Weber sitzt in seinem jadegrünen Musikzimmer und kämmt sich durch den Bart. »Schon in der musikalischen Früherziehung wollte ich nie mitsingen, sondern immer auf den Bongos spielen. Das hab ich einfach gefühlt und die Erzieherin auch. Sie meinte zu meinen Eltern, so ein außerordentliches Rhythmusgefühl – der Tilo müsste unbedingt was mit Schlagzeug machen!«
Heute spielt Weber neben Altstar David Friedman, bei Y-Otis, zum Flötenquartett, mit Vibraphon und Vokalduo, zwischen Barock und sogenannter Gegenwart. Die Karriere am Kit wäre aber fast an den Eltern gescheitert. »Ich bin in einem Reihenhaus in Aachen aufgewachsen, da sollte niemand Lärm machen«, so Weber. »Mein Vater war außerdem aus der Generation von The Who, der kannte nur Rockdrummer und keinen Jazz. Deshalb waren Drums erstmal kein Thema für mich, bis mein Onkel meinte: Wir mussten früher alle Klavier lernen, obwohl wir keinen Bock drauf hatten. Macht das doch nicht auch mit Tilo!«
Haltbarkeit durch Zurückhaltung
Der Bub bekam ein Plastikschlagzeug. Das war nach ein paar Wochen Tilo nur noch Plastikmüll. Die Eltern setzten auf Nachhaltigkeit und ihren Sohn hinter »ein richtiges Drumset«, wie Weber sagt. »Später bekam ich Unterricht beim Sohn meiner musikalischen Früherzieherin – ein richtiger Jazzdrummer. Er hat mich als Teenie an diese Musik herangeführt, weil er gespürt hat, dass mich das Schlagzeug ästhetisch interessiert und ich nicht der ausgeprägte Rocker bin.«
Während bei anderem in seinem Alter die aktuellen Bravo Hits lieften, hörte Weber Aufnahmen von Elvin Jones oder Brian Blade. Die hätten nämlich eine »eigene Klangkultur« gehabt. »Sie konnten nur Viertelnoten auf einem Ridebecken spielen und es klang wahnsinnig toll.« Gepackt habe ihn das auch, weil er gemerkt habe, dass sie dadurch die Musik ganz ausdrücke – »und zwar am Schlagzeug«, betont Weber. »Ein Instrument, das alles zumüllen kann, haben sie aufs Äußerste reduziert.«
»Ein Instrument, das alles zumüllen kann, haben sie aufs Äußerste reduziert.«
Tilo Weber
Während seines Studiums am Jazz Institut Berlin und bei John Hollenbeck habe er ebenfalls gelernt, »musikdienlich« zu spielen, sagt Weber. »Zumindest versuche ich seither immer, mein Ego zurückzuschrauben. Weil ich überzeugt bin, dass die Kunst davon profitiert, wenn man nicht alles an sich reißt.« Selbst wenn Weber also, wie 2022, zu Rilkegedichten trommelt, nehme er sich am Schlagzeug so weit zurück, dass die Musik »für sich sprechen«, in eine »Beziehung zur Umwelt« treten könne.
Jede Farbe stehe ihm zwar nicht, doch: Er probiere gerne rum. Deshalb seien alle Zimmer seiner Wohnung in einer anderen Farbe gestrichen. Deshalb finde man in seinem Kleiderschrank keine schwarze Tristesse. Immer gehe es ihm um den farblichen Ausdruck: im Spiel, im Style, in seinem Drive zur Komposition. Mit seiner Band, den Fauns, erscheint demnächst das zweite Album. Für das Projekt »Tesserae« hat er zuletzt sogar für ein uraltes Cembalo komponiert.
Die Stöcke, die die Welt bedeuten
Begonnen habe Weber mit dem Komponieren »relativ« spät. »Als Teenie habe ich mich gegen das Klavier gewehrt, später mehr schlecht als recht durchs Studium gequält.« Erst aus seiner Not, immer nur Sideman zu sein, habe er begonnen, eigene Stücke zu schreiben. »Das war ein Erleuchtungsmoment, weil ich gemerkt habe, wie stark ich mich darin ausdrücken kann. Stärker noch als im Schlagzeugspiel.«
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Weber bezeichnet sich als »Ausprobierer«, als »Tüftler«. Seine Musik funktioniere nicht sofort. Sie sei »ergebnisoffen«. Etwas zu wiederholen, das einmal funktioniert habe, mache keinen Sinn. Sich ständig zu erneuern, schon. Das könne zwar ob Stress schon mal zu einer Panikattacke führen – schließlich erweitere er sein Musikzimmer neben dem bewährten Vibraphon gerade um ein importiertes Gamelan. »Sobald ich die Stöcke in den Händen halte, geht es aber wieder, weil: Das Schlagzeug ist halt wirklich mein Instrument!«