Das Jahr 2010 könnte man musikalisch als das große Rauschen zusammenfassen. Mit alten Aufnahmegeräte der Popmusik den verklärten Charme vergangener Tage einzuhauchen, das war der Trend des vergangenen Jahres. Entscheidenden Anteil daran trugen zwei Genres: der Wonky-Sound von Amerikas Westküste, bei dem die unzählbare Schichten der wummernden Soundteppiche durch Schleif- und Störgeräusche und durch handgemachte MPC-HipHop-Beats zusammengehalten wurden, und die Chillwave-Bewegung, welche sich durch einen warmen, verwobenen Sound, durch das liebevolle Auseinanderfriemeln von Samples auszeichnete, die dann mit verstaubten Tonbändern bearbeitet wurden. 2010 erschien auch die Cyanide Sisters EP, die erste Veröffentlichung des Designers und Musikers Seth Haley als Com Truise. Die gängigen Musikportale versuchten diese in eine der beiden Sparten der Stunde zu stopfen. Tatsächlich besitzt Com Truise†˜ Sound die strahlende Wärme des Chillwave und die Drumdominanz des Wonky-Sounds. Doch ist die Musik des Produzenten aus New Jersey wesentlich klarer und verzichtet auf die große Lo-Fi-Rausche-Romantik und immer weiter wallende Sound-Kaskaden.
Kristallklarer Klang»Die Produktion hat sich entwickelt, der Sound ist immer noch warm, aber etwas dunkler und durchdachter. Die Ideen hinter dem Album sind einfach größer.«
Com Truise
Com Truise verwischt die Ebenen seiner Songs nicht, er stellt sie kristallklar nebeneinander. Es ist der Lieblingsspruch eines Designer der dem zu Grunde liegt: »Weniger ist mehr«. Vom Online-Auftritt bis zum Plattencover: Haley gestaltet alles selbst. Die visuelle Ästhetik fasziniert ihn und gleichzeitig inspiriert ihn das Bildliche zu seiner Musik. Haley empfindet es als Segen gleichzeitig visueller Künstler und Produzent zu sein. Das gehe für ihn Hand in Hand, sagt er. Auch seinem ersten Album Galactic Melt liegt diese Idee zu Grunde. Jeder Song des Albums soll »eine Art Interpretation einer visuellen Sequenz sein«. Das lose Konzept des Albums ist eine Weltraummission zur neu entdeckten Galaxie »Wave1«. Jedoch will er, dass der Hörer selbst ausarbeitet, was er hinter den schimmernden Synthies, den hellen Snare-Drums und Lazer-Blubbern sieht. Com Truise hat längst die Bilder im Kopf, bei ihm kommen sie noch bevor der erste Ton programmiert wurde. Er bemerkt, dass es ihm manchmal leichter fiele, den Sound zu sehen, bevor er genau bestimmen kann, wie er sich anhört wird.
Einfacher Glanz
Galactic Melt vereint wie schon die gefeierte Cyanide Sisters EP stotternden Wonky-Sound mit funky Disco-Glam, für den er die Inspiration aus »Musikbibliotheken, Filmmusik und jeglicher Musik aus den 80ern« bezieht. Dabei ensteht eine Mischung von Mid-Fi Synthies und beherrschenden Drum-Machines, die den speziellen Vibe zwischen Nostalgie und Zukunftsmusik erzeugen. Das sind Merkmale die auch schon die EP auszeichneten. Com Truise befindet selbst gelassen: »Es ist nicht der große Sprung zwischen den beiden Werken, Galactic Melt hat für mich den gleichen einfachen Glanz. Aber die Produktion hat sich entwickelt, der Sound ist immer noch warm, aber etwas dunkler und durchdachter. Die Ideen hinter dem Album sind einfach größer.« Und genau in dieser partiellen Weiterentwicklung, die sich nicht scheut einen klaren Trademark-Sound zu betonen, liegt vielleicht die Schnittmenge zur Arbeit als visueller Künstler: Wie dieser verleiht Seth Haley seinem Schaffen ein hohen Wiederkennungswert, entwickelt sich dabei aber im Detail weiter.