Colleen wählt 10 Platten, die sie geformt, gebessert und gebildet haben

19.10.2023
Das Geheimnis von Colleen ist, konsequent ihren eigenen Weg zu gehen. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie, die seit 2005 in schöner Regelmäßigkeit Platten veröffentlicht, seither nichts von ihrer Relevanz eingebüßt hat. Ganz im Gegenteil.

Cécile Schott alias Colleen entdeckte als 15-Jährige im Film »Tous les Matins du Monde« (»Die siebte Saite«) die Viola da Gamba, ein Barockinstrument, von dem es heißt, es sei von allen Instrumenten der menschlichen Stimme am ähnlichsten. Auf jeden Fall harmonierte es mit ihrer. Sie machte sich das Instrument zu eigen, stimmte es wie eine Gitarre, zupfte es, anstatt es mit einem Bogen zu bearbeiten – und schuf damit ihre eigene Klangwelt.

Nach und nach kamen neue Instrumente hinzu. Das Gamelan tauchte bei ihr auf, gut zehn Jahre bevor es zum guten Ton gehörte, es in die Musik zu integrieren. Immer wieder erfindet sich Colleen neu, erweitert ihren Blick auf die Musik, auf Komposition, beschäftigt sich mit Dub als Produktionstechnik, widmet sich intensiv der afrikanischen Musik, bringt Unerhörtes zum Klingen, macht Dinge einfach anders. Ein Album, »Colleen et les Boîtes à Musique«, bestand nur aus Samples und Loops, die sie Music Boxes und Drehdosen, die in den meisten Kinderzimmern der westlichen Welt zu finden sind, entnommen hat.

I read the news today, oh boy

Seit einigen Jahren hat Cécile Schott Synthezisers am Wickel und natürlich entlockt sie Geräten wie der Elka Drummer One, dem Roland RE-201 Space Echo, dem Moog Grandmother die unerhörtesten, intimsten, versöhnlichsten Töne. Colleen würde wahrscheinlich sagen, sie mache Musik, um dem, was sie nicht verstehe, einen Sinn zu geben. Uns lehrt sie das Hören.

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Soeben ist bei Thrill Jockey ihr neues Album »Le Jour et la Nuit du Réel« erschienen, ihr erstes rein instrumentales Album seit »Les Ondes Silencieuses« (2007). Die sieben darauf enthaltenen Suiten widmen sich, die des Französisch mächtige Leserin wird es bereits dem Titel entnommen haben, dem Tag und der Nacht, wobei sie die Stimmungen und Energien während eines Tageszyklus kaleidoskopartig auffächert. Wir fragten Cécile Scott nach 10 Schallplatten, die sie geformt, gebessert und gebildet haben.


Michael Jackson
Thriller
Legacy • 1982 • ab 27.99€

Colleen: Das erste Album, das ich als Album hörte, im Gegensatz zu den Singles, die im lokalen Radiosender meiner kleinen Heimatstadt gespielt wurden. Ich war sechs Jahre alt, als das Album 1982 herauskam, und mein Bruder und ich nahmen zunächst »Billie Jean«, »Beat It« und »Thriller« aus dem Radio auf eine der Kassetten auf, die wir mit dem tragbaren Kassettenrekorder der Familie aufnahmen: Auf den langen Fahrten zu den jeweiligen Familien meiner Eltern hörten wir das im Auto immer wieder, und ich versuchte mitzusingen, natürlich ohne Englischkenntnisse. Im nächsten Sommer besuchten wir einen älteren Cousin, der das Album auf Vinyl hatte, und ich erinnere mich genau, dass ich in seinem Schlafzimmer war, seine 7-Inch- und LP-Sammlung bewunderte und die Texte vom Album abschrieb.

Redaktion
Lee Perry & The Upsetters
Super Ape
Universal • 1976 • ab 18.99€

Colleen: Der andere prägende Sound meiner Kindheit, der Anfang der 1980er-Jahre durch eine Kassette, die meine Eltern an einer Autobahntankstelle kauften, unerwartet den Weg in meine Familie fand. Unglaublicherweise enthielt diese Compilation mit dem Titel »Kings of Reggae« einige der besten Lee Perry-Produktionen der drei Alben »Super Ape«, »Roast Fish Collie Weed And Corn Bread« und »Return of the Super Ape«. Ich bin mir heute absolut sicher, dass ich dadurch schon sehr früh ein Gefühl für die Macht der Produktionstechnik bekam, wenn auch nur auf einer unterbewussten Ebene, und dass dies wahrscheinlich auch meine Liebe zum Delay erklärt, dem Tool, ohne das ich nicht leben könnte.

Redaktion
The Beatles
1967-1970
Capitol • 1973 • ab 52.99€

Colleen: Auch bekannt als das Blaue Album, habe ich es - zusammen mit dem Roten Album - im Alter von 13 Jahren auf Kassette von einem Schulfreund ausgeliehen, der mir auch zum ersten Mal echte Instrumente zeigte (eine Hammond-Orgel und eine klassische Gitarre). Kurz zuvor hatte ich »A Day in the Life« auf dem »Imagination«-Soundtrack gehört, den mir ein anderer Schulfreund auf Vinyl geliehen hatte, und es war eine Erleuchtung, der Moment, in dem ich verstand, wie mächtig Musik sein kann, und der den Samen für meinen Wunsch legte, Instrumente zu spielen und Musik zu machen. Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis dieser Wunsch in Erfüllung ging, und in der Zwischenzeit hörte ich mir diese Alben immer und immer wieder an.

Sebastian Hinz
Low
I Could Live In Hope
Plain • 1994 • ab 33.99€

Colleen: Ein Album, das für mich sowohl musikalisch als auch persönlich von Bedeutung ist. Es entstand am Ende der ersten Phase meines musikalischen Schaffens, die sich auf Pop/Noise-Rock konzentrierte. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich »Words« zum ersten Mal im Radio hörte, in meinem Studio in Dijon, wo ich mit 18 Jahren Englisch studierte: Ich hörte den ersten Akkord und drückte schnell auf die Aufnahmetaste meiner Stereoanlage, weil ich spürte, dass dies etwas Besonderes sein würde. Es fühlte sich sofort wie etwas ganz Eigenes an, völlig unabhängig in seinem intensiven, gefühlvollen Minimalismus - zwei Eigenschaften, die ich in meiner eigenen Musik zu vereinen versuche. Ich hatte eine Kassette mit diesem Lied für meinen Bruder vorbereitet, um es ihm zu Weihnachten zu schenken, aber dazu kam es nie, weil er sich zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Albums das Leben nahm. Noch heute muss ich an diese Zeit denken, wenn ich das Album höre, aber das tut der einzigartigen Schönheit des Albums keinen Abbruch.

Sebastian Hinz
This Heat
This Heat
Piano • 1979 • ab 28.99€

Colleen: Es war wie ein Schlag ins Gesicht, als ich es 1995 zum ersten Mal hörte, vor allem als ich herausfand, dass die Aufnahmen zu diesem Album in meinem Geburtsjahr 1976 begonnen hatten. Bis heute ist es eines der gewagtesten Alben, die es gibt, eine einzigartige Mischung aus Schroffheit, Sensibilität, treibendem Rhythmus und Poesie, die sich weigert, sich zwischen Instrumentalmusik und Gesang, Akustik und Elektronik, Melodie und Experiment zu entscheiden - etwas, das ich absolut nachvollziehen kann.

Redaktion
Holger Czukay / Rolf Dammers
Canaxis
Sppon • 1969 • ab 49.99€

Colleen: Als ich mit der Arbeit an meinem ersten Album »Everyone Alive Wants Answers« (2003) begann, gab es zwei Alben, die meine Entscheidung, Sampling als kreatives Werkzeug zu verwenden, beeinflusst haben: Das ist das erste. Wenn man bedenkt, dass es 1968 aufgenommen wurde, ist es wirklich erstaunlich. Ich liebe die Arbeit von Can, aber es gibt etwas an diesem Album, das es zu einem absoluten Vorläufer für so vieles macht, was in den nächsten Jahrzehnten in der Musik kommen sollte.

Sebastian Hinz
Genius / GZA
Liquid Swords
Geffen • 1995 • ab 47.99€

Colleen: Dies ist das zweite Album, das mich zum Sampling gebracht hat. Als ich das erste Mal den Titelsong von »Liquid Swords« hörte, wurde ich von diesem unerbittlichen Akkord-Sample und der ultra-aufgeladenen Atmosphäre, die es erzeugte und die sich wie eine unaufhaltsame Maschine vorwärts bewegte, in meinen Bann gezogen. Wenn »Canaxis« mir die »expansive« Seite des Samplings zeigte, so zeigte mir diese spezielle Hip-Hop-Schule, wie ein kurzes Sample in ein messerscharfes Werkzeug verwandelt werden kann.

Sebastian Hinz
John Coltrane
My Favorite Things
Atlantic • 1961 • ab 29.99€

Colleen: Der Einfluss des Jazz auf meine eigene Musik ist kaum spürbar, außer in einigen wenigen Stücken - vor allem in »Les Ondes Silencieuses« und »The Weighing of the Heart«, besonders in den Stücken, in denen ich die Klarinette verwendet habe - aber der Jazz war definitiv ein starker indirekter Einfluss auf mich Mitte der 2000er-Jahre und Anfang der 2010er-Jahre, und John Coltrane war - wenig überraschend - einer der Musiker, zu denen ich mich am meisten hingezogen fühlte. Die Lektüre seiner Biografie hat mich ebenfalls tief beeindruckt und mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass ein tiefes Engagement für die Musik unerlässlich ist, wenn man über einen längeren Zeitraum Musik machen will.

Redaktion
Arthur Russell
World Of Echo
Audika • 1986 • ab 30.99€

Colleen: Die Entdeckung der Musik von Arthur Russell durch die fantastische Biografie von Tim Lawrence, die ich Anfang 2010 gelesen habe, war für mich wie eine Wiedergeburt als Musiker - zu einem Zeitpunkt, als ich mich in meinem musikalischen Tun völlig festgefahren fühlte. Ich erkannte, dass ich singen konnte, ohne traditionelle Popformen zu übernehmen, und dass ich mich nicht zwischen gesungener und instrumentaler Musik entscheiden musste. Und ich versöhnte mich mit der Verwendung von schweren Produktionseffekten, die ich einige Jahre zuvor, als ich eine minimalistische akustische Phase durchlief, irgendwie abgelehnt hatte.

Sebastian Hinz
African Brothers Band (International)
Tribute To D.K.
Kindred Spirits • 1980 • ab 12.99€

Colleen: Die Musik des afrikanischen Kontinents hatte und hat einen großen Einfluss auf die Art und Weise, wie ich meine Instrumente spiele. Ursprünglich bin ich Gitarristin und greife oft auf gitarrenbasierte Musik zurück, und für mich sind afrikanische Musiker:innen die absoluten Meister auf diesem Instrument. Es ist wirklich schwer, nur ein Album mit afrikanischer Musik auszuwählen, aber ein Favorit der letzten Jahre ist dieses Album der African Brothers Band aus Ghana: Mit ihren langen, freien Songs, den atemberaubenden Gitarren, Orgeln und Trommeln und dem klagenden Gesang ist es eine Musik, die bewegt und groovt, aber auch eine melancholische Note hat - eine Kombination, die ich auch in meiner eigenen Musik suche.

Sebastian Hinz