties« andächtig an Qs blauen Lippen kleben.

Benjamin Mächler   Zur Review
Shabaka
Perceive Its Beauty Acknowledge Its Grace
Impulse • 2024 • ab 25.99€

Das Wunderkind des »neuen« britischen Jazz hat das Saxofon an den Nagel gehängt und konzentriert sich auf traditionelle asiatische und südamerikanische Holz- und Bambusflöten. »Perceive Its Beauty, Acknowledge Its Grace« ist eine Sammlung von mysteriös verspielten Meditationen, die Shabaka Hutchings kreative Kraft und den Spiritual Jazz allgemein in einem anderen Licht erscheinen lassen. Unter den vielen Gästen: André 3000, dessen eigenes Flötenalbum »New Blue Sun« kurz vorher herausgekommen ist.

Ania Gleich   Zur Review
The Cat's Miaow
Skipping Stones: The Cassette Years '92-'93
World Of Echo • 2024 • ab 27.99€

World of Echo arbeitet auch in diesem Jahr systematisch an der Aufarbeitung der Musik von The Cat's Miaow und den Bands aus ihrem Umfeld (Hydroplane, The Shapiros und viele mehr). Allen gemeinsam ist, dass sie in den Neunzigern von Melbourne aus Songs auf Kassette aufgenommen haben, meist im kleinen Rahmen, einfach und pur. »Skipping Stones« versammelt 35 Songs von The Cat's Miaow aus den Jahren 1992 und 1993, allesamt kleine Hits.

Sebastian Hinz   Zur Review
Tujiko Noriko
From Tokyo To Naiagara
Keplar • 2003 • ab 24.99€

Die Japanerin Tujiko Noriko hat vor allem in den frühen 2000ern avantgardistischen Electro-Pop mit knarzig-knuspriger Electronica verkuppelt. Manche Leute sollen sich damals sogar nicht dafür geschämt haben, das als Indietronica zu bezeichnen. Der Meilenstein dieser Zeit, »From Tokyo To Naiagara«, der in diesem Jahr erstmals Vinyl zu sehen bekam, verhöhnt jeden Björk-Vergleich mit seinen wunderbar-verqueren Pop-Fragezeichen. Wie sie hier die schönsten Melodien von der Seite anzickt und mit frickeligem Noise überschüttet, verdient auch 20 Jahre später Applaus.

Christopher Hunold   Zur Review
Ulla & Ultrafog
It Means A Lot
Motion Ward • 2024 • ab 23.74€

Shoegaze-Gitarrenriffs, einige wenige Subbässe, dazu aufschnellende und gedrückte Vocals reichen aus, eine einnehmende Atmosphäre aufzubauen. »It Means A Lot« von Ulla & Ultrafog erinnert an einen surrealen Sommertraum, an dem die Sonnenstrahlen durch die breite Baumkrone dringen. Gespickt mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und müheloser Souveränität ebnet »It Means A Lot« den Weg für eine neue Art der intimen Musik, die in ihren minimalistischen Facetten nicht vielseitiger sein könnte.

Moritz Weber   Zur Review
Various Artists
Braindance
Die Orakel • 2024 • ab 15.99€

Es braucht wohl schon ein bisschen Mumm, eine Compilation ernsthaft »Braindance« zu traufen, und wir können nur hoffen, dass die Inbox von Die Orakel nicht mit Hassmails von Rephlex-Fanatics zugespammt wird. Andererseits gibt es darauf wahrscheinlich eine Menge Material, das zumindest die »Selected Ambient Works«-Ultras zu schätzen wissen. Acts aus dem Label-Roster wie n9oc und O-Wells zeigen sich in Topform, während Beiträge von upsammy und Katatonic Silenio das Ganze noch weiter abrunden. Schade nur, dass lediglich die eher Dancefloor-kompatiblen Stücke von Dana Kuehr, Benjamin Milz, Reptant und Poly Chain es auf die Platte geschafft haben – diese Ansammlung buchstäblich zukunftsorientierter elektronischer Musik wäre den Preis eines 3LP-Sets schon wert gewesen.

Kristoffer Cornils
Various Artists
Congo Funk! Sound Madness From The Shores Of The Mighty Congo River (Kinshasa/Brazzaville 1969-1982)
Analog Africa • 2024 • ab 34.99€

Guys, die große Afrika-Müdigkeit (musically) ist überwunden! Nachdem der Markt für ein paar Jahre übersättigt war, hat das Herz wieder Platz für unwiderstehliche Grooves vom Mutter-Kontinent. Die schon so mitreißend betitelte Compilation »Congo Funk! Sound Madness From The Shores Of The Mighty Congo Rive stürmt diesen Platz im Nu. Vier Seiten, nur Killer, die beste Alternative zu Deutschland.

Pippo Kuhzart   Zur Review