»Oneirology« könnte man problemlos auch nur in der Instrumentalversion vertreiben. Denn ohne die Leistung der Rapper Deacon The Villain und Natti schmälern zu wollen, spielt Kno’s vielschichtige Produktion auf dem fünften Album der CunninLynguists die klare Hauptrolle. Die Truppe aus Kentucky ist zwar seit ihren Anfängen im Jahr 2000 bekannt für atmosphärische und melodische, oft melancholische Stücke, doch auf »Oneirology« setzt Kno neue Maßstäbe in Sachen Kombinationsfreude und Produktionsniveau. Die Dichte des Sounds ist erdrückend. Die Rapeinlagen wirken hier oft wie Beiwerk und haben dennoch nicht verdient, überhört zu werden.

Oneirology
Auf »Oneirology« wird nicht lange gefackelt: Der Zuhörer bekommt ruckzuck den unverwechselbaren CunninLynguists-Sound auf die Ohren, so wie er sich spätestens seit »A Piece Of Strange« aus dem Jahre 2005 entwickelt hat: Eine dichte Kulisse aus lang angeschlagenen Orgeln oder Keyboards, satte Drumsets, jede Menge Klavier, Gitarre, Scratches. Natti, Deacon und auch Producer Kno geben sich abwechselnd das Mikrofon in die Hand und bereichern die Tracks mit ihren metaphorischen Zeilen in smoother Stimmlage. Am Anfang des Albums hört man zuerst sehr solide Stücke.
Man neigt dazu, vor lauter Vielfalt auch mal was zu überhören, besonders die in den Zeilen versteckte Poesie. Sollte man aber nicht. Genau hin hören lohnt sich.
Vielleicht brauchen wir nach der Zeit des Wartens genau diesen Sound, um uns daran zu erinnern, was uns ohne die Cunninlynguists gefehlt hat. Nur herausstechen kann bis hierhin irgendwie nicht viel. Es fehlt noch das gewisse Etwas. Da helfen auch die auffallend vielen Gesangseinlagen und Vocalsamples nicht, die den Instrumentals eine für die Gruppe aus dem Süden doch recht ungewohnte Richtung geben. Denn bisher haben sich Lieder der CunninLynguists gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie ihren chilligen und atmosphärischen Sound auch ohne viel Gesang entfalten konnten. Weniger war hier oftmals mehr.
Träumen als Konzept
»Oneirology« braucht bis zum fünften Song, bis die Platte richtig an Fahrt aufnimmt. »Murder (Act II)« überrascht mit einem verspielten Synthesizer-Arrangement und reißt den Zuhörer erstmals aus dem bis dahin etablierten Sound-Dickicht. Danach geht es auf dem nur 2-minütigen »My Habit (I Haven’t Changed)« in Tiefen, wie man sie von Liedern wie »Mic Like A Memory« oder »The Gates« kennt. Die Single-Auskopplung »Stars Shine Brightest« mit Rick Warren, der die ohrwurmverdächtige Hookline übernimmt, macht dann spätestens klar, was man eigentlich schon weiß: Was die Cunninlynguists anpacken, hat Qualität! Die quiekende E-Gitarre kombiniert mit der smoothen und melodischen Bassline mag eines der besten Arrangements sein, die Kno in den letzten Jahren produziert hat und zeigt seine gereiften Fähigkeiten als Producer.
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Lässt man nun mal die überdurchschnittliche Produktion außen vor und hört sich nur die Texte an, kommt man nicht um das Wort Konzeptalbum herum. Durch die gesamte Lyrik des Albums zieht sich die Thematik des Träumens (Oneirology = Traumdeutung) wie ein roter Faden. Nicht nur die träumerische Instrumentalisierung und die ausgewählten Samples orientieren sich daran, auch die Lyrics greifen das Thema immer wieder auf. Obendrauf gibt es kluge Stücke wie »Hard As They Come (Act I)«, in dem die Rapper nacheinander in die Rollen von Ghetto-Killern schlüpfen: Crack, Alkohol und Aids.
Auf »Oneirology« ergänzen sich kluge und gelassene Reime mit einer bombenden, souligen und wahnsinnig dichten Soundlandschaft, die von der Qualität her problemlos an Werke wie »A Piece Of Strange« anknüpfen kann und die letzte LP »Dirty Acres« in die Tasche steckt. Man neigt dazu, vor lauter Vielfalt auch mal was zu überhören, besonders die in den Zeilen versteckte Poesie. Sollte man aber nicht. Genau hin hören lohnt sich. Man kann ja mit der Instrumentalversion anfangen.