Label Watch: Central Processing Unit

10.02.2022
Seit mittlerweile einer Dekade legt Chris Smith retrofuturistische Szenarien in Tonform frei. Mit Central Processing Unit trat er das konzeptionelle Erbe ikonischer Labels der Neunziger an – und fand im Prozess eine distinkte Ästhetik.

»Ich bin Optimist, wenn es um Technologie geht, was sich natürlich auch auf CPU auswirkt«, hält Chris Smith im Interview fest. Der Gründer von Central Processing Unit (CPU) zeigt sich gebeutelt von Brexit und Pandemie, von heißlaufenden Presswerken, die an Major-Reissues schlecht gealterter Classic-Rock-Schmonzetten ersticken, und dadurch zerschossenen Programmplänen. »Dennoch versuche ich den Einfluss des gegenwärtigen politischen Klimas und diverser Trends auf unsere Veröffentlichungen gering zu halten – CPU soll ein neutraler Raum bleiben. Mir gefällt die Idee etwas zu haben, mit dem du aus allem raus kannst, auf das du dich verlassen kannst«.

Als er während der frühen Neunziger die Plattenläden in Sheffield durchstöberte, wusste Smith diese Verlässlichkeit zu schätzen. Schien zwischen Eurohouse-Singles und Ambient-Schinken ein violetter Sleeve auf, griffen Fachkundige damals auch schon mal blind zu. Die ikonischen Designs von Warp Records bedeuteten eine sichere Bank für Bleep, Braindance sowie allem Britischen mit »Acid« im Namen – und waren damit zu jener Zeit ein Novum. Wer hier zugriff, hatte Erwartungen, die mit ziemlicher Sicherheit auch bedient wurden. Central Processing Unit wusste von Beginn an diesen PR-Kniff aufs nächste Level zu hieven: Mit Hilfe von Designern wie Nick Bax, der damals als Teil von The Designer’s Republic für die Außendarstellung von Warp Records zuständig war und später das Sheffielder Studio Human gründete, entwickelte Smith eine Konzeption, die auf Minimalismus und Numerologie basiert: Schwarz-weiß, ohne Artworks, sequenziert durch binäre Codes eines Bytes läuft der Countdown runter.

»Nach 256 Veröffentlichungen ist Schluss«, bemerkte Smith, der Vollzeit an der Universität in Sheffield als Projektmanager arbeitet, mal in einem Interview mit Groove. Nicht ganz, denn mögliche Alternativen gehen er und Bax jetzt schon durch. »Eine Idee ist es, die Sequenz einfach wieder bei 00000000 zu starten, doch wie das aussehen würde ist unsicher. Wahrscheinlich werde ich erst mal eine Pause machen. Bis dahin sind es aber sowieso noch über zehn Jahre.«

Dass Central Processing Unit und Human in Symbiose stehen, ist Sinnbild für den Sound des Labels, der das Maschinelle und Menschliche immer wieder verschmilzt. So nutzen die meisten Namen im Backkatalog analoge Synthesizer, vollgepackte Euroracks und Drumcomputer wie den TR-808, um frische Produktionen aus betagtem Equipment zu kitzeln – die bewusste Beschränkung der Mittel kann auch hier neue Ideen generieren. »Es gibt so viele fantastische Einflüsse, die sich im Feld elektronischer Musik finden lassen. Alte Geräte zwingen dich außerdem dazu, auf eine ganz bestimmte Weise vorzugehen, was sehr inspirierend sein kann – in den richtigen Händen führt das zu frischer Musik mit einem Old-School-Feeling. Außerdem habe ich eine Schwäche für Nostalgie und liebe es, Künstler zu hören, die ihre Wurzeln kennen.«

»Alte Geräte zwingen dich dazu, auf eine ganz bestimmte Weise vorzugehen, was sehr inspirierend sein kann – in den richtigen Händen führt das zu frischer Musik mit einem Old-School-Feeling.

Chris Smith

An denen mangelt es Smith wahrlich kaum, dessen CPU nach nunmehr zehn Jahren immer noch in Serie außerirdische Alben und EPs zwischen Electro, SciFi-Ambient, legitimen Detroit-Vibes und intelligenter Dance-Musik kompiliert – einerseits scheinbar nach mathematischen Prinzipien generiert, andererseits emotional gefärbt wie merkwürdig moderne Erinnerungen, die sich im Dunst der Zeit verästeln. Wer den Labelkatalog durchblättert, ist stets jener konsistenten Ästhetik aber auch einer konsequenten Kuration auf der Spur, in der alte Genregrößen vom Kaliber B12, Carl Finlow (als Silicon Scally) oder DMX Krew mit frischen Innovatoren á la Biochip (nicht zu verwechseln mit Biochip C.), Cygnus, Mikron oder Nullptr vereint werden. Exemplarisch entstehen im Prozess ein ums andere Mal herausragende Arbeiten mit Klassikercharme: das ominöse »Co Intel PRO« von S>>D, das auch problemlos als alternativer OST von »Goldeneye 64« durchginge, die ungemein dicht texturierte Kryoschlaf-Begleitmusik »Three Dimensions« von Plant43 oder ein auf 3,5“ Floppy-Disk gebannter Chiptune-Geniestreich namens »Floptrik«, aus der Feder des schwedischen Commodore-Schraubers Goto80, sind nur ein paar Beispiele.

Repertoire und Stil von Central Processing Unit wuchsen organisch, entsprangen Smiths Leidenschaft für Videogame-Soundtracks Marke »Wipeout« ebenso wie seinen Jugenderfahrungen im Sheffield der 90er-Jahre und daraus gewachsener Connections. »Ich kriege nach wie vor viele Empfehlungen von Künstlern, die schon bei CPU veröffentlichen. Dadurch finden wir immer wieder unglaubliche Talente, wobei auch die gelegentliche herausragende Demo in meiner Inbox landet, für die ich jedes Jahr versuche, Raum zu reservieren«, merkt Smith an. »Die Ästhetik bleibt stets dieselbe, zeigt sich aber klarer, je mehr die Reputation und Bekanntheit des Labels wächst.«

Das ist seit Jahren genre- und grenzübergreifend der Fall, wird CPU doch mittlerweile in ganz Europa für eine kontinuierlich hohe Qualität in Stil und Ausführung geschätzt. Unterm Strich ist es kühle Musik fürs Coden, für eine einsame Autofahrt über die A4 bei Nacht, vorbei an leuchtenden Industrieparks. All jene, die tiefer in diesen Sound eintauchen wollen, können aber ebenso alte Strugatzki-Erzählungen rauskramen und mit einem Joint in Nostalgie schwelgen, während die Zukunft frontal anflutet.