2018 jährt sich zum fünften Mal der Tod Nelson Mandelas. 2013 war Madiba oder auch Tata mit 95 Jahren gestorben. Sein Tod war das größte Ereignis für die Republik Südafrika seit dem Ende der Apartheid (oder vielleicht der Fußball-Weltmeisterschaft). Vor wenigen Tagen starb nun Winnie Madikizela-Mandela, Mandelas Witwe und sogenannte Mutter der Nation.
Südafrika steuert ungesehen und unabwendbar in eine Zeit der identitären Unsicherheit. Jacob Zuma, der zumindest streitbare Chef des African National Congress (ANC) musste wegen etlicher Vergehen seinen Platz räumen und so bleiben von den personifizierten Apartheits-(Be)Kämpfern immer weniger übrig; Desmond Tutu ist wahrscheinlich der prominenteste.
Südafrika also: in Bewegung, Ziel unklar. Es ist kein Zufall, dass Südafrika in den letzten Monaten und Jahren immer mehr in den Fokus der kultur-historischen Aufarbeitung gerückt ist. Dabei ging es auch um Musik. Immer häufiger tauchten Begriffe wie Kwaito, Bubblegum, aber auch Gqom und Shangaan auf. Zwei jüngst erschienene Compilations bündeln diese Wiederentdeckungen: »Pantsula!« auf Rush Hour Records und »Gumba Fire« auf Soundway Record.
In beiden Fällen in die Arbeit eingebunden: DJ Okapi. Der südafrikanische DJ kompilierte fleißig mit, suchte Perlen und kämpfte sich durch Kataloge. Seine musikalische Karriere begann in seiner Heimatstadt Kapstadt. In einem Land, das immer noch die Folgen von jahrzehntelanger Apartheitspolitik spürt, ist Kapstadt bis dato die Stadt mit der größten Entmischung. Als überall die Rassentrennungslinien langsam verwischten und ehemalige Townships und Großstädte zusammenwuchsen (wie in Johannesburg und Soweto) blieben in Kapstadt die Districts und Viertel weiter getrennt.
»My biggest obsession is to show Africans and the world who the people of Africa really are.«
Hugh Masekela
In diesem Klima entschied David Durbach, wie DJ Okapi mit bürgerlichem Namen heißt, sich dem musikalischen Erbe des Landes anzunehmen. Jenes Erbe ist gleichwohl genauso durch Rassentrennung geprägt wie auch alle anderen gesellschaftlichen Ebenen. Sogenannte genuin südafrikanische Popmusik suchte man lange. Traditionsreiche Volksmusiken wie Shangaan aus dem Norden des Landes waren anhaltend unterdrückt, (US-amerikanisch geprägter) Jazz war eines der wenigen kulturellen Produkte, das sich landesweiter Beliebtheit erfreute. Gerade die beiden Stars Hugh Masekela und Miriam Makeba waren Bezugspunkte; und dies obwohl sie aus Protest gegen die Apartheid im Exil lebten.
Masekela hinterließ schon in den 1950er Jahren erste Spuren in der südafrikanischen Szene. Mit seiner Kombo, den Jazz Epistles, machte er die ersten Versuche »echte afrikanische« Musik zu produzieren. In den Jahren des Exils eroberte – vor allen Dingen in den 1970er und 1980er Jahren – mit nigerianischen Künstlern wie Fela Kuti und noch unzähligen weiteren Musikern aus allen Teilen des Kontinents die Hitparaden von Zaire bis Ghana, von Togo bis Lesotho. Erst 1990, als die Apartheid langsam ein Ende fand, kam er zurück in seine Heimat; und brachte gleich den Ansatz des Pan-Afrikanismus mit. Für Hugh Masekela war die Abgrenzung der Südafrikaner gegenüber dem restlichen Kontinent ein Dorn im Auge. Diese Abgrenzung besteht jedoch bis heute.
»In Südafrika strugglen die Leute bis heute sich als Afrikaner zu identifizieren. Für meine Arbeit ist es wichtig – getrennt von der Hautfarbe – eine Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass wir Afrikaner sind. Alle«, so DJ Okapi im Interview. Mit seinem Blog Afro Synth kramt er eben jene Perlen aus, die ihm als hörenswert erscheinen, die einen eigenen, afrikanischen Ansatz zeigen. »Afrikanische Grenzen sind irgendwann vor 130 Jahren festgelegt worden. Wir reden über 50+ Länder, die Spielplatz für europäische Mächte waren. Einerseits ist Afrika nicht ein kulturell-homogenes Land (wie häufig in Europa dargestellt), andererseits müssen die Grenzen abgebaut werden und das Gemeinsame gesucht werden, damit man aus der weltweiten Schlusslichtposition entkommen kann.«
Musik ist Politik und Politik ist Musik. Das merkt man bei diesen Sätzen; und das merkt man auch, wenn man sich mit der Musik der beiden oben genannten Compilations beschäftigt.
Gemischte… Gefühle
Gerade Bubblegum ist trotz seiner stets fidelen Ästhetik ein Politikum im untergehenden Apartheitsstaat gewesen. Der sehr eigene Twist auf Boogie, Funk-Soul und Disco, der sich in den meisten Liedern der Ära widerspiegelt, ist meist nicht über die Textebene zu politisieren. Viel mehr sind die Bedingungen und das ›Klima‹, das Politische selbst. Bubblegum klingt selbstbewusst, auch wenn die Produktionen oft spröde oder roh sind. Man hört förmlich die Selbstermächtigung der schwarzen Bevölkerung, die jahrzehntelang vom kulturellen Leben abgeschnitten war und nur über Radios Anteil an Pop hatte. Man bedenke: Eine Millionenstadt wie Soweto hatte bis tief in die Neunziger alleine ein Kino und kaum Party- oder Konzertorte vorzuweisen.
»Ich glaube, dass der Schlüssel Information ist. Auch für viele Europäer bleibt Südafrika Terra Incognita. Doch sobald sie mit unserer Musik in Kontakt kommen, sind sie fasziniert und froh über neue Einflüsse.«
DJ Okapi
Bubblegum ist auch Musik des Schulterschlusses: Hier, Ende der 1980er Jahre, gehen vermehrt Schwarze und Coloured aufeinander zu. Unter Coloured versteht man in Südafrika eine Volksgruppe, die meist als Arbeiter ins Land kam; die meisten kommen aus Indien oder Inselstaaten aus dem indischen Ozean. Coloured waren während der Rassentrennung »irgendwas dazwischen«: Privilegierter als die schwarzafrikanische Bevölkerung, doch selbst unterdrückt, bildeten sie die (teilweise stadtarchitektonisch manifestierte) Pufferzone.
Doch im Bubblegum findet man beide gesellschaftlichen Gruppierungen zusammen. Während der Run im Rest der Welt auf die Diamanten des Genres gerade erst losgeht, scheint das Thema im Herkunftsland selbst ein Schwieriges: »Bubblegum droht zu verschwinden«, erklärt DJ Okapi. »Das liegt nicht nur daran, dass ein Großteil der Musik nur auf Kassetten rausgekommen ist, sie ist zudem gleich zweifach negativ aufgeladen: Zuerst ist BG die Musik der Elterngeneration; für viele Jugendliche ist die Musik schlicht uncool. Vor allen Dingen erinnert BG aber an die Zeit der schmerzhaften Rassentrennung. Es gibt keinerlei Nostalgie im Land bezüglich der Zeit, es bleibt eine tiefe Wunde. Bubblegum bringt für viele Menschen traurige Erinnerungen an die Oberfläche«.
Währenddessen registriert er das gesteigerte Interesse der restlichen Welt. Das rührt nur teilweise vom weltweiten Boykott des Staates in den 1980er Jahren; die »neue« Erfahrung mit dem Genre ist derweil nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt, dass die Wiederentdeckung des musikalischen Schatzes Afrikas durch Labels wie Analog Africa oder Awesome Tapes from Africa vielen Plattensammlern die Lückenhaftigkeit der eigenen Sammlung vor Augen führte; und dabei die Ignoranz bloßstellte, mit der man einen kompletten Kontinent – bildhaft gesprochen – vergessen hatte.
Unbekanntes Terrain
Beim anderen Genre des gesellschaftlichen Umschwungs sieht es da schon anders aus. Von Kwaito haben viele Musiknerds schon Mitte der 2000er gehört. Kwaito ist, obwohl es weniger scharf abgegrenzt ist, viel eher ein Begriff geworden. Südafrikas neue Identität zeigte sich schon einige Jahre vor dem Mega-Ereignis Fußball-WM; ein neues Selbstbewusstsein vermittelten Acts wie Die Antwoord, aber auch Musik aus den Townships, die sich in die Hitparaden der Dancefloor-Charts spülten. Der größte Hit dürfte dabei DJ Mujavas »Township Funk« gewesen sein.
Doch Kwaito ist viel älter. Die Wurzeln liegen ebenso Anfang der 1990er Jahre und werden in der Compilation »Pantsula!« vorgestellt. Aus Bubblegum wurde Kwaito; wo vorher noch klassischer Boogie der Background war, verknüpfte Kwaito diesen Vorgänger mit House Music. In Südafrika aber wollte man die Musik immer auch live spielen. Während die Synthesizer wie der legendäre DX-7 die gleichen waren wie im Rest der Welt, pitchte man die ganze Nummer runter. Von 125 bis 130 bpm auf unter 110 bpm.
In den vorgestellten Stücken des Labels »Music Team« führt das zu einem ungewohnten Hör- und Tanzvergnügen. Dieser Eindruck wird durch die verschiedenen Sprachen noch verstärkt. Selten wird auf Englisch gesungen, die Sprachen der schwarzafrikanischen Bevölkerung werden hingegen selbstbewusst vorgetragen. Meist sind es Zulu oder Tsootsitaal, aber auch Shoto oder isiXhosa. Letztere kennt der Kinobesucher aus dem (ebenso selbstbewussten) ersten schwarzen Blockbuster-Superhelden-Film »Black Panther«. Dieser Umstand ist bis heute dennoch der Grund, warum Kwaito insbesondere die Musik der schwarzen Bevölkerung bleibt. Schon 1997 besuchte der deutsche Journalist Ralph Christoph Südafrika für das Magazin Spex und war damals mit meist getrennt-rassigen Dancefloors konfrontiert: »Das Hauptargument, das ich immer wieder zu hören und lesen bekam, warum Kwaito nicht auf Weiße wirke, war: wir verstehen die Texte nicht.«
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Um so interessanter, dass mit DJ Okapi ein Weißer für den Erhalt von Kwaito kämpft; denn auch hier droht die Vergessens-Maschinerie einen ganzen Musikzweig zu verschlucken. In Südafrika sind internationale, aber auch regionale Pop und Hip-Hop-Produkte gefragter denn je. »Alleine in Venues wie dem Kitcheners in Johannesburg oder der Waxon Parties in Kapstadt findet man gemischte Tanzflächen; diese sind dann auch durch das gemeinsame Tanzen zu Kwaito geprägt.« erkennt DJ Okapi. Kwaito bleibt auch in der Nische, die kulturelle Handreichung über die Rassengrenzen hinweg. Die Frage, warum denn Südafrika auf einmal so prominent auf der (europäischen) Tanzflächen-Landkarte erscheint, kann DJ Okapi dennoch nicht beantworten: »Ich glaube, dass der Schlüssel Information ist. Auch für viele Europäer bleibt Südafrika Terra Incognita. Doch sobald sie mit unserer Musik in Kontakt kommen, sind sie fasziniert und froh über neue Einflüsse.«
Eine gewisse Übersättigung wird hier »von außen« attestiert. Vielleicht macht auch dies den neuen Reiz um die alte Musik aus: Die Unterdrückung der kulturellen Hegemonie (gegenüber dem sogenannten global south) ablegen zu können und sich von musikalischen Chauvinismen frei zu machen. In Südafrika und hier in Europa gleichermaßen.