Carlos Niño verbindet. Der 47-jährige Kalifornier mag Percussionist, DJ und Producer von Platten wie jener von André 3000 sein. Vor allem aber ist er: Einer, der die Leute zusammenbringt. Niño connected seit bald 30 Jahren, ein paar Kilometer außerhalb von LA, in den Bergen, der Natur. Dort ist er zu Hause, mit seiner Familie, einem jungen Sohn. Dorthin lädt er seine Freunde ein, die experimentellen Geister der Westküste: Nate Mercereau, Sam Gendel, Deatoni Parks und viele andere, die offen sind für die »Experience«, wie Niño zu sagt.
Carlos Niño & Friends haben zuletzt ein neues Album veröffentlicht. Es heißt »Placenta« und ist wie wie der Vorgänger beim International Anthem erschienen. Niño, der so etwas wie der Rick Rubin der Experimentierszene ist, sagt: »Es ist ein Trip.«
Seine Kamera hat Niño im Call nicht an. Trotzdem fühlt man sich von wachen Augen begutachtet. Das mag nach Esoecke und Hokuspokus klingen, aber: Aus dem spirituellen Wesen Carlos Niño spricht die tiefe Überzeugung, dass die Welt besser sein könnte, als sie ist. Ein Gespräch über den Flow, ewige Mentoren und Realitätsbeschleuniger.
Was ist deine erste Erinnerung an Musik?
Carlos Niño: Sie führt mich zurück ins Jahr 1979. Ich erinnere mich, wie ich auf dem Bett meiner Eltern sitze, während mein Vater Tapes mit kolumbianischer Musik von Lucho Bermúdez abspielt. Ich weiß noch, er war so fasziniert von den drehenden Bändern. Das hat mich in den Bann gezogen. Später, ich war schon etwas älter, sind wir viel mit dem Auto rumgefahren. Daran erinnere ich mich gut. Ich bin auf dem Rücksitz gesessen und habe geträumt.
Was hast du damals gefühlt?
Carlos Niño:Ich bin in Reseda aufgewachsen, einem Vorort von Los Angeles im San Fernando Valley. Wir waren viel unterwegs, aber eigentlich wollte ich einfach nur Skateboard fahren. Mit meinem älteren Cousin Ernesto war das anders. Er hatte einen Cadillac und nahm mich oft mit. Unterwegs spielte er Musik von Miles Davis, John Coltrane und Weather Report. Einmal fuhren wir an der Küste entlang und hörten den Stewart Copeland-Soundtrack zum Film »Rumble Fish« – eine Platte, die bis heute wichtig für mein Leben ist. Und als das Album »Paul’s Boutique« der Beastie Boys rauskam, fuhren wir damit den Boulevard rauf und runter. So sehr ich also aus dem Auto meiner Eltern fliehen wollte, den Cadillac meines Cousins hätte ich am liebsten nie verlassen.
Kalifornien hast du auch nie wirklich verlassen, oder?
Carlos Niño: Ich bin in meinem Leben viel gereist, aber ich bin immer gerne hierher zurückgekommen. Das mag daran liegen, dass ich mit 22 Jahren Vater wurde. Als Azul kam, wurden meine Wurzeln noch tiefer in diese Gegend gepflanzt. Ich bin also sehr kalifornisch. Und meine Musik ist es auch. Alles, was ich hier erlebe, steckt in der Musik. Das ist der Flow und die Energie, in und um Los Angeles zu sein.
Du erwähnst den Flow. Ich erinnere mich, wie wichtig Atem und das Atmen für dich sind. Ist das ähnlich? Manchmal spiele ich so intensiv, dass ich mich daran erinnern muss, in meinem Körper zu bleiben. Das Atmen ist dabei sehr wichtig, aber auch dessen bin ich mir nie ganz bewusst. Es wäre großartig, wenn es so wäre – manch ein Dasein hat bestimmt schon herausgefunden, wie das geht. Aber für mich ist es etwas, woran ich immer arbeiten werde.
Sind wir gegenwärtiger, wenn wir über das Gegenwärtigsein sprechen?
Carlos Niño: Darüber zu sprechen, geht fast am Thema vorbei, aber: Wir müssen darüber sprechen, um uns in diesem Bereich zu orientieren. Laraaji sagt, das Universum fließt. Und manchmal sagen die Leute: Geh mit dem Flow. Was sie damit meinen, ist nicht: Geh mit der Welt. Sie meinen eher: Geh mit deinem Atem als Präsenz des Seins.
Ist das schon spirituell? Bist du …
Carlos Niño: Jeder ist eine spirituelle Energie – ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Wenn wir uns im irdischen Bereich aufhalten, verflechten wir uns und bringen unterschiedliche Potenziale für unterschiedliche Erfahrungen mit. Es ist eine unserer Bestrebungen, die verschiedenen Dinge, die uns ausmachen, harmonischer aufeinander abzustimmen.
Wie stimmst du diese Dinge aufeinander ab?
Carlos Niño: Atmen und bewusstes Sein sind Teil davon. Wenn wir uns an Dingen orientieren, die destruktiv, gemein und gierig sind, sind wir hingegen ziemlich weit davon entfernt. Denn bei der Ausrichtung geht es um Beweglichkeit und Anmut, um die Fähigkeit, hilfreich und rücksichtsvoll zu sein. Letztlich ist das alles Ausdruck unserer Erfahrung – eine kontinuierliche Sache, sie hört nie auf – wie der Atem oder das Wasser.
Manchmal spiele ich so intensiv, dass ich mich daran erinnern muss, in meinem Körper zu bleiben.«
Carlos Niño
Wie wichtig waren Menschen wie Iasos für dich?
Carlos Niño: Iasos war einer der Menschen, die mir in meinem Leben am nächsten standen. Und das tut er noch immer. Es ist jetzt nur anders, weil er nicht mehr in seinem physischen Körper hier ist, aber er ist in vielen Dingen da, mit denen ich mich verbunden fühle. Ich kann mich mit ihm beraten, von ihm lernen, mit ihm im Wald sein und Abenteuer erleben – es ist eine Freude, diese Beziehung in meinem Leben zu haben.
Glaubst du, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?
Carlos Niño: Ich glaube eher, dass das Leben weitergeht. Denn nichts stirbt endgültig, es verändert sich nur. Selbst der Körper, der sich zersetzt oder zu Asche wird, nimmt nur eine andere Form an. Er wird zu etwas anderem und trägt zum Leben bei. Natürlich gibt es traurige und tragische Dinge, die wir als Tod bezeichnen. Aber wenn jemand seinen Körper ablegt und übergeht, ist es für die, die hierbleiben, nur deshalb so schwer, weil sie so schnell passiert. Wir verstehen die Veränderung nicht, weil wir all diese Gefühle zu dieser Person haben, die mit dem Bereich verbunden sind. Ein Bereich, in dem wir uns befinden, während der andere Körper es nicht mehr ist.
Kannst du das weiter erklären?
Carlos Niño: Hast du das Stück »Existence« gehört, das wir mit Photay aufgenommen haben? Es hat drei Versionen, die auf »An Offering« und »More Offerings« zu hören sind. Für letztere habe ich Iasos gebeten, sich dabei aufzunehmen, wie er über Existenz spricht. Die Botschaften, die er darin mitteilt, sind so tiefgründig, dass du es dir unbedingt anhören solltest.
Wenn du darüber sprichst, erinnert mich das an ein Stück auf »Placenta«, in dem Ariel Kalma über das »Ich« redet.
Carlos Niño: Ariel ist etwas Besonderes. Und sowohl sein Stück als auch das, das wir mit Iasos aufgenommen haben, haben einen Bezug zu mir. Nicht, weil einer von ihnen das jeweils andere Stück gehört hat, sondern weil es beide Menschen sind, die so denken und fühlen.
Ariel hat schon einige Gedanken zu Psychedelics geteilt. Dein Cover von »Placenta« ist sehr psychedelisch. Wie denkst du über … Mushrooms?
Carlos Niño: Die Idee des Psychedelischen ist nicht genug. Es geht nicht nur darum, mind-active zu sein, sondern um eine Öffnung deines spirituellen Wesens, deines höheren Selbst, deines irdischen Körpers und physischen Herzens. All die Dinge des normalen Lebens – Schwerkraft, unser Verdauungssystem, Verantwortlichkeiten, Arbeit, Geld und so weiter – werden in diesem größeren Zustand aufgehoben. Daraus ergibt sich, wie wir in dem Zustand unseres »waking life«, den wir als unsere Realität betrachten, vollständiger leben können.
Wie meinst du das?
Carlos Niño: Jeder und jede kann diese Energie, die wir sind, anzapfen. Nicht alle tun das, die meisten tun es sicher nicht. Aber sie könnten es. Deshalb gebe ich meine Vision nie auf, dass die Menschen aufwachen und in einer ganz anderen Version der Realität leben. Eine Realität mit viel mehr Liebe, Zusammenarbeit und Spaß.
Wo siehst du diese Realität?
Carlos Niño: Es gibt so viele Dinge, die uns zur Verfügung stehen, aber wir sehen sie nicht. Psychedelics könnten uns helfen, sie zu sehen. Dennoch sind sie nicht hier, um unseren Interessen zu dienen. Es geht eher darum, dass wir mit ihnen interagieren. Wenn wir das tun, müssen wir uns überlegen, wie wir auf sie aufpassen, so wie wir auf einen Freund aufpassen – egal, ob es sich dabei um einen Pilz, Kaktus oder unsere Atemarbeit handelt.
Erzähl mir bitte mehr davon.
Carlos Niño: Denk einfach daran, wie viele Dinge es gibt, mit denen man sich verbinden kann. Ein Beispiel: Mein Freund Luis Pérez Ixoneztli ist ein Instrumentenbauer und Komponist. Er ist jemand, der sich jede Pflanze ansieht – sogar Unkraut oder wenige bekannte Arten – und dir sagen kann, welche Eigenschaften sie hat. Wie sie dir helfen kann. Und wie du ihr helfen kannst, um gemeinsam etwas zu schaffen.
»Die Freude steht über dem Glück, aber über der Freude steht die Glückseligkeit und darüber kommt die Verzückung.«
Carlos Niño
Und wie denkst du über Mushrooms?
Carlos Niño: Ich unterstütze alle psychedelischen Mittel. Je mehr Menschen sich auf psychedelische Erfahrungen einlassen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie früher Durchbrüche in ihrem Leben haben. Das heißt nicht, dass sie nicht auch ohne aufwachen können, aber Psychedelics beschleunigen die Realität. Und das ermutige ich.
Apropos Aufwachen und Beschleunigen: Ist es nicht schwer, danach in die Realität zurückzukehren?
Carlos Niño: Ich bezeichne es eher als Landung. Schließlich will man so viel von dem, was man wirklich ist und erlebt, in die Realität integrieren. Hier und jetzt sind wir in einem durchschnittlichen Zustand. Aber dieser lässt sich durch die Erfahrungen steigern, die man aus einem beschleunigten psychedelischen Zustand zieht. Man will also nicht zurückkehren. Man will sicher landen und mit all dem Zugang und Bewusstsein in diesem durchschnittlichen Zustand weitermachen, um ihn zu erweitern. Das ist es auch, was meine Alben sind: Berichte von diesen Erfahrungen.
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»Placenta« ist also wie eine reine Form der Freude?
Carlos Niño: Ja, aber es geht darüber hinaus. Iasos würde sagen, dass alles Oktaven hat: Die Freude steht über dem Glück, aber über der Freude steht die Glückseligkeit und darüber kommt die Verzückung und so weiter. Es hört nie auf. Es gibt keine Grenze. In allem kannst du Oktaven finden, die unendlich hoch gehen können. Denn deine Erfahrung ist nicht auf eine Interpretation festgelegt. Sie hat die Fähigkeit, sich zu erweitern. Und »Placenta« berichtet davon.
Wenn du von Oktaven sprichst: Würdest du sagen, dass es in deiner Diskografie eine Beschleunigung in Bezug auf diese Ausdehnungen gibt?
Carlos Niño: Für mich? Absolut! Denn ich werde besser in meinem Ausdruck und in meiner Kommunikation. Gleichzeitig veröffentliche ich nur noch Alben, die ich mir auch anhören möchte. Ich kann deshalb ziemlich weit zurückgehen und resoniere noch immer mit meinen Veröffentlichungen. Sie haben eine kollektive, spirituelle Information in sich.
Damit schließt sich der Kreis unseres Gesprächs: Ist »Placenta« etwas, das du dir als Kind im Auto anhören würdest?
Carlos Niño: Das wäre ein Trip, Mann! Aber ich muss auch sagen, dass mein neugeborener Sohn im Moment mehr auf Bob Marley abfährt.