Der Mann aus Louisville, Kentucky, ist wohl einer der am meisten übersehenen und unterschätzten Musiker der letzten 35 Jahre. Im Stillen hat David Pajo an mehreren Entwicklungen der modernen Rockmusik mitgewirkt. Aufgewachsen in der Punk- und Hardcore-Szene seiner Heimatstadt, musste aufgrund der ungeraden Takte seiner Band Slint Ende der 1980er/Anfang der 1990er ein neues Genre erfunden werden: Math-Rock. Von 1995 bis zum Album »TNT« (1998) war er dann Gitarrist bei Tortoise in Chicago und verhalf damit einem weiteren neuen Genre zum Durchbruch: Post-Rock.
Es folgten die kurzlebige Supergroup Zwan mit Billy Corgan, Matt Sweeney, Jimmy Chamberlin und Paz Lenchantin sowie Children’s Hour mit Josephine Foster und Andrew Bar. Wie verdammt gut David Pajo Gitarre spielen kann, bewies er auch als Live-Musiker für so unterschiedliche Bands wie die Yeah Yeahs Yeahs, Royal Trux, King Kong, Stereolab und Interpol sowie in unzähligen Line-Ups mit Will Oldham oder Bonnie »Prince« Billy, der bekanntlich auch aus Louisville stammt.
Alive and kickin‘
Und dann sind da noch seine Solowerke als Papa M oder Aerial M oder M is the 13th Letter, in denen David Pajo auch sein Talent als Sänger und Songwriter unter Beweis stellt. Sanft, soulful und zurückhaltend präsentiert sich der introvertierte Melancholiker meist, so dass man kaum glauben kann, wie tough er eigentlich ist und was Pajo schon alles durchgemacht hat: Er kämpfte mit Heroinsucht und Depressionen, überlebte erst einen Selbstmordversuch und kurz darauf einen schlimmen Motorradunfall. Wegen der Unfallfolgen musste er ein Dutzend Operationen über sich ergehen lassen und saß zwei volle Jahre im Rollstuhl.
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Zum Glück griff er bald wieder zur Gitarre und meldete sich 2016 nach zwölf Jahren Pause mit dem rau-grungigen Album »Highway Songs« zurück, dem zwei Jahre später das rein akustische Pendant »A Broke Moon Rises« folgte. Nun steht mit »Ballads of Harry Houdini« die nächste Veröffentlichung bevor. Und die »Peel Sessions« von Aerial M wurden ebenfalls veröffentlicht. Gründe genug, ihn zu fragen, welche zehn Platten ihn durch sein bewegtes Leben begleitet haben.
David Pajo: Ein Album für die einsame Insel, auf jeden Fall. Wenn man für den Rest seines Lebens an ein einziges Album gebunden ist, dann sollte es eines mit Halluzinogenen sein.
RedaktionDavid Pajo: Für missverstandene junge Männer und Frauen gab es in den frühen 1980er Jahren kaum etwas, was den Unmut über die eigene Umgebung ehrlicher und ohne Schnörkel und zusätzliche Schimpfwörter ausdrückte als Minor Threat!
RedaktionDavid Pajo: Als ich Jimmie Rodgers zum ersten Mal hörte, hatte ich das Gefühl, die geheime Zutat von Hank Williams gefunden zu haben. Ich tauchte tief in die Musik ein und kam nie wieder davon los.
RedaktionDavid Pajo: Ich bekam das Album, als es neu herauskam, und was für eine Überraschung! War es Albini oder Thurston, der so etwas sagte wie: »Die Kreuzen waren 1984 die beste Band der Welt«? Sie waren ein Genre für sich. »All White« klingt wie Black Metal der zweiten Welle, gut sieben Jahre bevor es diesen Sound gab. Eine der wenigen »Hardcore«-Bands, die ich heute noch aus Vergnügen spiele. Der Sänger unserer Slint-Vorgängerband, Maurice, beschrieb unseren Sound als eine Mischung aus Ride the Lightning, Metallica, Die Kreuzen und Void.
RedaktionDavid Pajo: Wenn man 1985 nicht von Big Black und ihrem großartigen Strom an EPs und Singles überzeugt war, dann war man es spätestens mit dem Erscheinen von »Atomizer«. So etwas hatte ich noch nie gehört, und der Sound war so fremd und distanziert. Genau so wollte ich es haben.
RedaktionDavid Pajo: Es gab eine Reihe von Platten, die mich dazu brachten, auf cleane Gitarren umzusteigen, zu einer Zeit, als cleane Gitarren nur etwas für Weicheier waren. Philip Glass' »Mishima«, alles von den Minutemen und dieses Album. Ich konnte mich mit ihren Wüsten-Stoner-Vibes identifizieren. In ihren Interviews aus dieser Zeit ging es immer um den nächsten Zu aus der Bong!
RedaktionDavid Pajo: 1995 bei Tortoise einzusteigen und nach Chicago zu ziehen, war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Ich wurde mit einer Lawine großartiger Musik konfrontiert, die ich in Louisville nicht gehört hatte. Bis heute ist es das Krautrock-Album, das ich am meisten spiele.
RedaktionDavid Pajo: Tortoise haben mich auch auf dieses Album aufmerksam gemacht. Ich wusste, dass er sich in die Richtung von Jimi Hendrix und James Brown bewegt hatte, aber dummerweise habe ich mich nie damit beschäftigt. Wieder ein Album, das einen neuen Stil der Selbstdarstellung erfand. Ich verschlinge alles, was Miles in den fünf Jahren um diese Platte herum geschrieben hat. Die Speedball-Grooves sind so dick und satt, dass man beim Zuhören praktisch in Dilaudid getränkt wird.
RedaktionDavid Pajo: Hank Williams war der erste Country-Sänger, der mich zum Weinen gebracht hat. Danach ist man verloren - man mag Country-Musik und kann sich damit identifizieren. Gott bewahre!
RedaktionDavid Pajo: Ich habe irgendwo eine Blind Willie Johnson 78er im Lager. Ich habe auch irgendwo eine Victorola aus den 1940er Jahren. Einmal habe ich diese 78er auf dieser Victorola gespielt, als ich allein im Haus war. Das werde ich nie vergessen.
Redaktion