Rian Treanor macht nicht nur Musik – er erschafft einen eigenen Kosmos. Das mag übertrieben scheinen und wahrscheinlich würde Treanor nicht zustimmen. Doch da wäre zum Beispiel sein zweites Album »File Under UK Metaplasm« von vor zwei Jahren. Auf neun Tracks hyperventilieren dort Beats und Patterns. In jeder Sekunde bewegt sich hier alles. Es gibt keine Melodien, keine Wiedererkennungswerte. Es ist einfach purer Sound aus der Maschine. Der Künstler verschwindet komplett dahinter. Oder zumindest hört es sich so an.
Dem britischen Magazin Mixmag erklärte Rian Treanor vor drei Jahren seinen Ansatz so: »Ich beschäftige mich mit der Entwicklung von Software und Interfaces, seltsamen Rhythmussequenzen oder Pattern-Generatoren, und baue Dinge von dieser Ebene aus auf. Diese Methode bringt mich normalerweise auf mehr Ideen, aber manchmal mache ich auch das genaue Gegenteil, indem ich einfach auf die Tasten haue und versuche, auf diese Weise einen Beat zu machen. Beides kann sich lohnen.«
Was macht der Algorithmus bei Musik?
Rian Treanor steht dabei unter besonderer Beobachtung der akademischen Kunstwelt als Sohn von Mark Fell. Dessen Einfluss auf die elektronische Musik lässt sich an dieser Stelle nur andeuten. Kurz gesagt: Er brachte Electronica, Club und algorithmische Systeme zusammen. (Mark Fells Schaffen beschränkt sich allerdings nicht nur auf Musik.) Treanor wusste schnell, dass sein Vater Musik machte. Doch zunächst setzte er sich selbst mit elektronischer Musik, mit Techno und Rave auseinander. Bereits mit 16 Jahren machte er seine eigene Musik. Und langsam ging ihm die Verbindung zum Schaffen seines Vaters auf.
Allerdings studierte der 1988 geborene Treanor daraufhin weder Programmieren noch Musiktheorie. Er kommt über das DJing und die Produktion von eigenem Techno-Sound am Rechner zur Musik. Und zwangsläufig kommt das Gespräch mit ihm auf die Programmiersprache Max/MSP. So auch in einem großen Beitrag über Treanor im britischen DJ Mag vor zwei Jahren.
Bei Max/MSP handelt es sich um eine visuelle Programmiersprache. Dabei lassen sich Boxen und Objekte auf einer Fläche anordnen und verknüpfen. Und dann machen sie dort was. Es lassen sich Regler und Filter und Knöpfe einbauen. Und alles bedienen. Eine integrierte Entwicklungsumgebung für Echtzeitprozesse nennt das amerikanische Software-Unternehmen Cycling ’74 diese Programmiersprache, die angeblich fast alles kann. »Max/MSP ist ein wirklich großartiges Werkzeug, um herauszufinden, wie man Dinge von Grund auf neu erstellt, und um zu versuchen, die Dinge auf einer niedrigeren Ebene in den Griff zu bekommen«, sagt Treanor dazu im Interview mit dem DJ Mag.
»Stell dir vor, du gehst in einen Club und bist tatsächlich an der Drum Machine, die gerade spielt – das fände ich total toll.«
Rian Treanor
Bereits während er an der Universität in Leeds bildende Kunst studierte und dort mit verschiedenen Künstlern zusammenarbeitete, entschied er sich für Max/MSP, wie er zu Resident Advisor sagte. Denn in Max/MSP konnte er Schnittstellen schaffen und Musik sofort ändern. Wie es bei Treanor heute selbst heißt: »Mit der Programmiersprache Max/MSP entwickelt er maßgeschneiderte Software, um erweiterte rhythmische Techniken und algorithmische Prozesse zu erforschen und Geräte zu bauen, die spontane Mustermodulationen in verschiedenen Kollaborationen, Workshops, Live-Performances und Installationen ermöglichen.« Nur: Was macht der Algorithmus bei Musik?
Die Komposition mit einem Algorithmus ist generell vor allem in akademischen Kreisen verbreitet. Also eher Kunsthalle als Club. Allerdings weiß niemand so genau, wie sich algorithmisches Komponieren genau definiert. Eine einfache Definition ist: Techniken, die Musik erschaffen und ohne menschliches Eingreifen andauern. In Max/MSP lässt sich zum Beispiel ein einfacher Zufallsgenerator einbauen, der Zahlen im Bereich von MIDI-Notennummern auswirft. (Was ein sehr simples Beispiel ist. Es geht deutlich komplexer.)
Töne flackern durch das Gehirn
Treanor nutzt heute seine Kunst und seine Musik, um Menschen zusammenzubringen. Selbst die britische Tageszeitung The Guardian widmete ihm vor einem Jahr ein Porträt. Darin spricht der Brite über den Lockdown, seine Familie und verschiedene Projekte. Vor dem Lockdown hatte er mit 100-jährigen Bewohnern in einem Pflegeheim in Paris zusammengearbeitet – und in einem anderen Workshop mit Zehnjährigen in seiner Heimat Rotherham für eine kollaborative Software.
Apropos Zusammenarbeit: Auf dem Online-Musikfestival CTM traten Rian Treanor, sein Vater sowie die Musiker Jim O’Rourke, Petronn Sphene und Limpe Fuchs auf. Mit einer speziellen Software erzeugten sie Musik über Datenpakete, die sie sich schickten. Ähnliche Experimente von Fell und Treanor lassen sich auch in anderem Kontext auf YouTube finden. Die klanglichen Ergebnisse können dabei schnell überfordern. Oftmals flackern die Töne durch das Hirn und hinterlassen einen hellen Nachklang bei Treanors Musik und seinen Projekten.
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Überhaupt gibt es bei Rian Treanor keine Trennung von Kunsthalle und Club. Alles ist hier eins. Das kann überfordern und faszinieren gleichermaßen. Künstler, Publikum und Komponist dürfen bei Treanor sowieso verschwimmen, wie er The Guardian sagte: »Stell dir vor, du gehst in einen Club und bist tatsächlich an der Drum Machine, die gerade spielt – das fände ich total toll.« Keine Hierarchien. Nur Musik. In einem eigenen Kosmos, in dem alles andere aufgeht.