Black Country, New Road über das Auseinandergehen und das Zusammenwachsen

20.11.2023
Foto:© Holly Whitaker (Ninja Tune)
Die Sensationsband der letzten Jahre ist nicht mehr das, was sie mal war. Sänger und Songwriter Isaac Wood stieg kurz vor Veröffentlichung des zweiten Albums aus. Und der Rest? Erfand sich neu.

Es ist ein Sonntagabend, kurz vor 21 Uhr: Anderswo wird »Tatort« geschaut, die Kantine in Köln ist dennoch ausverkauft. 900 Menschen, darunter viele junge Männer um die 20, stehen wohlsortiert und warten auf eine Band nur unwesentlich älter als sie selbst: Black Country, New Road – ein sechsköpfiges Ensemble aus London, das nicht wenigen Kritiker*innen und Fans als eine der aussichtsreichsten und besten aktuellen Bands des Planeten gilt.

Auf sehr spannende Singles folgte 2021 das energiegeladene Debütalbum »For the First Time«. Wie raffiniert hier Post-Punk, der an die Louisville-Band Slint erinnerte, Postrock, Midwestern-Emo a la American Football, aber auch John Zorn-gleicher Klezmer-Jazz zu einer aktuellen Musik zusammengeschustert wurde, war mitunter atemberaubend. Ende 2021 machte die Nachricht von einer abgebrochenen Tour die Runde; die Band kündigte derweil im selben Atemzug den Zweitling »Ants From Up There« an. Die Vorfreude der Musikszene kippte ins Gegenteil als das bisherige Gesicht, Sänger und Songwriter Isaac Wood, nur wenige Tage vor Veröffentlichung ausstieg: Die psychische Gesundheit machte das Bandleben nicht mehr mit.

Diese Ausnahmesituation hat die Band zusammengeschweißt. Man entschied weiterzumachen, schrieb neue Lieder, tourte drei Monate später schon wieder. Das Ergebnis dieses Re-Inkarnations-Prozess kann man seit April 2023 als »Live at Bush Hall« hören. Doch diese Live-LP soll nur ein Zwischenschritt sein. Längst arbeiten May Kershaw, Lewis Evans, Charlie Wayne an den Drums, Tyler Hyde und Luke Mark an neuen Stücken – und Violinistin Georgia Ellery betreibt ganz nebenbei noch eine andere absolute Insider-Favoriten-Band: Jockstrap. Über das ganze Talent, die neuen musikalischen Einflüsse und Subreddits sprachen wir mit Pianistin May Kershaw und Saxofonist Lewis Evans bereits Stunden vor dem Kölner Konzert am Sonntagabend.


Es gibt Stimmen, die euch zur besten Band dieser Generation ernannt haben. Habt ihr eigentlich selbst das Gefühl, dass ihr diese überragende Rolle in der heutigen Musiklandschaft habt?
Lewis: Nein. Wir fühlen uns eher in einer Übergangsphase. Ich glaube, wir schauen nicht auf den Ist-Zustand, sondern immer nur nach vorne. Ich hatte aber bisher auch noch keine Zeit, um wirklich sacken zu lassen, was wir in den letzten drei Jahren erlebt haben.

Ihr habt nicht nur auf dem Glastonbury gespielt, ihr habt es sozusagen erobert. Wie hat es sich angefühlt auf einem der größten Festivals der Welt einen solchen Eindruck zu hinterlassen?
May: Es ist beängstigend, verrückt. Und beeindruckend: Wir wurden live im TV ausgestrahlt. Für mich gab es zusätzlichen Druck, weil ich unbedingt Cat Stevens sehen wollte, der direkt im Anschluss an unser Set auf einer anderen Bühne gespielt hat. Ich bin direkt losgerannt; keine Ahnung, wann und ob man ihn noch mal live sieht.

Wenige Tage vor der Veröffentlichung eurer zweiten LP verließ Isaac Wood die Band. Ist dieser Zustrom an Liebe und Zuneigung, den ihr heute erhaltet, für euch bedeutsamer vor dem Hintergrund, dass ihr euch als Band im Frühjahr 2022 neu erfinden musstet?
Lewis: Es war wahnsinnig toll; wir haben unheimlich viel Unterstützung erhalten und Liebe entgegengebracht bekommen. Wir haben dafür aber auch gekämpft. Wir haben über einen kurzen Zeitraum dieses Set auf die Beine gestellt, dass wir gut finden. Klar, es geht noch besser und wir versuchen täglich besser zu werden in unserem neuen Set-Up. Aber das Live-Set, das wir heute spielen, da können wir sehr stolz drauf sein.
May: Es gibt sicher ein paar Leute, denen die neuen Songs nicht gefallen. Aber die Leute, die zu unseren Gigs kommen sind unheimlich unterstützend und einfach … nett!

Es war die zweite große Krise, die ihr zusammen durchgemacht habt: die erste war, als ihr die Band Nervous Condition 2018 auf Grund von Metoo-Vorwürfen gegenüber dem damaligen Sänger zusammen verlassen habt. Glaubt ihr, dass diese Krisen euch als Band zusammengeschweißt haben oder gab es Momente, in denen ihr alles in Frage gestellt habt?
Lewis: Die Krisen haben uns ganz sicher zusammengeschweißt. Wir sind uns näher denn je – und es hat unser Verhältnis zu dem, was wir machen, nochmal verändert. Wir wissen jetzt, dass es vielleicht schneller enden kann, als wir denken.
May: Es gibt verschiedene Maßnahmen, die wir ergriffen haben: Wir planen nicht zu weit in die Zukunft, nehmen nicht zu viele Verantwortungen an. Was passiert, passiert. Und wir achten darauf, dass jeder das Beste für seine Gesundheit macht.

Hat dieser Zusammenhalt auch den Raum geboten, um Songs zu schreiben, die häufig mit Zerbrechlichkeit und Angreifbarkeit zu tun haben? Ihr musstet plötzlich eure Songwriting-Fähigkeiten unter Beweis stellen. Gab es einen Schlüsselmoment, der allen gezeigt hat, dass es auch ohne Isaac weitergehen kann?
May: Ich bin nicht sicher, ob das so stimmt. Ich kann gar nicht genau sagen, wie meine Songs entstehen.
Lewis: Es ist schon so, dass es jetzt einfacher fällt auch persönlichere Songs einzubringen, oder?
May: Aber es ist doch immer noch jedes Mal beängstigend …
Lewis: Ja, ist es. (grinsen sich an)
May: Es ist immer eine Überwindung, aber das Vertrauen, das wir untereinander haben, gibt die Möglichkeit auch mal Songs vorzustellen, die nicht unbedingt allen gefallen würden. Der Proberaum fühlt sich jetzt wie ein safe space an.

Ehrlich gesagt glaube ich, dass es nie gut ist zu lesen, was Leute im Internet über einen Schreiben – weder Positives noch Negatives.

Lewis Evans

War Zusammenhalt und Nähe dann gar nicht der Schlüssel um diese Krise zu überstehen, sondern Vertrauen und Ehrlichkeit?
Lewis: Ja, auf jeden Fall. Man kann sich sehr nah sein und sich doch nicht vertrauen.

In Songs wie dem Intro (und Outro) der Live-LP, also dem Song »Up Song«, reflektiert ihr über euch als Band. Ist eure Arbeit als Band auch immer eine Gruppentherapie, die in dem Credo »BC,NR – Friends Forever« mündet?
May lacht
Lewis: Dieser Chant begann als Joke. Wir dachten, dass es witzig wäre, wenn wir das in den Song packen würden. Die Leute lieben es anscheinend. Also wir sind sicher Friends Forever, aber es ist eine alberne Sache, das in einem Song zu singen.

Es gab sogar ein Bild von einem »BC,NR«-Tattoo und zwar in dem Subreddit zur Band, der als einer der aktivsten in der Indie-Szene gilt. Wie häufig schaut ihr Euch im Netz an, was da passiert? Und denkt ihr manchmal: »Bei aller Liebe, aber der Post war jetzt auch Quatsch?«
Lewis: Ich schaue mir Videos an, wenn wir Songs das erste Mal gespielt haben, damit ich weiß, wie er wirkt. Das ist sehr cool, dass immer Leute mitfilmen. Manchmal schaut man dann in die Comments und überlegt, ob man antworten soll. Aber das macht man dann nicht. Ich versuche, so wenig wie möglich zu schauen. Ich habe mein Vater, der schaut, was im Internet passiert, und erzählt es mir.
May: Bei mir ist das meine Schwester.
Lewis: Ehrlich gesagt glaube ich, dass es nie gut ist zu lesen, was Leute im Internet über einen Schreiben – weder Positives noch Negatives.

Habt ihr euch gefragt, ob es richtig war, so schnell nach dem Ausstieg wieder auf die Bühne zu gehen?
May: Auf bestimmte Art und Weise war es eine gute Entscheidung. So blieb uns weniger Zeit, darüber nachzudenken, was passiert war.
Lewis: Wir müssen gerade darüber nachdenken, glaube ich. Wir wurden das noch nie gefragt.
May: Wahrscheinlich wäre unser heutiges Material weniger breit gestreut, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten.
Lewis: Wir hätten mit mehr Zeit einfach an einem Album arbeiten können und uns im Schreibprozess finden können. Andererseits haben wir uns auch Zeit erkauft: Die Live-Auftritte haben uns, in einer Zeit, wo man mit Plattenverkäufen nichts mehr verdient, auch die finanzielle Sicherheit gegeben, um weiterzuarbeiten. Und wir konnten über die Zeit unser neues Material testen …

Habt ihr euch gefühlt wie Stand-Up-Comedians, die mit ihren neuen Jokes auf kleine Bühnen gehen, um daraus ein großes Programm zu erarbeiten?
Lewis: Das ist ein sehr guter Vergleich. Wir konnten in Echtzeit testen, wie die Songs ankommen, daran arbeiten und sie verbessern. Das Live-Set, das dabei entstanden ist, ist wirklich sehr gut geworden. Es hat durch seine Entstehung auf den Bühnen eine eigene Energie und macht Spaß. Selbst für Leute, die unseren Sound vorher besser fanden.

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Ich habe gehört, dass die Songs nicht in Stein gemeißelt sind und sich stetig weiterverändern.
Lewis: Das stimmt. Wir arbeiten immer noch an den Songs – und versuchen an dieser Arbeit auch unsere eigenen Instrumente zu schärfen. Daran weiterhin lernen, wie Songs geschrieben werden.

Auf die Frage, was man tun soll, wenn man 17 ist und eine Band gründen will, hat eine Band einmal geantwortet: »Mach es mit deinen Freunden und sorge dafür, dass du immer Spaß hast, sonst ist es sinnlos.« Wisst ihr, von wem das Zitat stammt?
May: Nein, aber es ist sehr gut und passend – und stimmt. Von wem ist es?

Von Euch. Ihr habt das bei einem »Ask Me Anything« geschrieben.
May & Lewis: Ja. Das ist wirklich gut!