Es ist ein lauer Spätsommer-Abend in Berlin am Rosa Luxemburg Platz. Die Sonne steht tief, ihr helles, diesiges Licht umhüllt den Fernsehturm. Auf der hügeligen Wiese gegenüber der Volksbühne sitzen einige Besucher:innen und halten in der linken Hand eine frische Brezel, in der rechten Hand ein Glas Weißwein. Auf der Treppe neben dem provisorischen Imbiss, der eben jene Frischgetränke verkauft, tummeln sich viele kleine Menschengruppen. Dabei fällt auf, dass alle umwerfend gut gekleidet sind: androgyne bodenlange schwarze Kleider, minimalistisch reduziert auf die kleinen Details, abgestimmt mit silbernen Gürteln und Ringen. Feuerzeuge werden herumgereicht, Zigaretten elegant angezündet, als sei dieser Prozess Teil des Erscheinungsbildes, der Ästhetik.
Bendik Giske
Drinnen, im großen Saal der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz, findet an diesem Abend ein besonderes Konzert statt, auf welches sich begeisterte Fans schon seit Monaten freuen: Der Saxophonist Bendik Giske feiert das Debüt seines dritten Soloalbums, indem er es in Berlin erstmals live vorstellt.
Das Album trägt den Namen des Künstlers und verfolgt schon mit der Auswahl des Titels die rote Linie klarer Reduktion und Integrität. Produziert wurde das Album von Beatrice Dillon. Ihre sehr prägnante Präsenz ist darin unverkennbar. Es sei ihr Impuls gewesen, Melodien zu reduzieren und den Fokus auf Muster und Rhythmen zu legen. Ein Album, das von außerordentlicher Intellektualität zeugt.
Doch zuerst macht den Auftakt des Abends die Komponistin, Sängerin und Multiinstrumentalistin Sarahsson aus London. Sarahsson erkundet durch ihre Musik die eigene Identität, indem sie Wohlbefinden und verschiedene Gefühle bis ins Extreme ausschöpft. Ihre Shows thematisieren den Ausdruck von Transness und bestehen aus einem genreübergreifenden Arrangement aus Tanz, Design, bildschöner Queerness und musikalischer Expertise. Sarahsson spielt mit Gegensätzen. Ein Großteil ihrer Konzerte sind sanft und engelsgleich, mit ihrem selbstgebauten Daxophon schafft sie es allerdings überraschend-abrupt, eine unheimlich avernalische Atmosphäre zu evozieren, die ein – sicherlich intendiertes – Unbehagen bei einigen Zuschauer:innen auslöst.
Wenige Eindrücke, alle beeindruckend
Nach einer guten Dreiviertelstunde findet ihre Performance ein Ende und die Türen des Saals öffnen sich. Viele Menschen strömen raus, einige bleiben auf ihren Plätzen sitzen und warten ungeduldig eine halbe Stunde lang auf den Haupt-Act des Abends. Und endlich: Der Saal wird in ein dunkles Licht getaucht, eine plötzliche Stille macht sich breit. Das einzige, das man hört, sind ruhige Schritte, die sich dem Publikum nähern. Bendik Giskes Schritte. Er betritt die Bühne, läuft nach vorne, stellt sich in die Mitte, setzt das Mundstück seines Saxophons an und beginnt zu spielen.
Seine Erscheinung ist so beeindruckend, dass es in dem Moment auch nichts weiter braucht: keine Lichtshow, kein Bühnenbild. Nur Bendik Giske in einem schwarz-schillernden Abendkleid und einer mächtigen Oversize-Lederjacke, auf hohen Plateau-Stiefeln, mit seinem Saxophon. Ein magischer Augenblick, nur leider etwas gedämpft durch ein paar Nachzügler, die auf der Suche nach dem richtigen Sitzplatz sind.
Es ist dieses hör- und fühlbare Zusammenwirken der puren Körperlichkei, irgendwie fragil und doch vollkommen kontrolliert, die so in ihren Bann zieht.
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Zurückhaltung und Reduktion sind die Stichworte des Abends. Bendik Giske verwendet lediglich seinen eigenen Körper, seinen Atem, seine Stimme und das Saxophon. Jedes noch so kleine Detail, jeder Atemzug ist hörbar, ohne jegliche Verfremdung oder stilistische Verfeinerung. Es zeugt von unglaublicher Virtuosität, wie Bendik Giske das volle Potential seines Saxophons ausschöpft – er fokussiert sich auf jede Stelle des Instrumentes und macht, durch nach Bedarf arrangierte Mikrophone, jede noch so sanfte Berührung auf dem Messingblech hörbar. Es ist dieses hör- und fühlbare Zusammenwirken der puren Körperlichkei, irgendwie fragil und doch vollkommen kontrolliert, die so in ihren Bann zieht.
Nachdem der letzte Ton erklingt, erheben sich ohne Ausnahme alle Besucher:innen im Saal und es scheint, als wollten sie gar nicht mehr aufhören zu applaudieren, berührt von diesem Konzert, das kraftvoll war, rein und zutiefst menschlich. Es war, als sei der Auftritt wie eine Erinnerung gewesen: die eigene Verletzlichkeit – und die eigene Stärke.