Unter den abertausenden derzeit global operierenden Labels nimmt Dais Records nach wie vor eine echte Sonderstellung ein, sowohl ästhetisch als auch historisch. Von Industrial-Legenden bis zu postmodernen Rap-Combos, von Darkwave bis Post-Punk, Electropop bis Noise bündelt der Backkatalog des Hauses eine beachtliche Diversität unter konsistenter Kuration. Selbstverständlich ist das in Zeiten kultureller Kahlschläge schon lange nicht mehr, insbesondere nicht auf diesem durchweg hohen Qualitätsniveau.
Startschuss war ein morgendlicher Anruf im Jahr 2007, als Gibby Miller gegenüber seinem langjährigen Kumpel Ryan Martin einen irgendwie spontanen, irgendwie aber auch lange gereiften Gedanken äußerte: »Wir haben all dieses Material zur Verfügung, wir haben dieses Musiknetzwerk, wir haben die Leidenschaft und den Drive – lass uns ein Label starten«. Die Idee kam den beiden schon früher, doch an der Umsetzung haperte es immer. Viele kennen das. Ryan Martin war zu diesem Zeitpunkt an der Ostküste der USA bereits gut vernetzt, hatte sich als Jugendlicher seine Sporen in der Hardcore-Szene New Yorks verdient und immer wieder mal woanders reingeschnuppert: Leftfield-Mucke, Kunstbewegungen, Experimentelles im Untergrund. Miller wuchs in Boston auf, war als Shouter in Bands wie The Trouble oder Panic aktiv, zog aber dann nach L.os Angeles, um als Produktdesigner und Künstler (u.a. Louderbach) Fuß zu fassen, und traf seinen künftigen Kollegen im Winter 2002 bei gemeinsamen Freunden wieder. Schon 2003 begannen die beiden Platten zu tauschen, legten zusammen auf und dabei gleichzeitig den Grundstein für das, was Jahre später zu Dais werden sollte. Pläne gab es genug.
Wir sind offen gegenüber jeder Musik. Die einzige Bedingung ist, dass wir sie lieben.
»Wir hatten beide lange Listen von Alben, die wir gerne als Reissues bei anderen Labels gesehen hätten. Als Ryan dann eine Acetate Disc und ein Mastertape von Early Worm (Projekt von Genesis P-Orridge, prä-Coum Transmissions) in die Finger bekam, dachten wir: Eine bessere Gelegenheit unser Label zu starten wird es nicht geben«, erinnert sich Gibby im Interview. Gesagt, getan. Kaum ein Jahr später war das bis dahin nahezu unbekannte Material auf Vinyl veröffentlicht, mit freundlicher Genehmigung von P-Orridge selbst. Es folgten das Neofolk-Debüt von Cult Of Youth, frühe EPs der Darkwave-Combo Cold Cave und Alben von King Dude, aber auch Neues von Psychic TV, die von P-Orridge leise als PTV3 reaktiviert wurden. Ästhetik und Umfang des Label-Repertoires waren hier zwar schon erkennbar, allerdings nicht, in welchem Tempo Miller und Martin aufstrebende wie etablierte Namen ihrer Kollektion hinzufügen würden. Transgressiven Ideen und einem gewissen Kulturpessimismus verschrieben, wie er gerade in den frühen Achtzigern en vogue war, entwickelte sich Dais zielstrebig zu einer Safe Bank für Soundscapes, die Raves in maroden Kraftwerken ebenso untermalen könnten, wie BDSM-Clubs oder Wicca-Rituale im Wald.
Darunter fallen aber nicht nur neue Platten von Aaron Dilloway, Ragnar Grippe, Tor Lundvall, Drew McDowall oder Hiro Kone. Auch in Sachen Reissues lag der Fokus bei Dais schon früh auf kriminell unterschätztem Tongut der äußeren Randbereiche experimenteller Musik. So erschienen etwa Robert Turmans Industrial-Großtat »Way Down« (1987) und das kolossale »Will« (1983) von Hunting Lodge in wunderbarer Neuauflage. Gefolgt von schrägen Zeitdokumenten des späten William S. Burroughs auf »Nothing Here Now But The Recordings« (1981) oder diversen Coil-Reissues, denen Fans vielleicht bis heute hinterherlaufen würden, wenn Dais nicht »Time Machines« (2017), »Black Light District« (2018), »Worship The Glitch« (2018) und »Musick To Play In The Dark Vol. 1« (2020) in liebevoller Detailarbeit wieder aufbereitet hätte. »Die größte Herausforderung bei den Coil-Reissues war es, die Erwartungen der Fans zu erfüllen, musikalisch und visuell. Wir haben eine Menge dabei gelernt und hoffen, dass die Leute mit der Veröffentlichung zufrieden waren. Josh Bonati hat wie immer einen makellosen Job beim Mastering erledigt und wir haben eine Menge Zeit für das Cover aufgewendet, für das uns die ursprünglichen Software Renderings und die Artworks zur Verfügung standen«, hält Gibby fest. »Manche Erwartungen der Fans sind realistisch, andere aber auch einfach nur haarsträubend«, weiß Ryan zu ergänzen. »Schön zu sehen also, dass die Resonanz überwiegend positiv ist«.
Die dürfte auch deshalb so ausfallen, weil die beiden das eigene Label als eine Art Sammlung erachten, die keinen starren Regeln, sondern mehr einer kurativen Intuition folgt – so wie ein Plattengeek mit seinem Archiv verfährt. Dementsprechend passen aktuelle Veröffentlichungen bei Dais nicht selten auch zu anstehenden Neuauflagen wie Arsch auf Eimer, ohne einen dahinterstehenden, konkreten Plan. »Unabhängig vom Genre fügen sich unsere Reissues auditiv (ob beabsichtigt oder nicht) ganz gut ins aktuellere Programm, ja. Beispielsweise könntest du Tim Storys ›Threads‹ problemlos neben den jüngsten Sachen von Rafael Anton Irissari oder Tor Lundvall hören. Das führt auch wieder zu dem Gedanken, dass alles in eine Art › Kollektion‹ passt, die Sinn macht. Wir haben keine strikten Regeln für Kuration. Wir sind offen gegenüber jeder Musik. Die einzige Bedingung ist, dass wir sie lieben.«