Chilly Gonzales – »Hip-hop’s piano player«

09.06.2011
Foto:Theda Schoppe
Das Klavier, ein Instrument, dass uns an den Kern der Musik und ihrer Komposition und Dramaturgie führen kann. Dass dies auch in der Popmusik Gültigkeit hat, dem sollen eine Reihe von Gespräche nachspüren. Den Anfang macht: Gonzales.

Das Klavier ist das vielleicht größte unter den Instrumenten, eines das die Vielfalt der Stimmen zu vereinen weiß wie kein anderes, das erste Werkzeug des Komponisten – ein Instrument, dass uns an den Kern der Musik und ihrer Komposition und Dramaturgie führen kann. Dass dies auch in der Popmusik Gültigkeit hat, dass das Klavier die augenscheinliche Reduktion zu begleitenden Keys nicht fürchten muss, dem sollen eine Reihe von Gespräche nachspüren. Den Anfang macht: Gonzales.

Zehn Jahre ist es her, da Gonzales mit seinem Debüt Gonzales Über Alles den Siegeszug der Canadian Crew in Berlin antrat und sich auch gleich selbst zum König des Undergrounds der Hauptstadt krönen ließ. Es sollte noch fünf Jahre dauern bis mit Solo Piano auch der letze davon überzeugt wurde, dass hinter dem »Worst MC« vor allem ein genialer Komponist, Songwriter und Pianist steckt. Mit seinem siebtem Studioalbum The Unspeakable Chilly Gonzales meldet sich der Meister aus seinem Pariser Exil zurück und wagt den musikalischen Schulterschluss mit der Klassik und den Rückblick auf seine Dekade.

Lass uns zunächst über das Klavier sprechen…
Gonzales: Ich liebe es über das Klavier zu sprechen.

»Als ich sagte, ich möchte der Pianist des Hip Hop werden, wollte ich sagen, dass es mein Ziel ist, das Bild von dem, was ein Pianist sein kann, für die moderne Ära zu aktualisieren. Und für mich ist die moderne Ära die Hip-Hop-Ära. Es ist die bestimmende Kraft für mich und all das Gute der modernen Epoche kam vom Hip Hop.«

Gonzales
Du hast einmal gesagt, dein Ziel sei es, der Pianist des Hip Hop zu werden. Glaubst du dieses Ziel schon erreicht zu haben?
Gonzales: Nun, ich denke es ist ein lebenslanger Prozess, ein moderner Mensch zu werden. Als ich sagte, ich möchte der Pianist des Hip Hop werden, wollte ich sagen, dass es mein Ziel ist, das Bild von dem, was ein Pianist sein kann, für die moderne Ära zu aktualisieren. Und für mich ist die moderne Ära die Hip-Hop-Ära. Es ist die bestimmende Kraft für mich und all das Gute der modernen Epoche kam vom Hip Hop. Weißt du, ich habe die Fähigkeiten eines Musikprofessors oder eines Studiomusikers, ich habe eine wirkliche technische Begabung Musik zu erinnern, sie wiederzugeben, eine Menge Informationen aufzunehmen. Das ist es, was ich mein musikalisches Genie nenne – die technischen musikalischen Fähigkeiten. Und es wäre naheliegender gewesen ein Akademiker oder Studiomusiker zu werden. Aber ich wollte Platten machen, Musik für Leute in meinem Alter und ich hatte Ideen wie Musik klingen sollte und die letzten zehn Jahre habe ich versucht diese Ideen zu verwirklichen – das Klavier in eine andere Welt zu bringen, an die Orte, an denen ich spiele, in die Welt der Konzerte. Auf dem neuen Album verbinde ich eine Art Maestro-Attitüde mit Rap, aber es geht immer darum meine Fähigkeiten, die im Grunde genommen altmodische Fähigkeiten sind, zu nehmen und ihnen eine Aktualität, eine Bedeutung zu geben, in der sie Spaß machen und ich schöne junge Mädchen im Publikum haben kann.

Das Klavier bleibt dabei stets die Basis deiner Musik, du schreibst auch deine Hip Hop Tracks auf dem Klavier?
Gonzales: Ja, so gut wie alles, eigentlich alles. Wann immer ich Musik produziert habe, komponierte ich sie auf dem Klavier oder dem Keyboard.

Solo Piano, 2004, war dein einziges wirklich klassisches Klavieralbum…
Gonzales: … und mein erfolgreichstes Album in jeder Hinsicht – das meistverkaufte und eines, das mir den Zugang zu einem viel größerem Publikum verschafft hat. Es war ein guter Zug, auch wenn es eine Überraschung war, dass es so gut lief. Mein Publikum bestand vor allem aus Hipsters und ich dachte, es würde sie langweilen. Doch plötzlich zeigte sich, dass es eine ganz neue Welt von Gonzales-Fans da draußen gab, die nur darauf warteten eine Ausrede zu haben, sich mit mir zu beschäftigen.

Es sei die technische Fähigkeit, die dir das Vertrauen gibt, zu tun, was immer du möchtest, hast du einmal gesagt. War Solo Piano der Versuch diese Fähigkeit ein für alle mal unter Beweis zu stellen?
Gonzales: Nun, das geschah nicht so bewusst, aber ich merkte sehr schnell, dass es genau diesen Effekt hatte. Wenn ich es spielte, sagten die Leute: »Wow, das ist großartig und so viel tiefgründiger als das, was du auf deinen ersten Alben gemacht hast.« Und so merkte ich schon vor der Veröffentlichung, dass es diesen positiven Effekt haben würde, da es etwas bestätigte, was die Menschen glauben wollten. Ich hatte fünf Jahre damit verbracht von meinem »musikalischen Genie« zu reden und auf eine Art war Solo Piano der Beweis für sie.

»Auf dem neuen Album verbinde ich eine Art Maestro-Attitüde mit Rap, aber es geht immer darum meine Fähigkeiten, die im Grunde genommen altmodische Fähigkeiten sind, zu nehmen und ihnen eine Aktualität, eine Bedeutung zu geben, in der sie Spaß machen und ich schöne junge Mädchen im Publikum haben kann.«

Gonzales
The Unspeakable Chilly Gonzales, das erste ausschließlich orchestrale Rap-Album, ist dein nächster Schritt…
Gonzales: Ich glaube viele Rapper haben Konzerte mit Orchester gegeben und es gab Orchester, die über Rap-Beats gespielt haben, aber was ich gemacht habe, ist ein ganzes Album, das ganz ohne Beats auskommt und dabei ganz konkret auf einer langen Tradition klassischer Musik und Soundtracks basiert. Wir haben die Gesten klassischer Musik und die emotionalen Impulse, die Soundtracks bei uns auslösen, benutzt. Menschen wissen da immer gleich welches Gefühl von ihnen erwartet wird, da wir so viele Filme gesehen haben. Wir wissen was eine Action-Szene ist und können sie von einer traurigen Szene unterscheiden. Das macht es wirklich einfach z.B. mit einem Thema wie dem zu Beginn des Albums, dass nach Jaws (dt. Der weiße Hai) klingt, zu spielen. Man legt die Platte auf und das erste, was man denkt, ist: Jaws. Das ist das großartige an Rap – er bedient sich einfach an allem. Und wenn man dann noch die Beats herausnimmt und vollkommen auf das Orchester vertraut, kann man noch weit über das, was Rap möglich macht, hinaus gehen.

Wie habt ihr gearbeitet? Gab es zunächst Beats, die später entfernt wurden?
Gonzales: Nein, es gab zunächst ausschließlich Klavier und Vocals. Mein Bruder, der Filmkomponist ist, ist dann viel weiter gegangen. Er hat ganze neue Teile geschrieben und hatte z.B. die Idee Party In My Mind einen Bollywood-Anstrich zu geben und Chöre in Beans zu verwenden – klingt dann nach dem Braveheart-Soundtrack oder so. Er hat diese Platte zu dem gemacht, was sie ist, ja.

Darum sagst du auch »The genius is in the arrangements« auf einem der Tracks?
Gonzales: Stimmt genau.

Du hast das erste orchestrale Rap-Album gemacht, das längste Konzert, nanntest dich selbst den schlechtesten MC. Magst du Superlative?
Gonzales: Ich bin bekannt dafür, mich in Extremen auszudrücken und ich widerspreche mich oft schon am nächsten Tag. Aber ich mag es, Sprache in ihren Extremen einzusetzen – es erregt die Aufmerksamkeit der Menschen. So wie ich einmal sagte: Wenn du Rap nicht magst, bist du Rassist. Natürlich war das nicht das, was ich meinte, aber es bringt die Fragen ins Rollen. So wie wenn ich sage: Musikalisches Genie. Es ist nicht wirklich das, was ich meine, aber es bringt die Frage auf den Punkt und lotet aus, ob wir gleicher Meinung sind. Man muss das ein bisschen extrem formulieren, ansonsten bleibt was auf der Strecke.