Hamburg im September 2007. Sternschanze. Da stehe ich nun also seit fünf Minuten, und plötzlich ein erhöhtes Aufkommen türkischer Mitbürger, die sich allesamt vor dem Eingang der S-Bahn-Station versammeln. Gut 30 bis 40 Leute stehen da nun und werfen mir, einem typisc deutschen Jugendlichen, einschüchternde Blicke zu. Als Denyo dann pünktlich zum Interviewtermin eintrifft, fühle ich mich, auch wenn man es sich kaum eingestehen will, etwas erlöst. Klar, eine Nonsens-Reaktion meinerseits, die zeigt, dass das Denken in Klischees und Vorurteilen in jedem auch noch so toleranten Menschen von Grund auf vorhanden ist. Was gibt es also passenderes als sich mit Denyo über »Leroy« zu unterhalten, einen Film, der vor Vorurteilen und Klischees nur so strotzt und mit einigen aufräumt. Zudem wartet »Leroy« mit einem genialen, funkigen Soundtrack voller Exclusives von Curse, Nico Suave, Clueso, Torch, Blumentopf uva. auf, bei dem sich Denyo als musikalischer Leiter verantwortlich zeigte. Genug Gründe also für ein ausführliches Gespräch.*
Du hast bei dem Leroy Soundtrack als musikalischer Leiter agiert, wie kamst du zu dieser Position?
Denyo: Ich hab den Vorabfilm von »Leroy« gesehen (Kurzfilm, ca. 20 min) und fand den ganz lustig. Vorher hatte ich dann auch noch eine Anfrage bekommen einen Text zu schreiben, der im geplanten Langfilm Verwendung finden sollte, was ich dann auch gemacht hatte. Die suchten bereits seit einem halben Jahr nach verschiedensten Künstlern und hatten wohl keinen so richtig gefunden, der das so umgesetzt hat, wie die sich das vorgestellt hatten. Deswegen waren die dann auch sehr glücklich, als die meinen Text hatten, weil der denen gut gefiel. Ich meinte dann einfach so: »Wenn euer Musicaldirector noch irgendwie Fragen zum Text hat oder wer den einsingen soll und wie man den am besten einsingen soll, dann kann er mich gerne anrufen.« Daraufhin meinten die dann so, dass sie gar keinen haben und so kam dann eins zum anderen, da die komplette Musik im Blaxploitationstyle war, fand ich das auch alles ziemlich geil. Das brachte mich dann auf die Idee bzw. war die Idee schon vorhanden, einen Soundtrack mit deutschen Hip Hop Künstlern zu machen, der aber trotzdem weitestgehend so ein bisschen Soul hat. Wir haben uns dann recht schnell mit four music getroffen, die das Ding sofort eingetütet haben und dann ging es für mich daran die Künstler anzurufen und denen vom Konzept zu erzählen. Die liveDEMO Band aus Berlin, die ich schon von früher kannte, haben dann ziemlich viel vom Soundtrack eingespielt und die passten auch gut darein, weil die meiner Meinung nach sowas wie die deutschen Roots sind und einmal im Monat ein Event machen, zu dem jede Menge nationale und internationale Künstler aus den Bereichen Black/Urban hinkommen und dann live mit denen jammen. Die fanden das auch sehr geil und so hat sich das dann entwickelt.
Habt ihr euch die liveDEMO Band dann zu euch ins Studio geholt mit denen die Sachen ausgearbeitet und die, das dann einspielen lassen, oder wie lief das?
Denyo: Schlussendlich waren wir zusammen im Studio und haben das alles eingespielt, das ist klar. Aber vorher hatten verschiedene Leute bestimmte Ideen. Torch hat sich z.B. mit der liveDemo Band getroffen und das dann umgesetzt, was er im Kopf hatte. Bei Afrob war es genau das Gleiche, aber da hat das dann nicht so richtig geklappt und deswegen hat er dann auch was neues gemacht. Der Suavebeat ist auch zusammen mit der liveDemo Band entstanden, jedoch hatten dazu die Jungs von Bock auf’n Beat schon einen kleinen Beat gestrickt, das war alles ein hin und her. Letzen Endes waren wir dann auch bei den Beathoavenz, die einen Beat hatten, der komplett fertig war, bei dem die Bläser z.B. jedoch zu synthiemäßig klangen, da haben wir uns dann nochmal neue Bläser gesucht, die das nachgespielt haben.
Aber du hast jetzt keine kompletten Songs geschrieben und den Musikern, dann Noten gegeben, die sie nachspielen sollten, oder?
Denyo: Nein, das nicht. Das waren wie gesagt Beats, die irgendwie in irgendeiner Form vorher da waren. Die wurden von verschiedensten Leuten produziert, vieles von den Bock auf’n Beat Jungs, einen haben die Beathoavenz beigesteuert, ich hab was beigesteuert und einige andere Produzenten haben da auch noch einen Beat beigesteuert. Ich war da also mehr so der executive Producer, hab halt geguckt was geht und das Beste draus gemacht. Teilweise haben die Künstler wie z.B. Curse oder Clueso mir aber auch richtig gute, komplett fertig produzierte Songs abgegeben, was soll ich da noch verändern?
Das Konzept war doch eigentlich alles live einzuspielen, aber dann habt ihr teilweise ja doch den Computer benutzt.
Denyo: Ja, auf jeden Fall, das ist alles querbeet, ein Mix aus live und Dose. Mal so mal so. Der angesprochene Torchsong ist komplett live und der Cursesong ist komplett Beat. Ich hätte das auch sehr geil gefunden, wenn wir alles live gemacht hätten, aber es handelt sich nun mal um einen Soundtrack und nicht um ein Album.
Nach was für Kriterien wurden die Künstler ausgewählt?
Denyo: Erstmal hab ich geguckt, um was für einen Künstler es sich handelt und ob der cool ist oder nicht, sowas kann man ja auch schnell entscheiden. Anschließend musste bei dem Künstler angefragt werden, ob der Bock hat oder nicht. Zudem kommt der Soundtrack bei four music raus und da habe ich dann natürlich auch Sachen zugespielt bekommen, wobei ich viele Sachen auch selber klar gemacht habe, ist doch klar, ich kenn ja auch viele. Und aus diesem Pool hab ich dann die genommen, auf die ich Bock hatte, von denen ich mir gedacht hatte, dass sie auch dem Film etwas geben können. Hätte ich Azads Telefonnummer gehabt, hätte ich ihn auch gefragt, aber die hatte ich halt nicht und ich weiß auch nicht, ob er das gemacht hätte. Aber es gab ein paar Stellen zu denen er gut gepasst hätte.
Wurde den Künstlern denn irgendwie ein grobes Thema vorgegeben, zu dem sie was schreiben sollte, oder wie lief das?
Denyo: Ich glaube das war für alle eine ganz coole Situation, weil viele Bock hatten was mit Filmleuten oder für einen Film zu machen. Ich habe dann einfach verschiedene Szenen rumgeschickt, in denen Musik vorkommen sollte. Vorher musste ich mir natürlich überlegen, welcher Künstler zu welcher Szene passen könnte.
In einer Szene ist Leroy z.B. ziemlich down, da klappt bei ihm gar nichts und dann läuft er durch Berlin und ist sehr nachdenklich, da hab ich mir gedacht, dass das die perfekte Szene für Curse ist, weil er genau so eine Stimmung aufgreifen kann. Da wäre es dann nicht gegangen so ein funky Ding zu spielen, sondern da brauchte man einen deepen Track und den hat er dann auch genau so gemacht. Aber jeder hatte trotzdem die Möglichkeit, wenn ihm die Szene nicht gefiel Musik für eine andere Szene zu machen. Es war auch einfach anderes Arbeiten und das hat die Leute sehr geflasht. Sonst denkst du dir halt: »O.k. ich mach jetzt einen Song, weil ich mich grade so und so fühle.«, da hat man dann eine ganz andere Inspiration und bei dem Soundtrack mussten die Leute halt zu einer Szene, die ihnen gefiel einen Song schreiben, der auch dazu passt.
Musstest du dann auch aussuchen in welchen Szenen Musik gespielt wird, oder hat dir das jemand vorgegeben?
Denyo: Nein, ich bin ja nicht der Filmkomponist. Ich hab den Film diverse Male gesehen und mich dann irgendwann mit dem Filmkomponisten getroffen, nochmal zusammen den Film angeguckt und überlegt, wo es wichtig ist, dass nur Musik gespielt wird, die er komponiert hat und wo bestimmte Szenen sind, in denen ein Sänger oder Rapper was machen soll. Diese Stellen haben wir dann rausgeschnitten und ich konnte die dann an die verschiedensten Leute verteilen, per mail oder wie auch immer. Im Dezember haben wir auch ein Vorabscreening gemacht, bei dem man dem Film gucken konnte und ich an den Stellen, an denen ein Künstler kommen sollte, einfach irgendeine Musik druntergepackt habe, die irgendwie in die Richtung ging oder halbwegs gepasst hat.
Damit die Leute auch wussten, welches die relevanten Stellen sind.
Bei Filmen ist es ja meistens so, dass nur die Instrumentals ausgespielt werden und die Vocals, wenn überhaupt, nur kurz Verwendung finden, wie war das bei Leroy?
Denyo: Das kommt drauf an. Teilweise ist das so, aber meist werden die Songs schon so 30 Sekunden bis 1:30 Minuten gefeaturet und es wird auch jeder Song vom Soundtrack verwendet.
Also ist es jetzt nicht so, dass der Film was Musical-artiges hat?
Denyo: Nein, das wäre auch scheiße gewesen. Die Sachen sind halt einfach geil eingebaut, das kommt schon cool, gepaart wird das Ganze dann mit vielen funkylicks, die auf dem Soundtrack nur angedeutet sind. So ergibt sich eine gute musikalische Mischung, die dem Film auch sehr gut tut, weil er dadurch eine gewisse Souveränität bekommt. Im Film geht es inhaltlich nicht um Musik, aber die Musik spielt trotzdem eine wichtige Rolle.
Wenn im Film so viele funky Licks vorkommen, warum sind dann bloß 3 auf dem Soundtrack?
Denyo: Das liegt daran, dass es meiner Meinung nach sonst zu viel geworden wäre. Es sollen schon richtige Songs sein, die man hören kann. Aber zwischendrin werden dann halt paar licks eingestreut, um den roten Faden wieder herzustellen, da ja nicht alle Songs so soulmäßig sind.
Du hast bereits gesagt, dass du den Vorfilm ganz gut findest, wie gefällt dir denn der Hauptfilm?
Denyo: Ich find den auf jeden Fall ganz gut, aber der Vorfilm gefiel mir ein wenig besser. In beiden Filmen gibt es die selbe lustige Handlung und zwar geht es um Leroy, einen Farbigen aus Berlin, der sich in Eva verliebt, die blond ist und deren Brüder alle Skinheads sind. Aber im Vorfilm kamen einfach ein paar Sprüche vor, die ich persönlich geiler fand, die dem Film auch ein wenig mehr Schärfe gaben. Trotzdem weiß ich ganz genau, dass die Leute den Langfilm lustig finden werden, weil er auch einfach lustig ist. Das ist ja jetzt auch nicht irgendwie La Haine oder so, sondern eine Komödie. Aber er ist trotzdem auch wertig und das ist für mich das Geile an dem Film, denn du gehst aus dem Kino raus und musst dir zwangsweise Gedanken machen, wie du persönlich das alles siehst. Also was ich über den täglichen Rassimus/Faschismus denke, ob ich nicht sogar selber irgendwie, wenn es auch nur ein bisschen ist, in die Richtung denke und sowas halt. Im Film werden auch nicht nur die Deutschen als Rassisten dargestellt. Leroys bester Freund ist z.B. Halbgrieche und da bringen die dann auch einige Sprüche untereinander. Der Film spielt mit vielen Klischees und Vorurteilen, und hat nichts mit dem Rassismusfilm bei arte zu tun, den man guckt und sich dann denkt: »Nicht schon wieder, da hab ich jetzt keinen Bock drauf.« Leroy ist einfach ein lustiger Film, der trotzdem zum Nachdenken anregt. In einer Szene z.B. denkt Leroy, dass vor ihm ein Skinhead steht, weil er total auf dem Skinheadparafilm ist und dann kommt da ein anderer Typ, der auch eine Glatze hat und dann küssen sich die beiden, es stellt sich also heraus, dass die schwul sind, was ja fast das Gegenteil ist.
Wie siehst du denn Rassismus aus deiner Sicht?
Denyo: Da gibt es 2 verschieden Arten von Rassismus. Einmal gibt es den gefährlichen Rassismus, das heißt, dass z.B. 5 Inder im Osten zusammen geschlagen werden. Dieser gefährliche Rassismus herrscht auch in Zonen, in die Touristen nicht gehen sollten, weil da ganze Dörfer rechts sind und die sonst zusammen geschlagen werden würden. Gegen diesen gefährlichen Rassismus, der Leute körperlich schwer verletzt oder sogar tötet, muss man kämpfen. Zudem gibt es diesen unterschwelligen Rassismus, den jeder in irgendeiner Form hat. Aber da muss man dann auch tierisch aufpassen, dass das nicht Überhand nimmt. Den kann der Türke gegenüber dem Schwarzen haben, der Schwarze gegenüber dem Türken, der Deutsche gegenüber dem Griechen, oder umgekehrt, das ist schon L.A. Crashmäßig. Jeder hat Vorteile gegenüber jedem und dadurch entsteht ein großes Chaos. Sowas greift der Film auch ein bisschen auf und zeigt, dass man sich von den Vorurteilen befreien und ein bisschen locker machen sollte.
Hast du selber Erfahrungen mit Rassismus gemacht?
Denyo: Sicherlich habe ich auch meine Erfahrungen mit Rassismus gemacht, aber ich würde das jetzt nicht überbewerten. Ich stand zwar auch schon mal am Rathausmarkt hier in Hamburg vor Hooligans, die mich schlagen wollten, aber die hätten genau so versucht dich zu schlagen, es sei denn du rasierst dir eine Glatze, dann würden sie dich wahrscheinlich nicht schlagen. Aber da ist dann auch die Frage inwiefern das Rassismus ist, es ist einfach schrecklich, dass es sowas gibt. Aber ich bin auf jeden Fall ein Glückskind aus Hamburg, ich komme zwar jetzt nicht unbedingt aus einem reichen, aber doch aus einem recht normalen Viertel und konnte dem Ganzen dementsprechend gut aus dem Weg gehen, zumindest dem gefährlichen Rassismus, den anderen Rassismus gibt es tagtäglich. Jeder Hip Hopper meint ja auch von sich aus, dass er antirassistisch ist, aber guck dir doch mal die ganzen Texte an, da wird mit so Sätzen wie »Ey nigga«, »Ey du bist schwul« etc. doch nur so um sich geworfen. Das ist das Allerletzte und hat mit freiem Denken nichts zu tun.
Hast du dann auch diese Brothers Keepers Petition unterschrieben, die sich ja besonders gegen den Gebrauch des Wortes Neger in B-Tights Texten zur Wehr setzte?
Denyo: Nein das hab ich nicht gemacht, weil ich damit nicht zu 100% down bin. Man kann über das reden, was B-Tight sagt und das auch scheiße finden, aber diese Kampagne von den Brothers Keepers geht schon so in Richtung Zensur. Ich glaub die hätten das am liebsten gehabt, wenn B-Tight zensiert werden würde. Ich finde jedoch, dass man sich damit genau so lächerlich macht wie der Staat, der versucht zu zensieren, anstatt in den Problemvierteln mal was zu ändern, oder den kids mal Alternativen zu Schlägereien zu geben. Denn es gibt einfach viele Viertel in denen die meisten nicht wissen, was sie machen sollen, die können da weder großartig weggehen noch Sport treiben oder sonst irgendwas.