Cassie Kinoshi ist das fehlende Teilchen zwischen Videospielen und Jazz

27.05.2024
Foto:© Keziah Quarcoo (International Anthem)
Sie spielt mit der Jazzkapelle Kokoroko, für Nubya Garcia und Sons of Kemet. Gerade hat Cassie Kinoshi das Debüt mit ihrem Ensemble Seed. auf International Anthem veröffentlicht. Mit einem lila Polygon-Drachen fing die Reise an.

Viele wüssten es noch gar nicht, sagt Cassie Kinoshi, »allerdings bin ich in Berlin auch noch nicht richtig angekommen«. Erst seit ein paar Wochen lebt die britische Saxophonistin in Deutschland. Kinoshi pendelt aktuell noch häufig nach London, dort ist sie Teil der Jazzgruppe Kokoroko und dirigiert ihr eigenes Ensemble; spielt für Nubya Garcia und Sons of Kemet – die Stars der Szene, zu denen Kinoshi mit einer Mercury-Preis-Nominierung längst selbst gehört. 

Zuletzt erschien Kinoshis Album-Debüt auf International Anthem. Das Label nennt es »post-millennial UK-Jazz«. Kinoshi sagt: Mit »gratitude« zeige sie ihr erwachsenes Ich. Sie hat es mit Seed, ihrer eigenen Big Band, aufgenommen. Auch deshalb klingt es: orchestral, mit all den Streichern und Bläsern manchmal sogar pathetisch. Aber das dürfe »Dankbarkeit« eben auch sein, sofern sie ehrlich gemeint ist, sagt Kinoshi.

Dankbar sei sie vor allem ihrer Familie, die habe sie immer unterstützt. »Ich war keine besonders gute Schülerin, mit sechs habe ich es nicht mal in eine Blockflötengruppe geschafft. Trotzdem haben mich meine Eltern immer ermutigt, meinen Interessen zu folgen, also: Klavier zu lernen, Klarinette zu spielen und schließlich zum Saxophon zu finden.« 

In London neugeborgen

Dass sie beim Jazz landet, sei ihr »schon immer« klar gewesen. Kinoshis Eltern hören die Klassiker, ihr Onkel spielt sie sogar. Zwischen Jamsessions wächst Kinoshi eine halbe Zugstunde nördlich von London auf, in Englands zweiter Gartenstadt, dem Ursprungsort von Essen auf Rädern. »Bis ich 18 war, kannte ich nur Jazz, Natur und meine Playstation 1. Dann zog ich nach London. Die Stadt war wie eine zweite Geburt.« 

»Bis ich 18 war, kannte ich nur Jazz, Natur und meine Playstation 1. Dann zog ich nach London. Die Stadt war wie eine zweite Geburt.« 

Cassie Kinoshi

Kinoshi studiert Komposition (»wegen den Soundtracks von Danny Elfman und Joe Hisaishi«) und landet bei »Tomorror’s Warriors« – einem Ausbildungsprogramm für junge Musiker:innen, aus dem unter anderem Shabaka Hutchings und das Ezra Collective hervorgingen. Inmitten dieser Szene habe sie nicht nur ihre Liebe zum Jazz weiterentwickeln können, sondern auch ihren Platz als Künstlerin unter Künstler:innen gefunden.  

Cassie Kinoshi © Aurore Fouchez

Mehrere Auszeichnungen und Stipendien hat Kinoshi seither bekommen. Dazu Musik für Filme, Theater und BBC Symphony Orchestra geschrieben. Ein Orchester gegründet. Nach zehn Jahren habe sie ihre Heimat in »dieser überwältigenden Stadt« trotzdem verlassen müssen. Warum gerade nach Berlin? »Weil sich Jazz hier mit klassischer Musik verbindet«, so Kinoshi. »Außerdem kommt mir die deutsche Mentalität mit ihrer Work-Life-Balance viel stärker entgegen als in London.«

In Berlin emanzipiert

In Berlin gebe es, anders als in London, im Jazz keine Star-Persönlichkeiten. Das eröffne Räume, um mehr auszuprobieren, nach »neuen Sounds« zu suchen, »Grenzen auszuloten«. Natürlich, das passiere auch in London, sagt Kinoshi. Allerdings würde die Regierung immer stärker in der Kunst einsparen. Außerdem habe sie zuletzt immer öfter den Eindruck gehabt, dass es nur noch darum gehe, wie cool etwas aussieht – und nicht, ob es sich toll anhört.

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In Berlin finde sie hingegen andere Voraussetzungen vor: viele kleine Gemeinschaften von improvisierenden Musiker:innen, die nicht für eine Stadt stehen, sondern für einen Ort. Kinoshi meint die Clubs und Jazzräume, das Donau115 in Neukölln, in das sie gerne gehe. Oder das PAS im Wedding. »Dort war ich gerade auf einem Impro-Gig. Es war unglaublich – genau das, was ich die ganze Zeit in London gesucht habe«, so Kinoshi.


Zum Schluss müsse sie noch etwas anbringen, darüber habe sie nämlich noch nie gesprochen, sagt Kinoshi. »Vorhin habe ich erzählt, dass ich wegen der Soundtracks von Elfman und Hisaishi zum Komponieren kam. Das stimmt, aber: Kennengelernt habe ich ihre Musik in Videospielen. ›Fable II‹ war von Elfman, ›Spyro the Dragon‹ von Stuart Copeland, du weißt schon, der von The Police. Das ist meine Kindheit, damit fing alles an. Diese Spiele und ihre Soundtracks sind der Grund, warum ich heute tue, was ich tue.«

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