Ist es nicht erstaunlich, wie viel Seele und Kraft die traditionsreiche Musikszene des Motown-Molochs im Verlauf der letzten viereinhalb Dekaden in den Äther geschossen hat? Fast möchte man glauben, die Musik (neben den ansässigen Sportvereinen der Pistons, Lions und Red Wings die letzte erfolgreiche Bastion Detroits) stemmte sich mit aller Macht gegen den unaufhaltsamen, endgültigen Verfall der vormaligen Industriemetropole. Doch nach Dillas Abschied und Proofs nicht weniger tragischen Ermordung, sind neuen Speerspitzen gefragt: Blutjunge Youngsters wie Black Milk eben, die Traditionsbewusstsein und Aktualität zu einem, gerade in hiesigen Breitengraden gefeierten, freshen Sound verschmelzen lassen. Mr. »Hoffnung-der-berucksackten-Zunft«, wir müssen uns unterhalten: Ein Gespräch im Amsterdamer Melkweg.
HHV.de: Auf deiner MySpace-Seite steht noch geschrieben, wie sehr dich dein letzter Amsterdam-Trip beeindruckt hat und nun bist Du schon wieder hier! Scheinbar gehörst Du nicht zu den Künstlern, die das Reisen nur als lästige Notwendigkeit empfinden…
Black Milk: Natürlich nicht! Ich liebe es zu reisen und die Welt zu erkunden! Nicht viele Leute in meinem Alter haben die Chance so viel zu erleben. Das ist exakt das, was ich in meinem Leben tun will.
Hast Du denn mittlerweile so etwas wie einen Lieblings-Ort ausgekundschaftet?
Black Milk: Klar, genau hier, Amsterdam! Zumindest in Europa ist Amsterdam mein Favorit. Ich bin jetzt zum dritten Mal hier, habe schon einmal hier im Melkweg und einmal im Paradiso gespielt, und es waren immer unvergessliche Shows. Ich liebe diese Stadt.
Viele deiner Kollegen behaupten, dass die sich die europäischen Fans stark von den amerikanischen unterscheiden. Würdest Du zustimmen?
Black Milk: Absolut. In Amerika erfährt HipHop einfach nicht die gleiche Anerkennung wie bei euch. Ob Old-School oder New-School, der echte Scheiß hat sich hier immer durchgesetzt. Und Künstlern wie mir, die in den Staaten unter Underground laufen, bietet sich in Europa eine viel bessere Plattform. Hier wird man behandelt wie ein Major-Star. Ihr bezahlt unsere Schulden! (lacht) Deshalb lieben wir es so, hierher zu kommen, echte Musik wird hier mit offenen Armen empfangen.
Hast Du denn ein bestimmtes Publikum im Kopf, wenn Du einen Text schreibst oder einen Beat produzierst? Gibt es so etwas wie den Song für den amerikanischen bzw. den europäischen Markt?
Black Milk: Nein, das bedenke ich bei der Produktion eigentlich nicht. Wenn ich kreativ bin, lasse ich mich ausschließlich von meinen Gefühlen leiten. In diesem Prozess haben solche Business-Überlegungen keinen Platz. Meine Musik kommt immer direkt aus meinem Herzen.
Du scheinst dich viel mit neuen Vertriebsmöglichkeiten wie MySpace und YouTube zu beschäftigen…Siehst Du diese Entwicklung eher positiv oder negativ?
Black Milk: Eindeutig positiv. Gerade MySpace eröffnet Independent-Künstlern wie mir völlig neue Möglichkeiten, um hier nur mal die Chance zu erwähnen, direkt mit den Leuten in Kontakt zu treten, die ich schlussendlich auch erreichen will. Oder neue Tracks und Videos zu veröffentlichen, wann immer mir danach ist. Ich denke sogar, dass ich den Großteil meiner Fans dem Internet zu verdanken habe. Es wäre also dumm zu sagen, dass mich das alles stören würde…
Nichtsdestotrotz veröffentlichst Du ja auch noch physische Tonträger, zuletzt deine LP Popular Demand. Du hast an anderer Stelle erwähnt, dass sich dieses Album eher an den »durchschnittlichen« Hip Hop-Fan richtet, als beispielsweise die EP Broken Wax. Würdest Du sagen, dass Popular Demand dir einige Türen zur Major-Welt geöffnet hat? Immerhin hast Du seither unter anderem mit Busta Rhymes und Lloyd Banks gearbeitet…
Ganz bestimmt sogar. Ich glaube, dass vielen Leuten schon vorher klar war, dass ich in der Lage bin dope Beats zu produzieren. Dennoch hatte ich mit »Popoular Demand« die Möglichkeit, mich der Welt neu zu präsentieren. Deshalb wollte ich die Musik nicht zu leftfield, zu abstrakt halten. Ich habe also einen Mittelweg gesucht, bei dem schlicht und ergreifend gute HipHop-Musik entsteht. Nun da die Leute mich, meinen Style, und meine Art zu leben kennen gelernt haben, kann ich darauf aufbauen und sie beim nächsten Album wiederum etwas mehr fordern.
Auf dem Cover der LP trägst Du deine MPC mit Dir herum…Bist Du immer noch so ein Analog-Fetischist?
(lacht) Naja, einen Fetisch würde ich das nicht nennen. Ich liebe es mit ihr Beats zu bauen, aber trotzdem renne ich doch nicht wirklich mit meiner MPC durch die Straßen! Das war natürlich nur Artwork-Shit!
Habe ich mir fast gedacht…Aber für alle, die deinen Style klauen wollen: Welches Equipment außer der MPC benötigt ein Black Milk-Beat?
Also, ich arbeite mit der MPC 2000 Xl, Protools, einigen Synthies und Keyboards und einem riesigen Haufen alter Platten. (lacht) Überhaupt stellen die alten Songs für mich die Basis meines Schaffens dar, sie liefern die ganze Magie!
Wie fühlt es sich denn für dich an, quasi live mitzuerleben, wie nicht nur Vinyl, sondern jede physische Form von Musik geradewegs vor die Hunde geht?
Mir persönlich liegt es sehr am Herzen, dass meine Songs immer noch auf Vinyl und CD veröffentlicht werden. Das wird also auch weiterhin geschehen. Natürlich ist das gerade nicht sonderlich lukrativ und es scheint generell auszusterben, aber was willst du tun? Gegen den technologischen Fortschritt ist man machtlos. Das Beste ist nun also, sich der Situation anzupassen und die neuen Vertriebsmöglichkeiten zu nutzen, über die wir eben schon gesprochen haben.
Du hast eben erwähnt, dass den Leuten schon länger klar war, dass du gute Beats am Start hast. Über deine Fähigkeiten als Rapper reden allerdings die wenigsten… Nervt dich die grundlegend skeptische Haltung, die viele Kritiker rappenden Producern oder auch produzierenden Rappern, wie bespielsweise Dir oder Kanye West, gegenüber einnehmen?
Stimmt schon, in manchen Reviews wurde ich ja tatsächlich als eher untalentierter Reimer dargestellt. Allerdings habe ich auch genauso viele Artikel gelesen, in denen stand, dass ich bedeutend besser als manche Mcees wäre, die sich nur auf Lyrics konzentrieren. Ich versuche mir darüber nicht zu viele Gedanken zu machen. Im Endeffekt hört sowieso jeder was ihm gefällt. Und da ich ja schon zwei Jahre vor meinem ersten eigenen Beat gerappt habe, bin ich mir auch ziemlich sicher, eine ganz guten, wenn auch ausbaufähigen Style zu haben. Ich liebe halt beides, auch wenn mir die Beats sogar noch mehr am Herzen liegen, und gewissermaßen auch leichter fallen…
Ich würde sogar sagen, dass der Kontrast zwischen deinen eher juvenilen, neumodischen Raps und der sehr traditionellen, Sample-lastigen Herangehensweise an die Musik, einen beträchtlichen Part deines eigenen Stils ausmacht…
Sehe ich genau so. Ich bin immer noch sehr jung, habe noch so viel zu erleben, zu erzählen und so viel Energie zu versprühen! Und gleichzeitig schlägt mein Herz für diese alten Soul-Scheiben, so dass das Endprodukt in Balance bleibt. Ich will einfach nicht zu backpack, zu langweilig werden, sodass sich das Ganze kaum jemand anhören kann. Es muss Energie haben!
Und wenn Du nun mittlerweile mit großen Namen wie eben Busta Rhymes &sw. zusammenarbeitest…Inwiefern beeinflusst der jeweilige Rapper deine Produktion? Schneiderst Du den Beat sozusagen direkt auf den Leib des Künstlers?
Prinzipiell kann ich für fast jeden MC auch einen Beat zaubern, ganz egal welche Stil er rappt. Aber nur in den seltensten Fällen rede ich mit den Künstlern vorher, gehe dann ins Studio und kreiere den vorher abgestimmten Sound. Normalerweise produziere ich die ganze Zeit nach meinen Vorlieben und schicke die Ergebnisse rum, so entstehen die meisten Kollaborationen.
Mein Plattenhändler hat mir damals geraten, deine Platte unbedingt mitzunehmen, da sie den Spirit von Dilla tragen würde…Gefällst Du dir in diesen Fußstapfen?
Nicht immer! Natürlich ist es ein riesiges Kompliment für mich, wenn jemand sagt, ich würde mich Dillas Level annähern. Andererseits aber versuche ich einen völlig eigenen Style zu etablieren, der mich von den großen Vorbildern emanzipiert! Hoffentlich ist es bei meinem nächsten Album soweit, dass die Fans mich nur noch mit mir selbst vergleichen. Trotzdem fühle ich mich selbstverständlich geschmeichelt, mit diesem Genie in Verbindung gebracht zu werden…
Könntest Du denn kurz die derzeitige Stimmung in Detroit beschreiben? Haben die letzten Tragödien noch Einfluss auf den Alltag in Motown?
Es liegt immer noch eine gewisse Spannung in der Luft. Detroit ist und bleibt eben eine Stadt mit düsterer, grimy Atmosphäre, die vielleicht auch deshalb sehr gute Musik hervorbringt. Auf der Ebene bewegt sich momentan wieder etwas, ein ganzer Haufen von jungen Künstlern versucht nach oben zu kommen und ich helfe einigen von ihnen so gut ich kann. Ich bin zuversichtlich. It’s gon’ be all good at 08092010…
Ist es schwer sich in einer Stadt einen Namen zu machen, die so sehr mit Künstlern wie Eminem und D12 oder auch Slum Village in Verbindung gebracht wird?
Es ist schon schwer, vor allem seine Scheibe in die Radio-Rotation zu bekommen. Aber Detroit ist eine riesige Kleinstadt. (lacht) Die HipHop-Szene ist immer noch sehr überschaubar. Ich kenne eigentlich alle wichtigen Leute aus Detroit, sei es D12 oder Royce da 5′ 9 bis hin zu meinen Jungs, wie Guilty Simpson. Und so gesehen ist es egal, wo man ist, solange man mit gutem Sound um die Ecke kommt, werden die Leute es dankbar annehmen!
Erzähle doch abschließend noch kurz, was als nächstes bei dir ansteht.
Erstmal kommt Guilty Simpsons Album Ode To The Ghetto, auf dem ich mit vier Beats vertreten sein werde. Außerdem stehen das Album von mir und Sean Prize – welches ich komplett produziert habe – sowie einige Projekte mit aufstrebenden Lyricists aus meinem Umfeld in der Pipeline. Habe ich was vergessen? Shit, klar: Mein neuer Solo-Stuff wird auch bald in den Läden stehen. (lacht) Haltet die Augen offen!